Auch bei Kindern fliegen ab und an die Fäuste. Dass es cleverer ist, ohne ein blaues Auge rauszukommen, lernen 15 Buben und Mädchen der offenen Ganztagsschule an der Grundschule Wiesau im Fitnessstudio "GR2D". Jeden Dienstagnachmittag gehen die Kinder den kurzen Weg von der Grundschule zur externen Kursstunde. „Wir hätten das auch in der Schule machen können. Aber es schadet nichts, wenn die Schüler auch rauskommen“, sagt Schulleiterin Inge Dick. Als Studio-Betreiber Nik Landstorfer nach Einführung von Krav Maga den Kurs auch für Kinder zum Schnuppern anbot, informierte Dick die Eltern der Ganztagsschüler. 15 von etwa 30 sagten zu. Jetzt gibt es einmal pro Woche Selbstverteidigung zum Nulltarif.
Nun zur Praxis: Tim und Dominik kämpfen mit viel Gelächter beim Krav-Maga-Rugby um den Ball. Gerangel und Schubsen gehören dazu. Dennoch ist alles anders. „Wir trainieren mit den Kindern, sich konfliktfrei böse Leute vom Leib zu halten“, erklärt Manuela Görschel. Sie und Tina Seitz sind ausgebildete "Kids-Instructors" für Krav Maga im "GR2D". Als erste Grundregel der Selbstverteidigung nennt Görschel das Nein-Sagen. Auch verbales Wehren mit lauter Stimme brauche Mut. Allein mit Rufen könne man den Gegner von sich abhalten oder Leute aufmerksam machen, dass hier ein Kind in Gefahr sei. Klare Ansagen wie „Stopp“, „Lassen Sie mich gehen“ oder „Was wollen Sie von mir?“ reichten manchmal, um Konflikte zu lösen oder sich eine Gefahr vom Leib zu halten.
Auch hier könne man fatale Fehler begehen, warnt Görschel: „Dem Gegenüber niemals in die Augen schauen. Das provoziert.“ Die Trainerinnen ermutigen die Kinder zudem, bei Angst Passanten um Begleitung in die Schule oder nach Hause zu bitten. Da es für Konfliktvermeidung keine Erfolgsgarantie gibt, üben die Kinder unter anderem aktiv, sich Zeitfenster zu verschaffen. Görschel und Seitz zeigen ihnen „Getting up“ (Aufstehen), sollten sie von einem Gegner zu Boden geworfen worden sein. „In Blickrichtung abhauen. Niemals rückwärts“, so Görschel. Auch hier gelte: Nicht provozieren lassen. Mit Gestik und Mimik die Situation beruhigen.
Wie Konfliktvermeidung praktisch funktioniert, hat Schulleiterin Inge Dick bereits festgestellt. Die Kurskinder hätten im Schulalltag positiven Einfluss aufs Abwiegeln von Streitereien, freut sie sich über Nebeneffekte von Krav Maga. Die Instructors nutzen die Methodik des Rollenspiels. Dafür geht’s raus auf den Schulhof. „Am Parkplatz steht ein Auto. Der Fahrer erzählt, er habe Katzenbabys zum Streicheln.“ Das einzig Richtige: Nicht auf die Person hören, schnell weg von der Autotür. Wie man sich wehrt, lernen die Kinder mit einstudierten Bewegungsabläufen wie „Defensive Stand“ oder „Stopp Stand“.
Lisa Marie, Sophie, Elena und Leonie üben das im Wechsel als „gute“ oder „böse“ Personen. Lisa Marie erklärt, sie mache wahnsinnig gern Sport. „Weil uns dann niemand angreifen kann“, lautet Sophies Argument zu Krav Maga. „Wenn ein böser Mann kommt, können wir uns verteidigen“, haben Elena und Leonie den Sinn des Kurses erkannt. Obgleich der Hintergrund ernst ist, steht der Spaß an erster Stelle. Mit dick gepolsterten „Kids-Shields“ vor den Bäuchen dürfen die Kinder nun mit den Füßen kräftig auf den „Gegner“ einstrampeln. Wie dann eine geschickte Drehung auf die Beine zur rettenden Flucht verhelfen kann, zeigt Manuela Görschel. Nach vielen Übungs-Wiederholungen sind Manuela und Tina zufrieden. Sie entlassen die Kinder für den Rest des Unterrichts zum Krav-Maga-Rugby. Jetzt steht Austoben auf dem Stundenplan.
Krav Maga
Krav Maga ist ursprünglich eine israelische Kampfsportart, die von Soldaten trainiert wird. Erfunden wurde sie in den 1930er Jahren von dem Slowaken Imrich Lichtenfeld aus Pressburg. Lichtenfeld unterrichtete Krav Maga als militärischen Nahkampf in Palästina. Heute wird Krav Maga weltweit unterrichtet, auch für Privatleute zur Selbstverteidigung, Deeskalation, Stressresistenz und Fitness. Zielsetzung ist, sich mit effektiven und einfachen Methoden gegen Gewalt wehren zu können. (ubb)
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