Schräg unterhalb des Autohofs an der Autobahnausfahrt Neuhaus ist das Schlimmste zu befürchten. Dort werden Rettungskräfte aller Gattungen künftig Szenarien üben, die sich niemand wünscht. Was ist zu tun, wenn ein Zug entgleist? Wenn es zu einem Massenunfall auf der Autobahn kommt? Wenn Infrastruktur zerstört ist?
Um dafür gewappnet zu sein, wird ab sofort auf 27.000 Quadratmetern auf einer Erbpacht-Wiese im Gewerbegebiet Neuhaus gebaut. Der Freistaat investiert bis 2026 rund 32 Millionen Euro in die Erweiterung des BayZBE (Bayerisches Zentrum für besondere Einsatzlagen).
Er tut das das Überzeugung, bekräftigt Innenminister Joachim Herrmann beim Spatenstich am Freitagvormittag. Denn Großschadensereignisse wie das Ahr-Hochwasser, tagelange Waldbrände in Brandenburg oder Terrorakte seien leider Realität. Eine Portion Ampel-Prügel kann sich der Gast aus München dabei nicht verkneifen: "Der Bund plant weitere Kürzungen beim THW und beim Bundesamt für Bevölkerungsschutz, das ist ein falsches Signal, gerade an die Ehrenamtler." Diese Ehrenamtler von guten einem halben Dutzend Rettungs- und Blaulichtdiensten quittieren es mit Beifall.
Aufgeschlossene Bevölkerung
Ansonsten verteilt Herrmann neben Sand beim Spatenstich vor allem Komplimente, was in Wahlkampfzeiten nie schaden kann. "Mit der Stadt Windischeschenbach und dem Landkreis Neustadt herrscht eine super Zusammenarbeit. Hier freut sich die Bevölkerung über Großinvestitionen." Das sei nicht selbstverständlich, betrachte man etwa das Tauziehen um ein geplantes Batteriewerk von BMW in Niederbayern.
Nicht selbstverständlich ist auch, dass das BayZBE 2019 in der Nordoberpfalz angesiedelt wurde. Ursprünglich sollte es nach Ruhstorf im Landkreis Passau als Ersatz für einen Siemens-Standort, den der Konzern aufgegeben hat. Die Ruhstorfer bekamen stattdessen eine landwirtschaftliche Einrichtung - und die Oberpfälzer griffen beim BayZBE zu.
Kaum waren 2016 die Pläne dafür öffentlich gemacht, formulierte der Neustädter Landrat Andreas Meier eine Bewerbung und bot den Platz in Neuhaus an. Schützenhilfe bekam er durch die Mitunterzeichner aus dem Landratsamt Tirschenreuth und dem Rathaus in Weiden. Hinter den Kulissen schob Theo Zellner mit an. Der ehemalige Landrat von Cham war damals bayerischer Rotkreuz-Präsident und hatte einen guten Draht nach Neustadt, auch weil er gut mit Meiers Vorgänger Simon Wittmann konnte.
"Hier war nicht unser Lieblingsstandort, aber es ist unser Lieblingsstandort geworden", sagt Thomas Haas. Der Niederbayer ist einer von zwei Geschäftsführern des BayZBE. Die Gründung des Zentrums hat einen traurigen Hintergrund. Im Sommer 2016 kam es gleich zu drei Bluttaten, die politisch-religiös aufgeladen waren: einem Sprengstoffattentat in Ansbach, einer Messerattacke in einem Regionalzug bei Würzburg und dem Amoklauf im Olympia-Einkaufszentrum in München.
Nicht zuletzt, weil bei solchen Bedrohungen Rettungskräfte einem hohen Risiko ausgesetzt sind, üben seitdem Hunderte von Helfern - von Bundeswehr bis Feuerwehr und von Polizei bis THW - was in solchen Situationen zu tun ist. Ob Geiselnahme in einem Bus, Amoklauf in einer Schule oder Autoangriff in einem Straßencafé: Aus ganz Bayern reisen Ehren- und Hauptamtliche oft für ein Wochenende ins Gewerbegebiet Neuhaus, um solche Horrorvisionen durchzuspielen, damit sie so glimpflich wie möglich ausgehen.
"Stück Strukturpolitik"
"Das ist auch ein Stück Strukturpolitik", freut sich Landrat Meier über den wirtschaftlichen Nebenaspekt. Der soll unter anderem in Windischeschenbach sichtbar werden, wo Investor Ralf Schneeberger einen Neubau von Übernachtungsquartieren auf dem Gelände des ehemaligen "Oberpfälzer Hofs" davon abhängig macht, wie gut die Betten mit Gästen des BayZBE ausgelastet sein könnten.
Das sollen immer mehr werden. Herrmann kündigt an, dass der Freistaat bis 2030 noch mal 18 Millionen geben will, um mit einem weiteren Bauabschnitt das Zentrum abzurunden. Diese Maßnahme soll dem Vernehmen nach in der Nachbarschaft oberhalb des BayZBE-Gebäudes entstehen. Dort befindet sich eine ungenutzte Halle, deren Investor insolvent gegangen ist.
Ob beim aktuellen Bau auf der Wiese auch ein Gewässer für Übungen angelegt wird, ist offen. Davon war während der Planung einst die Rede. Am Freitag konnte diese Frage vor Ort niemand spontan beantworten.
Das BayZBE
- Gegründet im August 2019 als gGmbH, offiziell Bayerisches Zentrum für besondere Einsatzlagen
- Sitz der Gesellschaft ist in München, das Trainingszentrum in Windischeschenbach
- Geschäftsführer sind Daniel Pröbstl und Thomas Haas
- Gesellschafter sind der Arbeiter-Samariter-Bund Bayern, das BRK, die Johanniter-Unfall-Hilfe und der Malteser Hilfsdienst
- Verschiedenste Katastrophenübungen für Rettungs- und Blaulichtorganisationen unter Einsatz modernster Simulationstechnik, Audio und Video mit anschießender Analyse
- Bau und Förderung des laufenden Betriebs durch den Freistaat Bayern
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