Windischeschenbach
26.09.2018 - 09:14 Uhr

Trommler mit neuen Seiten

Reinhard Stummreiter, "dicker Trommler" der "Altneihauser Feierwehrkapell'n", hat schon viel erlebt. Im Oktober erscheint sein erstes Buch. Auch eine Selbsthilfegruppe für stark Übergewichtige will er gründen.

Alle Bandmitglieder der "Altneihauser Feierwehrkapell'n" spielen ein Instrument, nur Reinhard Stummreiter nicht: "Ich gleiche das durch theatralisches Verhalten aus", sagt er von sich selbst Bild: fuw
Alle Bandmitglieder der "Altneihauser Feierwehrkapell'n" spielen ein Instrument, nur Reinhard Stummreiter nicht: "Ich gleiche das durch theatralisches Verhalten aus", sagt er von sich selbst

Vor ein paar Jahren wog Reinhard Stummreiter noch 300 Kilogramm - mittlerweile nur noch rund die Hälfte. Man kenne ihn hauptsächlich als den "dicken Trommler" der "Altneihauser Feierwehrkapell'n". Zum Glück passe er aber nicht in eine einzige Schublade, sagt er von sich selbst.

ONETZ: Herr Stummreiter, wonach möchten Sie am Liebsten gefragt werden?

Reinhard Stummreiter: Sie können mich alles fragen. Ich habe keine Geheimnisse.

ONETZ: Man kennt Sie in Ihrer Rolle des "dicken Trommlers" - wer sind Sie wirklich?

Reinhard Stummreiter: Zum Glück passe ich nicht in eine einzige Schublade (lacht). Ich bin vieles zugleich: Der tollpatschige dicke Trommler, Ehemann, Familienvater, Handwerker. Ich gehe einem ehrlichen Beruf nach. Ich mag das alles gerne.

ONETZ: Welche Bedeutung hat für Sie die Arbeit?

Reinhard Stummreiter: Eine große Bedeutung. Sie sichert das Einkommen und einen geregelten Lebensablauf. Ich bin in einer Spedition tätig, bin dort die Assistenz der Geschäftsleitung, mache alles was anfällt. Gelernt habe ich Gas- und Wasserinstallateur.

ONETZ: Worin finden Sie Ablenkung von der Arbeit?

Reinhard Stummreiter: Auf der Bühne! Da kann ich den Hanswurst ausleben, der ich zwischendurch gerne auch mal bin.

ONETZ: Wie sind Sie zur "Altneihauser Feierwehrkapell'n" gekommen?

Reinhard Stummreiter: Ich habe Norbert Neugirg 2002 kurz vor der Pleite meiner Gastwirtschaft kennengelernt. In der "Spielkiste" in Windischeschenbach. Ich kannte ihn damals nur vom Hörensagen. Irgendwann - nach ein paar Gesprächen an der Theke - hat er mich eingeladen, die Kapelln nach Bremen zu begleiten. Auf der Busfahrt hatten wir alle dann viel Zeit, uns kennenzulernen. So ging es los...

ONETZ: Wie ging es weiter?

Reinhard Stummreiter: Ich bin ja der einzige Nichtmusiker in dem Haufen. Das gleiche ich aber durch theatralisches Auftreten aus! Meinen ersten Auftritt mit der Kapell'n hatte ich 2005 im kleinen Saal der Max-Reger-Halle. 2006 waren wir zum ersten Mal in Veitshöchheim bei der Fastnacht in Franken. Für mich war das die erste große Bühne, und die "Altneihauser Feierwehrkapell'n" ist dabei dem breiten Publikum bekannt geworden.

ONETZ: Warum lachen die Leute über den "dicken Trommler"?

Reinhard Stummreiter: Weil er lustig ist. Tollpatschig. Warum lacht man über Clowns? Jeder will irgendwie ein Clown sein.

ONETZ: Hat Sie das nicht auch manchmal verletzt?

Reinhard Stummreiter: Nein das war nicht verletzend. Ich machte lieber Witze über mich selbst, damit sie mit mir lachen, anstatt dass ich irgendwo reingehe und sie lachen über mich.

ONETZ: Irgendwann wogen Sie 300 Kilogramm, und Norbert Neugirg stellte Ihnen ein Ultimatum...

Reinhard Stummreiter: ...entweder ich nehme ab, oder ich fliege raus. Das muss um 2010 gewesen sein. Norbert hatte Angst um mich. Wenn ich heute an die Zeit zurückdenke, war mein Leben mit diesem Körpergewicht ein Gewaltakt gegen mich selbst.

ONETZ: Hat Sie diese Drohung nicht auch verletzt?

Reinhard Stummreiter: Doch, sehr! Die Kapelle war wie eine Familie für mich. Ich wollte nicht wieder alles verlieren. Ich dachte damals: 'Was willst Du? Was bildest Du Dir ein?' Er hat mir verboten, was mir am meisten Spaß macht und gefällt - die Bühne. Neugirg und die anderen haben mich aber nicht alleine gelassen, mich bei meiner Diät und der Magenverkleinerung unterstützt und begleitet. Heute wiege ich ungefähr 160 Kilogramm, und führe ein komplett anderes Leben, kann mich wieder bewegen. Ich bin Norbert Neugirg sehr dankbar.

ONETZ: Was gibt Ihnen Halt im Leben?

Reinhard Stummreiter: Die Familie hat den höchsten Stellenwert. Sie fängt einen auf, wenn man Probleme hat. In schweren Zeiten hält man zusammen.

ONETZ: Wann haben Sie Ihre Frau kennengelernt?

Reinhard Stummreiter: Wir kennen uns seit unserer Kindheit. 2013 haben wir uns wiedergetroffen. 2015 haben wir standesamtlich geheiratet, 2017 kirchlich.

ONETZ: Was verbindet Sie?

Reinhard Stummreiter: Wir haben ein gemeinsames Schicksal. Denselben Lebensstil. Denselben Geschmack und oft dieselben Gedanken. Meine Familie gibt mir Halt.

ONETZ: Waren Sie schon einmal haltlos?

Reinhard Stummreiter: Ja da gab es eine Zeit, in der ich nicht wusste, wie es weitergehen soll. Das war während der erfolglosen Wirthauszeit, als ich die "Spielkiste" habe schließen müssen. Damals bin ich nur noch so dahin getrieben, wusste nicht was kommt. Das war zwischen 2003 und 2006.

ONETZ: Wie ging es dann weiter?

Reinhard Stummreiter: Meine Schwester Silvia hat mich damals ins Gebet genommen und mir zugehört. Wir haben zusammen einen Plan ausgeheckt, wie es weitergehen soll: musste mir neue Ziele setzen, erkennen was ich machen und erreichen will. Damals war ich pleite, hab nichts gehabt, wollte wieder in die Spur und in ein geregeltes Leben zurückfinden. Zu der Zeit hat alles keinen Sinn mehr gemacht: Eltern gestorben, 300 Kilogramm Körpergewicht, kein Geld, kein Ziel. Das musste ich alles nach und nach wieder richten.

ONETZ: Waren Sie damals einsam?

Reinhard Stummreiter: Ja. Ich hatte zwar immer viele Leute um mich, war aber trotzdem einsam, weil ich mich niemandem anvertrauen konnte. Ich hatte einen großen Bekanntenkreis, aber niemanden, zu dem ich eine engere Bindung gehabt hätte.

ONETZ: Haben Sie sich geschämt?

Reinhard Stummreiter: Ja logisch. Hab ja gefühlt nichts auf die Reihe gebracht. Nichts erreicht mit meinen 33 Jahren, keinen vernünftigen Beruf und nicht die normale Karriere, wie sie doch sonst jeder macht - mit Haus und Familie. Außer einem Berg Schulden und dem Elternhaus war das nichts. Der Gerichtsvollzieher stand vor der Tür. Ich will da nichts beschönigen.

ONETZ: Damals wohnten Sie in Friedenfels. Hat dieses Umfeld ihr Selbstbild und ihre Erwartungen ans Leben beeinflusst?

Reinhard Stummreiter: Ich bin in Erbendorf geboren und in Friedenfels aufgewachsen. Auf dem Dorf gibt es schon ein spezielles Schamgefühl. Habe mich damals richtiggehend im Haus versteckt.

ONETZ: Sie sind in Friedenfels aufgewachsen. Die Leute kennen Sie von klein auf. Fühlten Sie sich verstanden?

Reinhard Stummreiter: Damals nicht. Mittlerweile schon wieder. Damals hatte ich irgendwie eine Blockade im Kopf, nach dem Motto: Jeder arbeitet gegen mich. Keiner versteht, was ich will. Hatte damals ein komisches Gefühl aufgebaut. Dass die ganze Welt gegen mich ist, dass nichts passt, alles verkehrt läuft. Ich glaube ich hatte damals eine ziemlich tiefe Lebenskrise - alles war weg. Irgendwann habe ich mich dann neu orientiert, neu aufgestellt.

ONETZ: Sind Sie selbstbewusst?

Reinhard Stummreiter: Ja, sonst wäre ich damals nicht unter die Leute gegangen. Man muss sich Fehler eingestehen. Sagen wir ich bin selbstsicher, aber auch verletzbar.

ONETZ: Was würden Sie Menschen empfehlen, die nicht mehr weiter wissen?

Reinhard Stummreiter: Unbedingt Hilfe zulassen und annehmen! Mir hat damals das Gespräch mit meiner Schwester und meiner Familie sehr geholfen. Die haben mich wieder in die Spur gebracht, mir gezeigt, dass ich gebraucht werde und wichtig bin. Wichtig ist auch, dass man lernt loszulassen. Man muss auch mal was wegschmeissen, damit es weitergehen kann. Und man muss nach vorne blicken. Egal was passiert, ob ein Todesfall oder eine Trennung: Die Erde steht kurz still, dann dreht sie sich im selben Moment weiter.

 
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