Wunsiedel
08.07.2025 - 11:26 Uhr

"West Side Story" auf der Luisenburg: Zum Heulen schön und brutal

Karten kaufen? Diese Kritik der "West Side Story" erklärt in fünf Punkten, wie die Luisenburg die tragische Liebesgeschichte aus den 1950er Jahren inszeniert, die ein New Yorker Bandenkrieg zerstört.

Wer viel für sein Geld bekommen will, ist in dieser "West Side Story" in jedem Fall richtig: 26 Ensemble-Mitglieder, 19 Orchestermusiker und ein Dirigent strampeln sich in der neuen Musical-Inszenierung der Luisenburg-Festspiele ab, um New York nach Wunsiedel zu holen. Bei der fast ausverkauften Premiere bejubelte das Publikum am Samstag­ dieses gelungene Feuerwerk aus Schauspiel, Tanz, Gesang und Musik mit Standing Ovations. Szenenapplaus gab es nach nahezu jedem Lied.

1. Inhalt

Die tragische Liebesgeschichte von Maria und Tony – eine moderne Version von "Romeo und Julia" – steht im Mittelpunkt des Musicals. Statt verfeindeter italienischer Familien wie bei Shakespeare bekämpfen sich in der "West Side Story" Jugendbanden im New York der 1950er Jahre. Tony gehört zu den weißen, amerikanischen Jets, die sein bester Freund Riff anführt. Marias Bruder Bernardo gibt bei den puerto-ricanischen Sharks den Ton an. Als Tony versucht, einen Kampf zu beenden, sticht Bernardo auf Riff ein. Um den Tod seines besten Freundes zu rächen, tötet Tony Bernardo. Trotzdem will Maria mit Tony durchbrennen – doch er erhält eine gefälschte Nachricht über Marias Tod.

2. Inszenierung

Rassismus ist das große Thema des fast 70 Jahre alten Musicals – deshalb hätte sich die "West Side Story" leicht in die Gegenwart übertragen lassen. Weil jedoch strenge amerikanische Rechte Aktualisierungen verbieten, spielt die neue Luisenburg-Inszenierung wie Jerome Robbins Original im New York der 1950er Jahre. Dennoch wird in Wunsiedel deutlich, wie aktuell die Probleme sind, die Hass und Gewalt nach sich ziehen.

Krankheitsbedingt konnte Peter Hohenecker, der auf der Luisenburg sehr erfolgreich "Sister Act" inszenierte, bei der "West Siede Story" lediglich das Regiekonzept entwerfen, dann übernahmen Torsten Ankert und Choreograf Tim Zimmermann die beeindruckende Produktion, die mit Präzision punktet. Nicht nur beim Tanzen sitzt jede Bewegung und jeder Blick spricht Bände. Alles ist aufgeladen mit dieser unglaublichen Emotionalität, die das Musical seit fast 70 Jahren weltweit zum Kassenschlager macht.

Sehr schön inszeniert ist zum Beispiel die Kennenlern-Szene des Liebespaars: Während der Dancefloor bebt, stehen Maria und Tony wie angewurzelt mittendrin. Klar wird: Sie befinden sich in einer anderen Sphäre. Die Anziehung der Verliebten verdeutlichen ihre Oberkörper, die sich wiederholt in Zeitlupe aufeinander zu bewegen.

Ebenso eindrucksvoll inszeniert wie die zauberhaften Liebesszenen sind die Auftritte der harten Halbstarken und ihrer eitlen Freundinnen. Jedes Ensemblemitglied bekommt so viel Raum, um seine Figur zu charakterisieren, dass der Gesamteindruck umso stärker wirkt. Zudem dreht das Regie-Duo Ankert und Zimmermann zwischendurch schon mal das Füllhorn aller Töne ab, damit die Totenstille abgrundtiefe Bände sprechen kann.

Neben seiner Regie-Tätigkeit spielt Torsten Ankert in der "West Side Story" auch den Officer Krupke und den Doc, der mahnt, endlich aufzuhören: "Warum müsst ihr töten?" In diesem Rollen agiert Ankert so gewohnt professionell wie seit 2019 in etlichen anderen auf der Luisenburg, etwa in "Grease", "Madagaskar", "Sister Act", "Jesus Christ Superstar" und "Pippi Langstrumpf".

3. Schauspieler

Das Zuckerstück der neuen Inszenierung ist Sarah Weidinger als Maria – nicht nur optisch: Gerade mal einen Monat, nachdem die Österreicherin ihr Musik- und Theaterstudium in Wien beendet hat, verkörpert die 24-Jährige im Fichtelgebirge souverän die Hauptrolle in dem weltberühmten Bernstein-Musical. Bei der Premiere katapultierte sie sich damit direkt in die Herzen von fast 2000 Zuschauern. Chapeau.

Weidinger macht deutlich, wie diese zarte Maria in America erblüht. Die unerfahrene Puertoricanerin hofft, Grenzen zu sprengen zu können, als sie sich ausgerechnet in Tony von der gegnerischen Jet-Bande verliebt. Doch der Strudel aus Hass zieht Maria den Boden unter den Füßen weg.

Luisenburg-Gäste, denen der Nachname bekannt vorkommt, erinnern sich vermutlich an Sarah Weidingers Schwester Anna-Sophie Weidinger, die im Musical "Seele für Seele" in dieser Saison in Wunsiedel ebenfalls eine Hauptrolle übernimmt, die der Karin. Außerdem wirkt sie als Graziella in der "West Side Story" mit.

Beeindruckend spielt und singt auch Bosse Vogt auf der Luisenburg den verliebten Tony. Mit blonder Föhnfrisur und gepflegten Klamotten gibt er ihn als besänftigenden Schönling unter den aufbrausenden Prolls – als einen, der zwar raus will aus der Gosse, aber trotzdem keinen Freund hängen lässt.

Knaller Nummer drei ist in dieser Inszenierung Nico Schweers als Riff. Fantastisch demonstriert er, wie es innerlich gärt in dem Testosteron-geladenen, auf Krawall gebürsteten Anführer der Jets – sogar wenn er "Bleib cool, Boy" singt und sich ruhig verhält. Ein gefährliches Pulverfass. Lange bevor etwas passiert, strahlt Schweers schon subtil aus, dass es gleich knallt. Adäquates Pendant dazu ist Manuel Nobis als Marias hitzköpfiger Bruder und Shark-Anführer Bernardo. Seine Freundin, den heiße Tanz-Feger Anita, spielt Karin Seyfried auf stimmlich und tänzerisch hohem Niveau.

4. Bühnenbild und Kostüme

Felsen und Fichten? Vergessen. Bühnenbildnerin Sabine Lindner schafft es, New York City auf die 30 Meter hohe Naturbühne zu holen. Hochhaus-Attrappen und gut bespielbare Gerüste symbolisieren die Häuserschluchten. Das i-Tüpfelchen bildet weiter oben eine große Brücke, auf der es sich super singen, tanzen und spielen lässt. Echte Hingucker sind auch die 50er-Jahre-Kostüme von Maria Pauer – besonders die farbenfrohen, schwingenden Tanzkleider.

5. Musik und Choreografie

"Das aufwendigste Stück, das Sie bei uns jemals gesehen haben", versprach Luisenburg-Chefin Birgit Simmler den Premieren-Gästen. Sie hielt Wort: Das Publikum sah und hörte nicht nur die 26 Schauspieler, sondern rechts auf der Bühne auch das 19-köpfige Orchester unter Leitung von Peter Christian Feigel, das Leonard Bernsteins berühmten Musical-Mix aus klassischen Elementen und operettenhaftem Broadway-Sound spielte. Ob bei "Mambo", "Maria", "America", "Cool" oder "Heut Nacht": Musiker, Sänger und Tänzer agierten so mitreißend, dass es nach fast jedem Lied Szenenapplaus gab.

Keine leichte Aufgabe hat Choreograf Tim Zimmermann, der die New Yorker Puppen auf der Felsenbühne tanzen lassen musste. Weil Showelemente wie "Mambo" viel Platz und festen Boden brauchen, realisiert das Ensemble sie unten auf der großen Bühne. Alle übrigen Szenen verteilen sich toll auf den unterschiedlichen Ebenen der Naturbühne sowie auf der Brücke, die New York nach Wunsiedel brachte.

 
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