Bayern
20.06.2022 - 09:08 Uhr

Holt mich aus der Tinder-Hölle

Dating-Apps sollen eigentlich eine bequeme Alternative zum Treffen im echten Leben sein. Kira Lorenz versauen sie allerdings nur die Lust darauf, jemanden kennenzulernen.

Schon die kleine Flamme auf dem Logo der App hätte ein Warnzeichen sein sollen: Willkommen in der Hölle. Bild: Catherine Waibel/dpa
Schon die kleine Flamme auf dem Logo der App hätte ein Warnzeichen sein sollen: Willkommen in der Hölle.

Warum bin ich schon wieder hier? Es fühlt sich an wie eine Strafe. Du bist schon wieder zwischenmenschlich gescheitert? Nochmal eine Extrarunde durch den Tinder-Katalog! Das ist übrigens wirklich so: wahre Tinderveteranen wissen, wenn man mal alle Gesichter durch hat, werden sie noch ein zweites, gar ein drittes Mal mit in die Rotation gemischt.

"Zu Vino sag ich nie no", "Wir haben uns wohl im Supermarkt noch nicht getroffen, vielleicht also hier?", "Bitte hab nach dem Duschen noch Augenbrauen", alles hundertmal gelesen. "Wenn mein Latein besser ist als dein Hochdeutsch, haben wir grundsätzlich ein Problem". Okay, Herr Latinum. Die Frage ist also wirklich, warum tue ich mir das schon wieder an? Ursprünglich war ich eigentlich nur neugierig, ob ich auf bekannte Gesichter stoße. Bin ich! Meine Freunde bekommen – unfreiwillig – Screenshot über Screenshot von ehemaligen Klassenkameraden, Bekannten, die eigentlich in Beziehungen sind, oder einfach skurrilen Profilen.

Inzwischen ist die Sensationslust in eine Art Manie übergeschwappt. Mein innerer Scanner ist perfekt kalibriert, zu perfekt. "Spreche fließend Sarkasmus", nach links gewischt. Nur Fotos vom Auto, nach links gewischt. 20, Raucher, nach links gewischt. Viel bleibt da nicht übrig. Bin ich einfach zu wählerisch? Aber ein bisschen passen muss es doch auch.

Und wenn ich dann sogar ein Match habe, das sogar antwortet, verstehen wir uns vielleicht sogar ganz okay, sehen über die eigene Langweiligkeit hinweg, sogar über die des Gegenübers, plötzlich - Funkstille. Vielleicht hat er meine Nummer verloren? Ach, ne, so funktioniert das nicht. Tinder macht es einem auch zu einfach, von jetzt auf gleich von der Bildfläche zu verschwinden. Gut, ich muss zugeben, dass ich das auch ein, zwei Mal gemacht habe. Da habe ich mir wohl mein Karma versaut. Die plötzliche Funkstille, das ist die wahre Strafe. Ich zweifle an mir, an meinen sozialen Fähigkeiten. Bin ich wirklich so uninteressant? Oder liegt es doch eher daran, dass ich nicht locker genug ans Tindern herangehe? Auf jeden Fall lernt man hier, mit Körben umzugehen.

Vielleicht habe ich ein Problem. Vielleicht bin ich das Problem. Wartet nur, bis ich so weit bin, diese Höllen-App wieder zu löschen. Dann finden wir das heraus.

Hintergrund:

OTon

Wir sind junge Mitarbeiter der Oberpfalz-Medien. In unserer Kolumne „OTon“ schreiben wir einmal in der Woche über das, was uns im Alltag begegnet – was wir gut finden, aber auch, was uns ärgert. Dabei geht es weniger um fundierte Fakten, wie wir sie tagtäglich für unsere Leser aufbereiten, sondern um unsere ganz persönlichen Geschichten, Erlebnisse und Meinungen. Wir wollen zeigen, dass nicht nur in Hamburg, Berlin oder München Dinge passieren, die uns junge Menschen bewegen. Alle Teile dieser Kolumne sind zu finden unter onetz.de/oton.

 
Kommentare

Um Kommentare verfassen zu können, müssen Sie sich anmelden.

Bitte beachten Sie unsere Nutzungsregeln.

Klicken Sie hier für mehr Artikel zum Thema:
Zum Fortsetzen bitte

Sie sind bereits eingeloggt.

Um diesen Artikel lesen zu können, benötigen Sie ein OnetzPlus- oder E-Paper-Abo.