29.12.2022 - 15:42 Uhr

Kakophonie des Grauens

Im OTon schreibt Wolfgang Ruppert über die Erfahrung, eine Gitarre beim größten Musikhändler Europas testen zu wollen, während alle um ihn herum dasselbe machen. Eine Geschichte über Musiker, die sich gegenseitig das Leben schwer machen.

Wolfgang Ruppert spricht darüber, wie schwer es ist, eine Gitarre zu testen, wenn alle um einen herum dasselbe machen. Symbolbild: Paul Zinken/dpa
Wolfgang Ruppert spricht darüber, wie schwer es ist, eine Gitarre zu testen, wenn alle um einen herum dasselbe machen.

Vor ein paar Tagen war es wieder Zeit. Wir haben einen Ausflug zum Laden des größten Musikhändlers in Europa gemacht. Der ist erstaunlich nah. Erstaunlich auch, dass das Ladengeschäft gemessen am Umfang des Online-Geschäfts ziemlich klein ist. Zwei Dinge habe ich gelernt. Erstens: Auch wenn man sich selbst für einen ziemlich guten Musiker hält, gibt es viele andere, die weit besser sind und noch mal viele weitere, die mindestens genauso gut sind. Zweitens: Wenn man dabei ist zu zeigen, wie virtuos man ein Instrument beherrscht, fällt einem nie auf, dass man mit dem Erzeugnis Außenstehenden mitunter ziemlich auf die Nerven geht.

Wir hatten das Ziel, mit einer neuen Akustik-Gitarre nach Hause zu fahren. Also sind wir rein ins "Guitar-Center". Gitarren in allen nur erdenklichen Variationen vom Boden bis zur Decke. Wenngleich ich unglaublich begeistert war und diese Wände stundenlang nur anschauen hätte können, um mich am Glanz sämtlicher Musikerträume in einem Raum zu ergötzen, ist und noch was aufgefallen. Es war ziemlich voll. Und auch ziemlich laut. Die Idee, das Weihnachtsgeld gleich bei der ersten Gelegenheit wieder in hartes Holz umzuwandeln, hatten offenbar mehr Menschen. Wir schlängelten uns bis in die Abteilung mit den Akustik-Gitarren. Ich hatte die Hoffnung, dass es da besser ist. Fehlanzeige. Es war voll wie in einem Festzelt oder auf einem Konzert. Ein bisschen roch es auch so. Wir fingen an, uns Modelle auszusuchen und wollten sie testen. Man muss ja wissen, wie es klingt. Wer kauft schon die Katze im Sack. Da fiel mir auf, dass ich gar nicht hören konnte, wie sie klingt, weil gefühlt tausend andere Leute um mich rum den gleichen Plan hatten. Da waren Väter, die eigentlich mit ihren Söhnen Gitarren aussuchen wollten, aber so von der Atmosphäre gepackt wurden, dass sie voll reinhauten. Leute, die noch nicht lange spielen, das aber durch ihre Lautstärke übertünchen wollten. Einer hat allen Ernstes "Stairway to Heaven" angespielt, obwohl jeder Gitarrist weiß, dass das im Musikgeschäft verboten ist. Zusammengenommen war das eine akustische Kakophonie des Grauens.

Am Ende haben wir gefunden, wonach wir gesucht haben. Ich weiß auch, dass ich mit meinem Geklimper in der Masse ähnliche Gefühle, wie ich sie habe, bei den Menschen um mich herum ausgelöst habe. Aber so läuft das Spiel eben. Und ganz ehrlich: Ich finde es fantastisch. Allerdings bewundere ich die Mitarbeiter im vermutlich coolsten Job der Welt für ihre Nerven aus Stahl, die sie tagtäglich unter Beweis stellen müssen.

Hintergrund:

OTon

Wir sind junge Mitarbeiter der Oberpfalz-Medien. In unserer Kolumne „OTon“ schreiben wir einmal in der Woche über das, was uns im Alltag begegnet – was wir gut finden, aber auch, was uns ärgert. Dabei geht es weniger um fundierte Fakten, wie wir sie tagtäglich für unsere Leser aufbereiten, sondern um unsere ganz persönlichen Geschichten, Erlebnisse und Meinungen. Wir wollen zeigen, dass nicht nur in Hamburg, Berlin oder München Dinge passieren, die uns junge Menschen bewegen. Alle Teile dieser Kolumne sind zu finden unter onetz.de/oton.

 
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