18.01.2022 - 17:17 Uhr

Worte zum Glauben

Ein Interview von Vanessa Lutz zum Kirchenaustritt hat teils hohe Wellen geschlagen. Im aktuellen OTon schreibt sie über das Recht auf Selbstbestimmung, das enge ländliche Korsett und das scheinbare Abhandenkommen eines höflichen Diskurses.

Ein Meinungsbeitrag zum Kirchenaustritt sorgte für hitzige Leserbriefe. Bild: Lino Mirgeler/dpa
Ein Meinungsbeitrag zum Kirchenaustritt sorgte für hitzige Leserbriefe.

Kürzlich habe ich mich geoutet. Ich habe es gewagt, öffentlich zuzugeben, vor ein paar Jahren aus der Kirche ausgetreten zu sein. In einer Podcastfolge meiner geschätzten Kollegen habe ich mit einem beeindruckenden Kaplan darüber und über die schwierige Lage der katholischen Kirche diskutiert. Ich habe in diesem Gespräch recht ausführlich meine Beweggründe geschildert, die ich mir nicht leicht gemacht habe. Das Hadern. Meinen Glauben, den ich losgelöst von der Institution in mir trage. Meine Haltung. Ein Auszug des fast einstündigen Gesprächs ist - aus Platzgründen gekürzt - bei Oberpfalz-Medien erschienen.

Schon einen Tag nach Erscheinen habe ich zahlreiche Zuschriften und Anrufe erhalten. Über einen Austausch freue ich mich für gewöhnlich immer - vor allem bei konträren Meinungen und Ansichten. Sie erweitern den Horizont, lassen einen gewisse Dinge manchmal mit anderen Augen sehen. Doch im aktuellen Fall war ich teilweise, gelinde gesagt, entsetzt.

Mir wurde von mir fremden Menschen offen und freimütig abgesprochen, eine Meinung haben zu dürfen und zu können. Mit 26 Jahren sei ich "zu jung" und "dumm". Egoistisch sei ich noch dazu, ich würde die Solidargemeinschaft mit Füßen treten. Außerdem gehe es mir, so die Meinung der Meisten, nur um die Kirchensteuer, die ich nicht abzwacken wolle. Und "Gott sei Dank" habe ich keine Kinder - denn diese würden meinetwegen ganz bestimmt in der Schule und am Dorf gemobbt und ausgeschlossen werden. Verständnislosigkeit herrscht auch, wie ich für meinen Arbeitgeber tragbar sein kann nach diesem Interview.

Für mich war die Art dieses Diskurses beschämend. Sie legte offen, auf welch gefährlichem Terrain wir uns bewegen, indem konträre Meinungen nicht vernünftig und gerne auch kontrovers diskutiert werden können, sondern Argumente so massiv ins Persönliche abdriften - bis hin zum offen geäußerten Wunsch, ich verliere meine Arbeit und soll mich warm anziehen, wenn ich eines Tages im Sterben liege. So klingt christliche Nächstenliebe eigentlich nicht.

Meine Entscheidung aus der Kirche auszutreten, nachzuhören auf gängigen Audio-Plattformen, habe ich mir nicht leicht gemacht. Ich glaube. Und ich schätze die gute Arbeit vieler Menschen, die für die Institution im Einsatz sind, sehr wert. Doch eines war mir klar: Ich bleibe nicht, nur aus Furcht, was andere denken könnten. Die Reaktionen auf meine Haltung zeigen mir allerdings schonungslos den Grund, warum viele nicht den Mut haben, diesen Schritt zu gehen. Obwohl sie ähnlich denken und fühlen wie ich.

OnetzPlus
Sulzbach-Rosenberg30.12.2021
Hintergrund:

OTon

Wir sind junge Mitarbeiter der Oberpfalz-Medien. In unserer Kolumne „OTon“ schreiben wir einmal in der Woche über das, was uns im Alltag begegnet – was wir gut finden, aber auch, was uns ärgert. Dabei geht es weniger um fundierte Fakten, wie wir sie tagtäglich für unsere Leser aufbereiten, sondern um unsere ganz persönlichen Geschichten, Erlebnisse und Meinungen. Wir wollen zeigen, dass nicht nur in Hamburg, Berlin oder München Dinge passieren, die uns junge Menschen bewegen. Alle Teile dieser Kolumne sind zu finden unter onetz.de/oton.

 
Kommentare

Um Kommentare verfassen zu können, müssen Sie sich anmelden.

Bitte beachten Sie unsere Nutzungsregeln.

Ulla Britta Baumer

Zuerst einmal musste ich beim Lesen des Kommentares von Vanesssa Lutz mehrmals Werbungen losbringen, die wieder einmal mitten in den Text gesprungen sind und mich gezwungen haben, sie zu beachten und nicht den von mir ausgewählten Beitrag. Dann musste ich eine Weile jede Menge andere für mich uninteressante Berichte wegscrollen, darunter wieder Werbung, um zum Kommentarkasten zu gelangen. Das nur am Rande. Aber es muss einmal erwähnt werden, was wir alles mit uns machen lassen, um im Netz miteinander diskutieren zu können. Die Erfahrungen von Vanessa Lutz zu ihrem Kirchenaustritt sind unschön und wirklich diskussionsbswürdig. Aber sie sind nicht die Regel. Ich bin bereits vor vielen Jahren ausgetreten und hatte nie Probleme damit. Wo auch immer das Gespräch eine Erklärung erfordert, ob privat oder im beruflichen Umfeld, wird meine Entscheidung normal akzeptiert. Natürlich gibt es Diskussionen über das Wenn und Aber, über Pro und Kontra. Diese Gespräche sind immer sachlich ohne jegliche böse Anschuldigungen. Alle haben bisher meine Entscheidung akzeptiert und respektiert, darunter tiefgläubige Bekannte. Ich rate Vanessa Lutz, die Gespräche persönlich zu suchen zum Thema und nicht im Netz. Facebook und Co., weil weitgehend anonym, werden - wie wir alle wissen - dafür missbraucht, sich aggressiv gegenüber anderen zu outen. Weil es leicht ist, im Netz jemand zu beleidigen und böse anzugreifen, wird das eifrig ausgenutzt. Das ist aber Gott sei Dank nur die kleinere Gruppe Menschen, die sich so verhält. Eine falsche Wahrnehmung im Netz schaukelt uns aber bereits bei einigen wenigen Angriffen gegen unsere Person vor, "alle" seien plötzlich gegen uns. Das ist natürlich nicht so. Liebe Vanessa, suchen Sie bei Ihrem Thema das persönliche Gespräch. Sie müssen niemandem gegenüber Ihren Kirchenaustritt verschweigen. Wir sind eine moderne, multikulturelle Gesellschaft. Auch auf dem Land. Sie werden sehen, die weit größere Gruppe Ihrer Diskussionspartner wird Ihre Glaubensentscheidung selbstverständlich respektieren. "Die" im Netz sind niemals beispielhaft für ein allgemeines Meinungsbild. Und das dürfen wir auch niemals zulassen. Denn das Netz ist eine Scheinwelt Viel zu vieles in Facebook und Co ist ein Trugschluss, dem leider vor allem gern junge Leute unterliegen, die sich viel in Social Media bewegen.

27.01.2022
Klicken Sie hier für mehr Artikel zum Thema:
Zum Fortsetzen bitte

Sie sind bereits eingeloggt.

Um diesen Artikel lesen zu können, benötigen Sie ein OnetzPlus- oder E-Paper-Abo.