Die Oberpfalz ist bekannt für ihre Tradition der Glasherstellung. Doch seit der Pleite vieler Hütten zur Jahrtausendwende verschandeln brachliegende Fabriken die Gegend - und nicht nur das.
Viele Anwohner sind sauer, sie sorgen sich wegen der Giftstoffe im Boden um ihre Gesundheit. Wie in Altenstadt/WN, wo im Umfeld zweier stillgelegter Glasfabriken Gärten nicht mit belastetem Grundwasser aus Brunnen gegossen werden sollten. "Ich kann nicht nachvollziehen, warum die Behörde nicht handelt. Es müsste längst mit einem Abriss und der Sanierung begonnen werden. Aber die sind nicht scharf darauf, die Bürger zu informieren", schimpft ein Senior über das zuständige Landratsamt.
Worum geht es genau? Rund um die stillgelegten Anlagen - vom Landesamt für Umwelt (LfU) als "Altstandorte" bezeichnet - finden sich häufig hochgiftige Metalle in den Böden. Insgesamt 154 Altlastenflächen weist das LfU im öffentlich zugänglichen Altlastenkataster für die Oberpfalz aus - hinzu kommen 1752 noch nicht bestätigte "Verdachtsflächen". Laut Martin Biersack vom LfU geht von jeder bestätigten Last "zumindest im Teil eine Gefahr aus".
Blei, Arsen und Fluorid im Wasser
Die meisten Fälle finden sich in der mittleren und nördlichen Oberpfalz. Dazu gehören beispielsweise die Hinterlassenschaften des Braunkohleabbaus im Raum Schwandorf oder Schadstoffe auf ehemaligen Bundeswehrstandorten wie in der Amberger Leopoldkaserne. Allein in den Kreisen Schwandorf und Neustadt/Waldnaab sowie der Stadt Weiden gibt es zusammen 89 Altlasten.
Wie unsere Grafik zeigt, sind darunter sechs ehemalige Glasfabriken. Laut Altlastenexperte Markus Zapf vom Landratsamt Neustadt/WN handelt es sich bei den früheren Bleikristallhütten Hofbauer und Beyer in Altenstadt/WN um die "schwersten Fälle in der Gegend". Der Leiter der Abteilung Öffentliche Sicherheit, Ordnung und Abfallwirtschaft bestätigt, dass auf beiden Grundstücken durch Messungen Blei, Arsen und Fluorid im Boden nachgewiesen wurden. "Alle drei Stoffe sind inzwischen auch im Grundwasser", weiß Zapf. "Die Hütten gibt es seit über 100 Jahren. Der Umweltschutz war damals noch nicht gesetzlich verankert, man ist mit den Giftstoffen sorglos umgegangen und hat sie einfach auslaufen lassen."
Über 20 Messstellen gibt es Zapf zufolge auf den Grundstücken von Beyer und Hofbauer. "Manche Werte liegen deutlich über dem zulässigen Höchstwert." Es müsse deshalb zwingend etwas getan werden. Zudem seien bei Hofbauer bestimmte Areale wie das Gemengehaus gesperrt, weil dort giftige Stäube die Luft verseuchen. Bei Beyer hingegen sind Teile der Ofenhalle inzwischen eingestürzt, dort befindet sich die höchste Arsen-Konzentration. Eine spätere Sanierung wird dadurch erschwert. Unmittelbare Gefahren für den Menschen würden Zapf zufolge zwar nicht bestehen - solange das belastete Grund- nicht ins Trinkwasser gelange. Das Gießen der Gärten aus Brunnen empfiehlt sich für die Anwohner deshalb nicht. Weil Pflanzen die Gifte über das Grundwasser aufnehmen, könnten sie zudem in den Futterkreislauf gelangen.
In Fällen wie in Altenstadt greift das Bayerische Bodenschutzgesetz. Es gibt detailliert vor, dass und wie Altlasten untersucht und saniert werden müssen. Dazu ist der Eigentümer verpflichtet. Im Falle von Beyer ist das die Industrieanlagen-Verwaltung und Vermietung GmbH (IVV) aus Nürnberg. Das Problem: Die Produktionsgesellschaften sind seit knapp 30 Jahren pleite. Zwar könnten die heutigen Eigentümer per Zwangsgeld zum Handeln gezwungen werden, doch "langen Sie einem Nackerten mal in die Tasche", sagt Zapf dazu lapidar. Bisher habe es juristisch keine Möglichkeit gegeben, die IVV zur Kasse zu bitten. Folglich übernimmt das Landratsamt alle nötigen Untersuchungen in sogenannter "Ersatzvornahme".
Allein in Altenstadt fielen für die Gutachten und Bohrungen sowie eine Abgrenzung der Gift-Schwerpunkte mehrere 100 000 Euro Kosten an - "vielleicht haben wir sogar schon die Millionengrenze überschritten", informiert Zapf über Geld des Steuerzahlers.
Höchstwerte deutlich überschritten
Obwohl die ersten Untersuchungen bereits in den 1990er Jahren durchgeführt wurden, befindet sich die Behörde noch immer in der Untersuchungsphase. Die eigentliche Sanierung hat noch nicht begonnen - "und das wird auch die nächsten Jahre nichts", gibt Zapf zu. Neue Gift-Fundorte würden neue Untersuchungen nach sich ziehen. Gutachten von externen Experten dauerten teils Jahre und würden bis zu 400 Seiten umfassen. Aufträge für Baufirmen müssten langwierig ausgeschrieben werden und werden zwecks hoher Auftragslage in der Baubranche oft abgelehnt. Zapf wirbt um Verständnis: "Das ist der Grund, warum sich das so elendig lange hinzieht. Die zwei Fabriken sind eine Mega-Altlast, beurteilte mir gegenüber eine Gutachterin."
Auch ein Totalabriss ist keine einfache Lösung. "Wenn es so einfach wäre", sagt der Experte. "Das kostet einen hohen zweistelligen Millionenbetrag und führt dazu, dass, wenn die Gebäude als Versiegelung weg sind, die Giftstoffe im Boden durch den Niederschlag ausgeschwemmt werden."
Für wahrscheinlicher, weil kostengünstiger, hält der Experte zumindest mit Blick auf das Beyer-Gelände, nur die Belastungsschwerpunkte auszubaggern und die Fläche anschließend zu versiegeln. Damit würde die Grundwasser-Belastung oberirdisch abgekapselt. Selbst diese Option führt zu weiteren Problemen: "Wenn das Gelände ausgekoffert wird, produziere ich riesige Mengen giftiger Erde, die deponiert werden müssen." Doch das sind bisher alles theoretische Planspiele. In der Praxis existieren keine konkreten Beschlüsse.
Man ist mit den Giftstoffen damals sorglos umgegangen und hat sie einfach auslaufen lassen.
Bei den Anwohnern der Altenstädter Brachen sorgt die jahrzehntelange Hängepartie für Unverständnis und Frust. Ein Mann, der anonym bleiben möchte, schimpft über das Landratsamt: "Die fangen mit ihren Untersuchungen bei Null an. Derweil ist klipp und klar, worum es geht. Es müsste längst mit einer Sanierung begonnen werden. Die Arbeiten immer noch mit Samthandschuhen und müssten stärker durchgreifen." Dem 68-Jährigen stößt vor allem sauer auf, dass die IVV als Eigentümer der Beyer-Ruine nach wie vor Gewinne erwirtschaftet. "Die Hallen von Beyer sind noch immer vermietet als Lagerfläche. Der Besitzer ist ein ausgefuchster Anwalt, der weiß genau, wo er Gesetzeslücken findet."
Auf Anfrage von Oberpfalz-Medien entgegnet IVV-Geschäftsführer Norbert Oswald: "Die Hallen sind vermietet, solange das gesetzlich zulässig ist." Seiner Meinung nach solle sich das Landratsamt in Neustadt/WN "eher mal Gedanken über seine Methoden machen": "Die haben vor zwei Jahren unter Androhung schlimmster Zwangsmaßnahmen eine Räumung der Hallen veranlasst. Das hat einen Mieter sogar in den Selbstmord getrieben, weil er seine Existenz gefährdet sah."
Und was ist mit den Giftstoffen? "Wir müssen hier klar zwischen einer abstrakten und einer konkreten Gefahr unterscheiden. Dass eine Belastung im Boden ist, will ich ja nicht kleinreden. Aber die Untersuchungen zeigen, dass keine Gefahr im Verzug ist - ansonsten hätte das Amt ja schon längst handeln müssen." Die Sorgen der Anwohner interessieren Oswald nicht: "Die Bedenken der Anwohner sind mir nicht bekannt. Ich sehe keine Möglichkeit, darauf einzugehen. Die Verantwortung liegt beim Landratsamt."
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