Amberg
28.01.2019 - 14:43 Uhr

Aufrührende Faszination

Am späten Sonntagnachmittag startete im Stadttheater ein seltenes, anspruchsvolles Konzertprojekt: Der Pianist Herbert Schuch (39) wird an mehreren Abenden Beethovens 32 Klaviersonaten spielen.

Eine Seltenheit selbst in Kultur-Metropolen: Herbert Schuch spielt im Stadttheater alle 32 Klaviersonaten Beethovens. Im ersten Recital fasziniert er mit Sensibilität, Beweglichkeit und Kraft. Bild: Stephan Huber
Eine Seltenheit selbst in Kultur-Metropolen: Herbert Schuch spielt im Stadttheater alle 32 Klaviersonaten Beethovens. Im ersten Recital fasziniert er mit Sensibilität, Beweglichkeit und Kraft.

Sie haben einen kompositorisch überragenden Rang, vergleichbar mit Bachs „Wohltemperiertem Clavier“. Schuch ist kein Unbekannter in Amberg: Vor Jahren hatte er mit dem gesamten Janácek-Klavier-Œvre fasziniert. Als Instrument dient der Steinway des Hauses, frisch nachintoniert und gestimmt von Marcus Pfister (Pilsach), er hat dem Flügel an spitzem Stahlklang genommen und an grundtönigerer Farbe gegeben. Beethovens Sonaten entstanden zwischen 1795 und 1823, in diesen 28 Jahren haben sich in Wien Klavierbau und Klangideal rasant verändert. Letzteres ist trotz seiner Vielfalt Dimensionen von dem eines modernen Flügels entfernt, das sei ins Bewusstsein gerufen.

Schuch schreitet prinzipiell chronologisch voran, möchte zudem zusammengehörige Gruppen nicht auseinander reißen: Im ersten Konzert das Dreierpack der frühen Sonaten op. 2/1-3 (1795, Haydn gewidmet), der „kleinen“ f-Moll Sonate op. 2/1 die „große“ op. 57 zur Seite gestellt, die der Verleger Cranz 1838 „Appassionata“ betitelte. Leider ist das Programmblatt minimalistisch, es verrät weder Details zu den Sonaten noch zum Gesamt-Konzept des Zyklus.

Talent im Aufbruch

Deren Formprinzipien sind noch nahe der Tradition eines Haydn, doch wittert das Menuetto in op. 2/1 schon die frische Luft der schnelleren Scherzos ihrer Geschwister. Im Kopfsatz der 3. Sonate erscheint Sonaten-untypisch eine Kadenz, Schuch interpretiert dieses Novum mit bedeutungsvollem Gewicht, nicht mit eleganter Beiläufigkeit.

Die frühe f-Moll-Sonate steht am Beginn: Schuch überspielt nie die rhythmisch strenge, fast trotzige Viertel-Dickköpfigkeit des Themas mit Punktierung und Triole im Schlepptau. Die lyrischen Themen gestaltet er mit romantisch freier Agogik, wie in Vorahnung der stilistischen Entwicklung Beethovens. Extrem langsam der Viertel-Puls im Adagio - immerhin stehen 32stel-Noten an, in Takt 23. Schuch wirft damit ein Licht auf einen Charakterzug Beethovens, die Tendenz zu Extremen. Kraftvoll, wutbebend das finale Prestissimo.

Ab der A-Dur-Sonate op. 2/2 (Schuch nimmt die frech aufsteigenden „Raketen“-Figuren“ mit Witz) mehren sich dann orchestrale Klangeffekte, denen er mit fein differenziertem Klangsinn nachspürt, etwa im D-Dur-Largo den quasi-Bläserakkorden plus gezupften Bässen. Bei der dritten Sonate in C setzt er dann bei den Oktavgängen, Akkordbrechungen und Läufen einen Markstein anspruchsvoller Virtuosität, die nie wie bloß gut trainierte Geläufigkeit wirkt.

Beschleunigte Stretta

Bei der 1805 entstandenen „Appassionata“ op. 57, einem wahren Giganten der Sonatenliteratur bricht sich das geniale Talent Beethovens gänzlich Bahn: Ganz der moderne, selbstbewusste Künstler-Bürger modifiziert er traditionelle Formmuster, überrascht mit kühnen Harmonien, düstersten Stimmungen und vulkanischen Explosionen. Schuch behält klaren Kopf, lässt sich bei aller Leidenschaft nicht zu gefühls-trunkener Raserei verführen und hat am Ende Kraft für eine aberwitzig beschleunigte Stretta. Bravo, das macht Lust auf mehr! Als Zugabe das Intermezzo op. 117/1 von Brahms mit dem voran gestellten Motto: „Schlaf sanft, mein Kind, schlaf sanft und schön!“

 
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