Bestürzende Aktualität

Amberg
19.10.2018 - 15:01 Uhr

Dieses Musical geht unter die Haut. In gleichermaßen bewegenden Szenen wie einfach grandios gesungenen Gospels und Spirituals wird "Onkel Toms Hütte" zu einem starken Erlebnis.

„Onkel Toms Hütte“ begeistert im Stadttheater Amberg. Ron Williams und sein Ensemble ernten Beifallsstürme für eine starke Präsentation.

Dieses "Schauspiel mit Musik", wie es angekündigt war, wird eine unglaublich starke, bewegende Demonstration "modernen Theaters". Schon die Story ist faszinierend. Da spielt Tom Rutherford, ein ehemaliges Straßengangmitglied, der inzwischen als Sozialpädagoge in einem amerikanischen Gefängnis arbeitet, mit einigen ausgewählten Häftlingen das Stück "Onkel Toms Hütte" nach. Seine Hauptdarsteller, vier junge Amerikaner unterschiedlichster Ursprungsnationalität sind Sugar, Hitomie, Dave und Billy und sitzen wegen der unterschiedlichsten Delikte ein.

Mit einfachsten Mitteln und mit der musikalischen Begleitung des lebenslänglich verurteilten Musikers Barney bringen sie Szenen aus dem gleichnamigen, 1852 erschienenen Bestseller von Harriet Beecher Stowe, einer weißen Lehrerin aus Connecticut, auf die Bühne und reflektieren zwischen den jeweiligen Bildern stets wieder ihre eigene Lebensgeschichte. Dabei schlüpfen sie in die Rollen der verschiedenen Roman-Charaktere und verkörpern im Spiel das im Roman dargestellte Sklavenelend, das sich in den Südstaaten der USA bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts verbreitet hat.

Allgegenwärtiges Problem

Die Themen Ausbeutung, Menschenwürde und Emanzipation stehen dabei im Mittelpunkt. Schnell wird es im verzahnten Spiel klar, dass dies auch nach dem "offiziellen" Ende der Sklaverei weiterhin ein allgegenwärtiges Problem ist. Das musikalische Spektrum beider "Ebenen" reicht von traditionellen Gospels und Spirituals über Lieder aus der Bürgerrechtsbewegung bis hin zu neuen Songs, die eigens für dieses Stück komponiert wurden. Michael Mufty Ruff alias "Barney" verdient dabei für die Umsetzung und Arrangements ein riesiges Kompliment.

Das ganze Elend der versklavten Schwarzen, die Charakterisierung der "weißen" Herren, für die Schwarze nur Handelsware waren, deren Zeichnung von durchaus "humanen" Herren und brutalsten Machtmenschen, aber auch die Solidarität der geschundenen Schwarzen und ihre Hoffnung, das wird von den Darstellern in eindringlichen, bewegenden, auch beklemmenden Szenen wiedergegeben. Und die Reflexion der spielenden Häftlinge gerät ebenso überzeugend.

Wenn Dave erklärt: "Wir sind stolz darauf, Schwarze zu sein, aber das Wort "Nigger" aus dem Mund eines weißen Menschen - das ist wie ein Schlag in die Fresse", dann ist das von einer bestürzenden Aktualität. Und (beispielhaft) eine Aussage von Hitomie: "Wer hätte damals schon gewusst, dass in ein paar Jahren ein Schwarzer im Weißen Haus sitzt", gibt eine nachdenkliche Brücke zur Gegenwart. Diese Dichte der verzahnten Handlung wird von den Akteuren in großartiger Weise vermittelt.

Unglaubliche Präsenz

Ron Williams, der sowohl den Tom Rutherford als auch den "Onkel Tom" spielt, ist von einer unglaublichen schauspielerischen Präsenz. Wenn er als Tom Rutherford die "Philosophie" seines Handelns erläutert (Theater bringt Menschen zusammen) und dabei auch den Bürgerrechtler Martin Luther King zitiert, dann ist das ebenso stark wie seine Szenen als "Onkel Tom" mit dem letzten Aufbegehren "Mein Herr ist nur Gott". Einfach überwältigend das Spiel von Stephanie Marin als Sugar, die sich auch in Elisa, Marie, Cassy "verwandelt". Als Hitomie, die auch Chloe, Eva, Ophelia, Emmeline verkörpert, ist Tai-Eun Hyun eine ideale Besetzung. Dave, dargestellt von Karsten Kenzel, füllt die ihm zugeordneten Rollen (Shelby, St. Clare, Legree) in beeindruckender Wandlungsfähigkeit aus, und Billy, der auch als Haley und George zu agieren hat, wird von Julian Taylorwilliams beeindruckend dargestellt.

Die Geschmeidigkeit und Beweglichkeit ihrer Darstellung, die teilweise artistisches Können verlangt, ist frappierend. Und die präsentierten Songs bringen mit ihrer Klasse nicht nur das berühmte "Gänsehautfeeling", sondern reißen die Besucher auch zu Beifallsstürmen hin. "Ol'Man River" und "Bridge over Troubled Water" und "Let My People Go", um nur einige der bekanntesten Gospels zu nennen, sind in tollen Arrangements ganz stark zu hören, und mit dem furiosen finalen Ensemble-Stück "Let it shine" findet dieser Auftritt seinen mit stehenden Ovationen bedachten Abschluss.

Klicken Sie hier für mehr Artikel zum Thema:
 
 

Kommentare

Um Kommentare verfassen zu können, müssen Sie sich anmelden.

Bitte beachten Sie unsere Nutzungsregeln.