Amberg
19.10.2018 - 10:42 Uhr

Das gesprochene Wort gilt – nicht immer

Ein Redakteur führt ein Interview und veröffentlicht es. Danach bestreitet derjenige, mit dem er sich unterhalten hatte, bestimmte Äußerungen. Nun könnte es kompliziert werden.

Für Print- und Onlinemedien, Rundfunk und Fernsehen gehören Interviews zum Tagesgeschäft. Sie sind journalistische Darstellungsform, aber auch Recherchemittel. Bild: Patrick Seeger/dpa
Für Print- und Onlinemedien, Rundfunk und Fernsehen gehören Interviews zum Tagesgeschäft. Sie sind journalistische Darstellungsform, aber auch Recherchemittel.

"Frage-und-Antwort-Spiele" finden Sie regelmäßig in dieser Zeitung. Denn Interviews werden gern gelesen, kann man sich doch da ganz gut das herauspicken, was einen wirklich interessiert. Was bestimmt viele nicht wissen: Vor der Veröffentlichung ist oft eine Autorisierung nötig, also eine Zustimmung der Person, die die Aussagen getroffen hat.

Mit der Autorisierung ist das so eine Sache. Journalisten, aber auch Politiker und Leser erinnern sich vielleicht noch daran, wie die "taz" mit weitreichenden Änderungswünschen eines Politikers umgegangen ist. Der Deutsche Journalisten-Verband (DJV) blickt zurück: "Im November 2003 schwärzte die Redaktion des Blattes jene Passagen eines Interviews mit dem damaligen SPD-Generalsekretär Olaf Scholz, die auf Wunsch der SPD-Pressestelle verändert werden sollten. Mit ihrer Aktion verscherzte es sich die ,taz' möglicherweise mit dem Sozialdemokraten, fand aber viel Sympathie bei Journalisten und Lesern. Etliche andere Zeitungen solidarisierten sich mit der ,taz' - alle gemeinsam prangerten den um sich greifenden ,Autorisierungswahn' an. Der DJV auch."

Aufzeichnung hilft

Grundsätzlich ist immer damit zu rechnen, dass Personen bestreiten, bestimmte Stellungnahmen oder Meinungsäußerungen überhaupt oder in der konkreten Formulierung abgegeben zu haben. Der Deutsche Journalisten-Verband (DJV) empfiehlt deshalb, Interviews und Veranstaltungen, auf denen Aussagen getroffen werden, zu Beweiszwecken aufzuzeichnen. Dazu sei die Zustimmung der Interviewpartner und Veranstaltungsteilnehmer erforderlich.

Nun passiert es durchaus, dass Interviewpartner versuchen, die Veröffentlichung dadurch inhaltlich zu beeinflussen, indem sie entweder bereits vor dem Gespräch oder in dessen Verlauf oder erst nach dem Ende die Autorisierung fordern. Schon vor Jahren hatte sich der DJV dagegen ausgesprochen, dass Interviews im Nachhinein wesentlich geändert werden. In den US- und angelsächsischen Medien sind Autorisierungen im Übrigen verpönt.

Die Korrektur von eindeutigen Versprechern oder seitens des Journalisten falsch notierten Aussagen (Transkriptionsfehler) erscheint dem DJV als legitim. Fraglich werde es allerdings, wenn es sich um spontane, emotionale Stellungnahmen handelt oder eine bestimmte Wortwahl. Hier wollten Interviewpartner ihre Aussagen oft glätten oder auch optimieren. Einen generellen Anspruch auf sprachliche Verschönerung erachtet der Verband als zu weitgehend, weil die Authentizität eines Interviews gerade von der konkreten Wortwahl lebe. Ein sprachlicher Ausrutscher, der eindeutig nicht die Position und auch sonstige Wortwahl des Interviewpartners wiedergibt, werde dagegen zu korrigieren sein. "Hier liegt aber eben auch der Konfliktpunkt, wenn der Journalist der Auffassung ist, dass die Wortwahl kein Ausrutscher war, sondern System dahinter steht. Es erscheint fragwürdig, dass ein Gesprächspartner die Wiedergabe konkreter Formulierungen verhindern kann, wenn sie sich mit ansonsten in der Öffentlichkeit dokumentierten Verhalten decken."

DJV: kein Prüfungsrecht

Eine "stillschweigende" Autorisierungs-Vereinbarung gebe es im Regelfall nicht. Und auch keinen "branchen-/medienüblichen" Kodex oder Brauch, nach dem Journalisten Aussagen autorisieren lassen müssen. "Vielmehr gilt, dass eine Person, die ein Interview gibt oder Aussagen vor einer Person macht, die sich ihr gegenüber als Vertreter der Presse ,in Aktion' deutlich gemacht hat (...), damit stillschweigend das Recht zur Veröffentlichung in der Presse einräumt, ohne dass ein Prüfungsrecht des Interviewten automatisch entsteht", stellt der DJV klar. Anders wäre die Arbeit der Presse, die mit hohem Aktualitäts-Versprechen arbeite, nicht möglich. Interviewpartner seien insofern ausreichend geschützt, dass sie gegen eine fehlerhafte Wiedergabe von Aussagen mit Gegendarstellungen oder Unterlassungs-/Schadensersatz-Ansprüchen vorgehen können.

Kein echtes Interview

Werde während eines Interviews plötzlich die Autorisierung verlangt, könne das zunächst nur für die ab diesem Zeitpunkt erfolgten Aussagen gelten, unterstreicht der DJV. Allerdings sei es zweifelhaft, ob eine solche Änderung der "Geschäftsgrundlage" überhaupt zulässig ist. "Denn wenn der Interviewpartner ein Interview ohne Vorbehalt zusagt, bedeutet das für den Journalisten, dass er ein bestimmtes Zeitkontingent für Interview und Nachbearbeitung bereitstellt. Zugleich hat er in der Regel erhebliche Zeit investiert. (...) Durch das Autorisierungs-Verlangen (...) besteht zudem das hohe Risiko, dass gar kein echtes Interview stattfindet, sondern das Interview nur die Grundlage für einen Text ist, der wenig mit den echten Aussagen zu tun hat und vielmehr aufpolierte, standardisierte und wenig packende Formulierungen enthält."

Die zehn Leitlinien des Journalisten-Verbandes für die Interview-Autorisierung:

1. Journalistinnen und Journalisten haben die Pflicht, Interview-Äußerungen korrekt wiederzugeben und nicht sinnentstellend zu kürzen. Eine vom Interviewpartner genehmigte Tonaufzeichnung dient der notwendigen Klarheit.

2. Der Interviewte kann die Autorisierung eines mit ihm geführten Interviews fordern. Dieser Anspruch beschränkt sich auf redaktionell bearbeitete Wort-Interviews. Komplette Beiträge oder indirekt wiedergegebene Zitate aus Rechercheanfragen sind nicht betroffen.

3. Art und Umstände von Autorisierungen sollte die Redaktion in redaktionellen Leitsätzen festhalten und diese dem Interviewten rechtzeitig vor Gesprächsbeginn zur Kenntnis geben. Davon gegebenenfalls abweichende Vereinbarungen werden vor dem Interview festgehalten.

4. Autorisierungen dienen der sachlichen Korrektheit, der Sinnwahrung und sprachlichen Klarheit. Änderungen müssen sich darauf beschränken.

5. Der Interviewte hat kein Recht, Fragen des Interviewers nachträglich abzuändern. Die Redaktion akzeptiert solche Eingriffe nicht.

6. Nachträgliche Änderungen des Interviewten, die die Authentizität des Interviews oder einen wesentlichen Aussagengehalt konterkarieren, können von der Redaktion abgelehnt werden. Die Redaktion versucht argumentativ, Einvernehmen mit dem Interviewpartner herzustellen. Gelingt dies nicht, sollte sie auf den Abdruck des Interviews verzichten. Sie behält sich vor, dies öffentlich zu machen. Im besonderen Einzelfall kann das öffentliche Informationsinteresse den Abdruck einer zurückgenommenen Aussage rechtfertigen.

7. Redaktionen entscheiden über das Mittel der Darstellung. Schriftliche Antworten auf vorab eingereichte Fragen können ein aktuelles Informationsbedürfnis erfüllen, ersetzen aber kein persönliches Interview. Da dieses von Spontaneität lebt und sich inhaltlich im Gespräch entwickelt, kann es sich nicht auf vorab eingereichte Fragen beschränken. Mehr als die Absprache von Themengebieten sollte daher im Vorhinein nicht zugesichert werden.

8. Vorgefertigte Interviews aus Pressestellen („kalte Interviews“) können als Hintergrundmaterial dienen. Sie als vermeintlich eigene Interviews zu publizieren widerspricht der journalistischen Ethik.

9. Im Sinne der journalistischen Glaubwürdigkeit macht die Redaktion jene Umstände transparent, unter denen ein Interview zustande gekommen ist (schriftlich, telefonisch oder im Pressegespräch). Insbesondere täuscht der Interviewer keine persönliche Begegnung mit dem Interviewpartner und/oder Exklusivität vor.

10. Die Redaktion kann das Interesse an der Form des Interviews steigern, indem sie Dritte (Fachleute, Prominente, Leser/innen, Jugendliche) auf der Seite der Interviewer teilhaben und Fragen stellen lässt. Für ihre Beteiligung gelten die gleichen Regeln.

 
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