Nach wie vor ist Pelzig alias Frank-Markus Barwasser an seinem unverändert biederen Modestil ganz leicht zu erkennen: Trachtenanzug mit Karohemd, Herrenhandtäschchen am Handgelenk und Cord-Hüdli auf dem Wuschelkopf! Im Kopf hat er mächtig viel Grips, jede Menge gute Ideen, allerdings auch angestauten Frust in Hülle und Fülle. Zahlen, Daten, Fakten, Meinungen – er sammelt und verarbeitet sie. Schließlich schaut er „tapfer und täglich“ die Nachrichten, nicht nur die von vor 20 Jahren, die der Nischensender Alpha ja täglich aufs Neue versendet. Sein Fazit aus all den weltweiten Katastrophenmeldungen? Wenn schon Untergang, dann bitte mit Musik der Bordkapelle der Titanic und nicht der von Schlagerstar Helene Fischer!
Pelzig ist in der breit aufgestellten Kabarett und Comedyszene ein Ausnahme-Einzelkämpfer. Die überaus erfolgreiche Zusammenarbeit mit dem Fernsehen, die ja Garant für Popularität bedeutet, hat er selbst beendet. Trotzdem füllt er am Mittwoch den großen Saal im ACC. Und was er zu sagen hat, das hat so gar nichts mit dem seichten Geplänkel der prominenten Comedy-Strategen zu tun. Er stürzt sich vehement in politische Abgründe, nennt Ross und Reiter wie die christsozialen "Hochbegabten" Söder, Dobrindt oder Scheuer.
Vor den mächtigen Machos wie Trump, Putin, Erdogan und Kollegen macht er nicht Halt, auch nicht vor den "Anti-Europäern" in Polen, Tschechien und Ungarn, die die EU plündern. Künstliche Intelligenz und Internet-Konzerne nimmt er unter die Lupe und er legt sich mit den digitalen Hassrambos an. Soviel Hetze und so viele „Lüchen“ zwitschern durch die sozialen Netzwerke.
Darüber unterhalten sich auch Dr. Göbel, der ewig nörgelnde Akademiker und Schriftführer im Verein für zeitgenössische Kirchenbestuhlung. Er, genauso wie der einfach gestrickte Hartmut, der kleine Mann von der Straße, der Katzen süß findet, gehören zu Pelzigs berühmt-berüchtigter Stammtischrunde. Die Weizenbier-, Rotwein- und Wasserglas-Diskussionen entzünden sich an diversen Ungerechtigkeiten und Ungereimtheiten dieser Welt.
Und Pelzig prangert an: die Vermögensverteilung, mangelnde Vernunft und das Böse in der Welt. Er beschäftigt sich mit Ursache und Wirkung, der korrupten Fifa und diversen Filterblasen. Ganz große Klasse die Demonstration mit dem Drucker, der partout nicht funktionieren will. Da läuft der 1960 in Würzburg geborene Barwasser schauspielerisch zur Hochform auf und fordert nichts weniger als den Gebrauch des eigenen Verstandes, also so etwas wie eine neue Epoche der Aufklärung, frei nach Kant, „der froh sein kann, dass er seit 200 Jahren tot ist.“
Ein guter Einfall, um einen Perspektivwechsel zu ermöglichen, ist Pelzig mit der „Disney-Methode“ gelungen: Drei Stühle, (einer für den Träumer, einer für den Kritiker und einer für den Realisten) sind vorzugsweise (aber nicht nur!) für gegenwärtige Diktatoren reserviert, damit sie über ihre wahnsinnigen Fantasien kritisch reflektieren und die Wahrheit ihres Tuns erkennen können.
Übrigens, den Hauptschuldigen für den Erfolg der Rechtsextremen, nicht nur in Mecklenburg-Vorpommern, hat die Wissenschaft längst herausgefunden. Es ist der weiße, heterosexuelle Mann, dem die Frau weggelaufen ist. In Amberg spendeten die Besucher beiderlei Geschlechts für dieses anspruchsvolle, knapp dreistündige Mammutspitzenprogramm spitzenmäßigen Applaus.
Um Kommentare verfassen zu können, müssen Sie sich anmelden.
Bitte beachten Sie unsere Nutzungsregeln.