Ein halbes Jahrhundert ist es her, dass Joan Myers Brown die Philadelphia Dance Company ins Leben rief. Die künstlerische Leitung von "Philadanco!" meistert sie mit ihren 88 Jahren heute genauso gut wie 1970. Mit der Intention gegründet, dunkelhäutige Tänzer, welche damals nahezu überall Rassendiskriminierung ausgesetzt waren, zu fördern, verfolgen die Choreografen heute noch das Ziel, afroamerikanische Tanz-Traditionen zu bewahren und auf die Bühne zu bringen - wie auch am Montagabend im Amberger Stadttheater.
Vielseitig von Anfang an
Schwermütige Geigenklänge eröffnen die Bewegungen der dunkel gekleideten Tänzer. Es ist düster, vor dem schwarzen Bühnenbild stehen sich Frauen und Männer gegenüber und bald beginnen sie, fließend in klassischen Ballettbewegungen aufzugehen. Doch der moderne Einfluss lässt nicht lange auf sich warten. Die straffen Schenkel und sehnigen Oberarme der Tänzer ließen von Anfang an erahnen, dass es nicht nur beim Ballett bleibt. Mit vollem Körpereinsatz verschmelzen die seicht beleuchteten Körper in dynamischer Akrobatik. Unerwartet reizend anzusehen: Eine kurze Tanzeinlage von ausschließlich drei männlichen Tänzern. Das einzig Befremdliche: Die Nebengeräusche, die aufgrund der schlechten Akustik der Frontlautsprecher von der Bühne ins Publikum dringen.
Szenenwechsel: Getragen von Soulmusik, in die sich immer drängender ein dumpfer Beat mischt, stürmt das Ensemble über das Parkett. Die schnellen und ruckartigen Bewegungen passen sich nahezu perfekt an den durchdringenden Bass an, der an einen Herzschlag erinnert. Die Unisex-Kostüme der Tänzer ähneln biederen Büro-Anzughosen mit hochgeschlossenen Blusen. Vielleicht ist es genau dieser Kontrast, der das Amberger Publikum fasziniert. Klänge, die dem unangenehmen Pfeifen eines Faxgerätes ähneln, bringen die Tänzer dazu, wie von einer höheren Macht besessen, ekstatisch in roboterhaften Bewegungen zu versinken. Die (schmerz-)verzerrten Gesichtsausdrücke sind perfekt an diese Missklänge angeglichen.
Darauf folgt eine unbeschreibliche Mischung aus afrikanischen Tänzen, gepaart mit den eleganten Formationen des klassischen Balletts; das Ganze zu minimalistischer Musik, die es sonst in Dauerschleife auf elektronischen Musik-Festivals zu hören gibt.
Leidenschaft in seltsamen Outfits
Die späteren Tänze wirken im ersten Moment weniger getrieben. Die zarten, weißen Kleidchen an den muskulösen Körpern der Tänzerinnen rufen Bilder von der tennis-spielenden Serena Williams hervor. Die Röckchen stehen im Kontrast zu den engen, blauen Anzügen der nicht weniger durchtrainierten Männer. Doch die befremdlichen Kostüme tun der nachfolgenden Performance keinen Abbruch: Ekstatischer Tanz. Jeder Schritt der beiden lässt das Wechselspiel von Abhängigkeiten in einer leidenschaftlichen Beziehung spüren: Eine Prise Tanztheater hält Einzug. Die am Boden liegende Verschmähte steht nach langem Hin und Her auf, richtet ihre imaginäre Krone und verlässt erhobenen Hauptes den Schauplatz. Der Saal ist hörbar amüsiert.
Höhepunkt mit Botschaft
Zum Ende hin scheint die Konzentration zunächst doch etwas nachzulassen, die Bewegungen werden schlacksiger. Ein Trugschluss. Fast unnatürlich, wie Marionetten, die an unsichtbaren Fäden hochgezogen werden, schweben sie im nächsten Moment. Voller Hingabe zucken selbst ihre Nackenmuskeln.
Erst jetzt, im frontalen Scheinwerferlicht, ist die schwarze Hautfarbe der Tänzer zu erkennen. Dem Ziel, die künstlerische Gleichstellung afroamerikanischer Tänzer voranzutreiben, ist Joan Myers Brown also wieder ein Stück näher gekommen. Auch wenn der Theatersaal nur halb besetzt ist, werden die Tänzer mit langem Applaus verabschiedet. Die teils irritierenden Eindrücke des Abends, sowie das Wechselspiel von charmanter Heiterkeit, gedrückter Melancholie und emotionalen Spannungen bleiben im Gedächtnis.
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