Zum Samstagmittag stand inspiriert, virtuos, mitreißend, ja atemberaubend leidenschaftlich musizierte weltliche Musik auf dem Menü: Das Concerto BWV 972 von Bach, nach op. 3/7 von Antonio Vivaldi.
Organist Paolo Oreni musiziert mit großer konzertanter Geste, blühender italienischer Poesie, mit inniger Emotion im Larghetto. Wunderbar perlend die wie gezupft wirkenden gebrochenen Akkorde. Frech und riskant das Allegro - das geht weit hinaus über nur schulmeisterlich-korrektes Noten-Abspielen. Dann Mozarts KV 546 (in Bearbeitung des großen Jean Guillou): "Ein kurzes Adagio à 2 Violini, Viola, e Baßo, zu einer Fuge, welche ich schon lange für 2 Klaviere geschrieben habe", kommentierte Mozart. Die delikate Orgelfassung zeigt eine weniger geläufige Seite des Salzburgers: Düster, suchend, zweifelnd, aufgekratzt, mit geradezu manisch-depressiven Momenten, bitter ernst in der meisterhaften Fuge, die schier das Dur-Moll-System sprengt. Betroffenheit.
Orenis Improvisation zur Bayernhymne (aus der Feder des Schwandorfers Konrad Max Kunz, 1860) gerät weder bayern-tümelnd, noch wird sie zu einer platten Variationsreihe über die Melodie. Oreni forscht die Motive aus, vor allem das Dreiklangs-Kopfmotiv und die Punktierungen, quasi ein nachdenklicher Rückblick auf die bewegte Geschichte des Landes. In weltweit einsamer Liga spielt seine Pedaltechnik (Videoübertragung), für die selbst schnelle 4-stimmige Passagen kein Problem darstellen. Grandios.
Geistlicher Abend mit Orgel und Stummfilm: Von der superben, unglaublich vielseitigen Sandtner-Orgel von 1993 geht es zur hörbar angeschlagenen Walckerin von 1967 in St. Martin. "Der Galiläer", ein hervorragend restaurierter Stummfilm von Dmitri Buchowetzki aus dem Jahr 1921 ist angesagt, Thema der fünf Akte ist das Leben und Sterben Jesu Christi. Beispielhaft sind Personenführung, Gestik und Mimik der Schauspieler. Emotional Maria und Magdalena, schockierend der Zusammenbruch des Judas Ischariot nach dem Verrat an Jesus, abgründig die hinterhältig-höhnischen Hohepriester, die ihre Macht schwinden sehen. Seltsam unnahbar und abgehoben, ohne emotionale Regungen Jesus Christus. Aufwendig die vielen Massen-Szenen.
Paolo Orenis improvisierte Begleitung verbindet die vielen kurzräumigen Filmschnitte, hebt den nachdenklichen, meditativen Aspekt der ersten Akte hervor, unterstützt dezent die wechselnden Stimmungen ohne sie grell zu überzeichnen. An zentralen Stellen zitiert er gregorianische Motive wie das österliche "Victimae paschali laudes" (4. Akt, Verurteilung).
Ostinato-Bässe entfachen dann im 5. Akt ein Hölleninferno hin zur Kreuzigung mit nachfolgendem Erdbeben, das die Orgel in Atemnot und an ihre Grenzen führt. "Wer fühlen will, muss hören" - wieder einmal trifft dieser Ansatz von Filmmusik zu. Als Zugabe die aufwühlende gespielte Toccata d-Moll BWV 565.
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