Dieser Samstag kurz vor dem Jahreswechsel wird in Amberg in Erinnerung bleiben. Dieser Samstag, an dem vier junge, alkoholisierte Asylbewerber, die gar nicht aus der Stadt stammen und hergereist sind, Passanten schlagen und überwiegend leicht verletzen. Plötzlich ist Amberg der Nabel dieser Welt. Oberbürgermeister Michael Cerny wird später in einem Interview sagen: "Letztlich waren jeder größere Fernsehsender und alle überregionalen Tageszeitungen vor Ort oder forderten zumindest ein Telefoninterview. Das hat irgendwann ein Ausmaß angenommen, das fast irreal war." Cerny muss sogar im "Heute-Journal" ZDF-Moderator Claus Kleber Rede und Antwort stehen.
Eine echte Tragödie
So schnell, wie Amberg in die bundesdeutschen Schlagzeilen gerät, verschwindet es daraus wieder. Und nun geschieht - nur 60, 70 Kilometer entfernt - in Nürnberg Schreckliches. An der S-Bahn-Station Frankenstadion stürzen zwei 16-Jährige vor einen Zug und sterben. Die Staatsanwaltschaft ermittelt wegen Totschlags. Die Opfer sind Deutsche, wie die beiden 17-Jährigen, die im Verdacht stehen, für diese Tragödie verantwortlich zu sein. Es wird zu klären sein, ob sie nach einem Streit ihre Kontrahenten mit Absicht vor den Zug gestoßen haben.
Zwei Fälle, die eigentlich nicht miteinander zu vergleichen sind? Ja und Nein. Zurück zu Amberg. Überregionale Medien stürzen sich zunächst regelrecht auf die Geschichte, sie scheinen zu glauben, Amberg als Brennpunkt von Gewalt durch Flüchtlinge ausgemacht zu haben. Doch was ist eigentlich passiert? In "Übermedien", einem Magazin, das die Arbeit von Journalisten kontinuierlich einer kritischen Betrachtung unterzieht, heißt es in einem der Kommentare: "Es ist gut und richtig, die Amberger Geschehnisse als das einzuordnen, was sie waren, nämlich Prügeleien von Betrunkenen, wie sie in ganz Deutschland so gut wie jeden Tag passieren. Es ist auch sicher angebracht, die beteiligten Medien für ihre völlig überzogene Reaktion zu kritisieren."
Als sich "Übermedien"-Autor Ralf Hutter am 9. Januar nach den Amberger Ereignissen, die den Stempel "Prügelattacke" erhalten, mit der Berichterstattung darüber und den Reaktionen darauf beschäftigt, schreibt er unter anderem: "Köln, Freiburg, Kandel und jetzt Amberg - fast jeder dürfte heute Straftaten aufzählen können, an denen Flüchtlinge beteiligt waren. Was auch damit zusammenhängt, dass über diese Fälle regelmäßig groß berichtet wird. Ähnliche Fälle, an denen Deutsche beteiligt sind, finden viel weniger Aufmerksamkeit."
Instrumentalisierung
Politiker wie Bundesinnenminister Horst Seehofer und Bayerns Innenminister Joachim Herrmann sehen sich Anfang Januar veranlasst, den Medien mit ihren Äußerungen zusätzlich "Futter" zu liefern, "die Lokalsache zu nationalisieren", wie es Hutter ausdrückt. So kündigt Seehofer einen Gesetzentwurf an, der die Abschiebung straffällig gewordener Asylbewerber leichter machen soll. Herrmann verspricht ihm Unterstützung. Amberg dient der politischen Instrumentalisierung. Verwunderlich, dass Herrmann den Medien vorwirft, sie seien verantwortlich für den Hype um Amberg. Stellt sich die Frage: Warum fährt er nach Amberg, um sich dort medienwirksam in Szene zu setzen? Wäre er auch gekommen, wenn die Schläger, die auf Passanten losgingen, Deutsche gewesen wären?
Ja, auch wir, Oberpfalz-Medien, haben in der Zeitung und im Onetz ausführlich berichtet. Auch wir wurden dabei - wie vom Innenminister - zum Werkzeug gemacht. Wäre es anders gegangen? Leider nein. Hätten wir weniger schreiben sollen? Eher nein. Hätte man Herrmanns Pressekonferenz ignorieren sollen? Schlecht möglich. Wie wären die Reaktionen gewesen, wenn wir so verfahren wären? Die "Prügelattacke" von Amberg war für uns als regionale und lokale Zeitung eine besondere Herausforderung. Überregionale Medien kommen und verschwinden wieder. Die Redakteure unseres Hauses begegnen ihren Lesern auf der Straße und müssen ihnen in die Augen schauen können. Es waren schwierige Tage, die die mit der Berichterstattung befassten Redaktionen mit Bedacht und Umsicht gemeistert haben. Mit der angebrachten Sachlichkeit.
Die Resonanz in der bundesdeutschen Presselandschaft auf das Nürnberger Unglück? Ja - aber vergleichsweise deutlich geringer. Dabei sind in Nürnberg doch zwei junge Menschen gestorben, gerade mal 16 Jahre alt, die ihr ganzes Leben noch vor sich hatten. Die bedrückende Erkenntnis: Der Tod dieser Jugendlichen, das Leid, das daraus für Angehörige und Freunde resultiert, scheint weniger wichtig zu sein als vier schlägernde Flüchtlinge. Unterdessen ärgern sich Bürger von Heroldsberg (die beiden Opfer stammen aus diesem Ort) aber über aufdringliche Journalisten und Berichterstatter.
Was wäre, wenn ...
Am Ende ein Gedankenspiel, gewollt provozierend: Man stelle sich vor, am S-Bahnhof Frankenstadion greifen junge Asylbewerber andere Jugendliche an, mit der fürchterlichen Konsequenz, dass diese vor den Zug geraten und überrollt werden. Man stelle sich vor, die Opfer sind Deutsche. Man male sich nun aus, was danach medial und auf Facebook abläuft. Seehofer und Herrmann würden nicht schweigen. Letzterer stünde wohl medienwirksam an der S-Bahn-Station Frankenstadion. Mindestens mit der Forderung nach mehr Sicherheit und Polizeipräsenz auf solchen Bahnhöfen. Nach Abschiebung.
Einige, die Gefallen an Weltuntergangs-Szenarien finden, hatten nach den Amberger Ereignissen kundgetan, man könne in dieser Stadt nicht mehr auf die Straße gehen, ohne fürchten zu müssen, von irgendjemandem verprügelt zu werden. Denken solche Leute jetzt auch, dass es nicht mehr ratsam ist, Bahnhöfe aufzusuchen und Zug zu fahren?
Eine Chronologie
Amberg:
- Vier junge Asylbewerber schlagen am 29. Dezember am Bahnhof, in dessen Umfeld und auch in der Innenstadt scheinbar grundlos auf mindestens zwölf Passanten ein.
- Die Täter kommen in U-Haft.
- Der Fall macht bundesweit Schlagzeilen.
- Bundesinnenminister Horst Seehofer äußert sich zu den Ereignissen in Amberg, Bayerns Innenminister gibt eine Pressekonferenz im Amberger Rathaus.
- Die Berichterstattung in unseren Zeitungen und im Onetz sorgt für fast 700 Facebook-Kommentare. Etwa ein Drittel wird vor allem wegen Hetze und Beleidigungen gelöscht.
Nürnberg:
- An der S-Bahn-Station Frankenstadion stürzen in der Nacht auf vergangenen Samstag (26. Januar) drei Jugendliche nach einem Streit ins Gleisbett. Zwei 16-Jährige werden von einem herannahenden Zug überrollt und getötet. Die Staatsanwaltschaft ermittelt wegen Totschlags. Zwei 17 Jährige sollen für die Tragödie verantwortlich sein. Die jungen Männer sitzen in Untersuchungshaft.
- Die Resonanz in der bundesdeutschen Presselandschaft fällt im Vergleich zu den Reaktionen auf Amberg weit geringer aus.
- Die Berichterstattung in unseren Zeitungen und im Onetz sorgt für einen einzigen (!) Facebook-Kommentar. Er lautet: „So traurig.“
Was für ein Vergleich. Äpfel mit Birnen ist harmlos dagegen. Man stelle sich das Geschehene unter umgekehrten Vorzeichen vor. Vier deutsche Jugendliche schlagen im Rausch wahllos auf Menschen mit ausländischem Erscheinungsbild ein. Das ist ein gültiger Vergleich. Der von Bürgermeister Cerny beklagte Medienhype wäre potenziert, eine Bürgerbewegung Amberg ist bunt hätte zu Lichterketten und Demonstrationen aufgerufen und bekannte und weniger bekannte Politiker hätten sich an die Spitze gestellt. So in etwa sieht das Scenario aus, wenn man einen realistischen Vergleich zieht.
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