Amberg
24.10.2018 - 13:55 Uhr

Um "gewaltfreie Texte" gebeten

"Schwandorfer Landrat fordert Seehofers Kopf": Diese Überschrift war wohl nicht so gut gewählt. Eine Leserin hat sich "regelrecht erschrocken".

Die Leserin aus Amberg mahnt: „Medien haben mit ihrer Wortwahl Einfluss auf die Stimmung in der Bevölkerung und tragen damit große Verantwortung.“ Bild: oy
Die Leserin aus Amberg mahnt: „Medien haben mit ihrer Wortwahl Einfluss auf die Stimmung in der Bevölkerung und tragen damit große Verantwortung.“

Als Beate B. aus Amberg die Zeitung vom 17. Oktober bekam, fiel ihr die Titelzeile auf der ersten Seite sofort negativ auf. Der Redaktion und mir als Leseranwalt schrieb sie: "Für mich ist das eine enorm gewalttätige Aussage und nicht weit weg von Äußerungen der AfD, wie ,wir werden sie jagen', ,Merkel an den Galgen' oder ,Redakteure auf die Straße zerren'." Dem Artikel sei nicht zu entnehmen, ob der Landrat wirklich diesen Wortlaut gewählt hatte, was aus Sicht von Leserin B. "schon sehr bedenklich wäre". Inhaltlich gehe es ja um Ablösung, Rücktritt, Segel streichen.

Beate B. redete uns ins Gewissen: "Medien haben mit ihrer Wortwahl Einfluss auf die Stimmung in der Bevölkerung und tragen damit große Verantwortung. In diesem Sinne bitte ich um gewaltfreie Texte, zumal, wenn es sich um die Schlagzeile handelt. ,Schwandorfer Landrat fordert Seehofers Rücktritt' wäre genauso aussagekräftig gewesen."

In eine ähnliche Richtung äußerte sich ein zweiter Leser. Zur Schlagzeile sagte er unter anderem: "Zwar weiß ich, wie das gemeint ist. Nüchtern betrachtet ist es ja eine Aufforderung zur Einführung der Todesstrafe, wenn man die Überschrift isoliert liest. Man könnte das auf der Titelseite auch etwas gemäßigter ausdrücken. Dann weiß auch jeder, was gemeint ist."

Keine Rambo-Sprache

Da gebe ich Beate B. und dem zweiten Leser uneingeschränkt recht und bin ihnen sehr dankbar dafür, dass sie ihre Meinung über diese Schlagzeile uns gegenüber kundgetan haben. Die Forderung nach Seehofers Kopf klingt schon sehr martialisch und ist hier ziemlich überflüssig. Dieser Ansicht waren auch einige Kollegen bei der täglichen Blattkritik in der Redaktionskonferenz, als die Überschrift dort thematisiert wurde. Redakteure, so meine ich, müssen Worte mit viel Bedacht wählen. Wir sollten uns nicht einer Sprache bedienen, wie wir sie oft zum Beispiel bei Politikern kritisieren. Um es mit den Worten eines erfahrenen Leseranwalts-Kollegen auszudrücken: "Eine brutale Rambo-Sprache muss nicht sein."

Beate B. hatte noch ein weiteres Anliegen: "Die Spalte ,Leute' enthält manchmal so banale Aussagen über Prominente, die sich die Haare gefärbt und 10 kg abgenommen haben oder ein drittes Kind erwarten (was ja durchaus erfreulich ist), dass ich mich frage, ob es da inhaltlich nichts Wichtigeres zu berichten gibt über Menschen, die sich für andere engagieren und Zeichen setzen."

"Über die Eignung von Themen für Zeitungen lässt sich trefflich streiten", antwortete ich der Ambergerin. Für diese Leute-Meldungen, denen sie wenig abgewinnen kann, gibt es aber durchaus ein Publikum, das man als Redaktion auch im Auge haben und entsprechend berücksichtigen muss. Ein bisschen - vielleicht auch etwas banale - Unterhaltung ist Teil jeder Zeitung. Ich persönlich meine: Etwas Klatsch darf auch in einer Regionalzeitung sein.

Jeden Tag etwas Positives

Dann ist Beate B. noch Folgendes aufgefallen: "dass im ersten Zeitungsteil, besonders unter den Rubriken Weltgeschehen und Bayern/Oberpfalz, sehr häufig negative Berichte erscheinen. Unfälle, Gewalttaten u.ä., selbst wenn sie weit weg geschehen sind, schaffen es wesentlich öfter auf diese Seiten als erfreuliche und aufbauende Meldungen. Vielleicht stimmt es wirklich, dass Menschen sich eher für das Schlechte interessieren und damit die Auflage gesteigert werden kann. Trotzdem möchte ich, gerade im Weltgeschehen, anregen, bewusst neue Wege zu gehen." Deshalb wünscht sich Beate B. "eine kleine Spalte, in der gezielt jeden Tag eine positive Meldung oder ein kurzer Bericht über einen Menschen, eine Organisation oder ein Geschehen Platz findet, die einen positiven und erneuernden Einfluss auf die Welt haben. Dazu gibt es so viele Beispiele aus allen Ländern, die meiner Meinung nach genauso zu einer ausgewogenen Berichterstattung gehören und beim Lesen ein angenehmes Gefühl hinterlassen." Abschließend versäumte Beate B. nicht, uns wissen zu lassen, "dass ich Ihre Zeitung gerne lese und auch gerne weiter lesen möchte".

Täglich eine kleine Spalte mit einer positiven Meldung - das könnte schwierig werden. Aber die Idee an sich finde ich gut, teilte ich der Leserin mit und versprach ihr, das im Redaktionskreis zu diskutieren. Mehr gute Nachrichten - das ist ein Wunsch, der Redakteuren öfter begegnet. Anton Sahlender, der Vorsitzende der Vereinigung der Medien-Ombudsleute, der auch ich angehöre, gibt hier jedoch zu bedenken: "Eine Auswahl der Nachrichten danach, ob sie gut für die Leserschaft sind, wäre lupenreine Manipulation. Das würde ebenso für einen Verzicht auf das Negative gelten. Menschen sollen in einem freiheitlichen Staatswesen verantwortlich und selbstbestimmt handeln können. Dazu müssen sie rundum informiert sein."

Mir ist zu dem Thema ein interessanter Beitrag von Katharina Henning aufgefallen, zu finden im Angebot des Europäischen Journalismus-Observatoriums (ejo). Henning berichtet darin über Studien aus ihrer Masterarbeit an der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt.

Schlägt aufs Gemüt

Unter anderem schreibt sie: "In repräsentativen Befragungen wird der Zustand der Welt deutlich schlechter eingeschätzt als er tatsächlich ist. Betrachtet man aber Indikatoren wie Lebenserwartung, gesundheitliche Versorgung oder Einkommen, ist es den meisten Menschen - zumindest in der westlichen Welt - nie so gut wie heute gegangen. Das Bild gerät jedoch in Schieflage, weil positive Entwicklungen oder potenzielle Lösungsansätze in der Berichterstattung häufig außen vor gelassen werden und der Nachrichtenfaktor Negativität in der Regel überwiegt."

Studien würden aber zeigen, "dass sich Menschen insbesondere dann von Medien abwenden, wenn das dargestellte Thema schwer lösbare Probleme enthält. Medienwissenschaftler an der Universität Southampton haben herausgefunden, dass eine Überbetonung negativer Nachrichten nicht die gesellschaftlichen Zustände ändere, sondern lediglich die Gemütszustände der Rezipienten. Laut einer Forsa-Umfrage, die im vergangenen Jahr von RTL in Auftrag gegeben wurde, würden viele Zuschauer jedoch gerne häufiger positive Meldungen sehen."

 
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