Weiden in der Oberpfalz
20.07.2018 - 13:32 Uhr

Eines der heikelsten Themen überhaupt

Der Mensch, der da liegt, ist tot. Gefunden hat ihn ein Kind. Umso schrecklicher. Es stellt sich heraus: Suizid. Wir verzichten auf eine Berichterstattung. Dafür haben wir gute Gründe.

Gestelltes Foto zum Thema Suizid auf einer Autobahnbrücke. Falk Orth/epd-bild
Gestelltes Foto zum Thema Suizid auf einer Autobahnbrücke.

"Gibt es schon einen Bericht zu dem Toten, der von einem Kind am (...) in (...) gefunden worden ist?", will an diesem Dienstagabend eine Leserin vom Onetz-Team wissen. Ein Chat folgt, Kollegin Elisabeth Saller setzt sich mit der Polizei in Verbindung und erfährt: Ja, die Geschichte stimmt, es handelt sich um einen Suizid. Die Redaktion fällt in diesem Fall die richtige Entscheidung: Es erscheint kein Artikel.

Ziffer 8 (Schutz der Persönlichkeit) des Pressekodex, dem sich auch Oberpfalz-Medien verpflichtet fühlt, enthält eine Richtlinie zum Umgang mit Suizid. Darin heißt es: "Die Berichterstattung über Selbsttötung gebietet Zurückhaltung. Dies gilt insbesondere für die Nennung von Namen, die Veröffentlichung von Fotos und die Schilderung näherer Begleitumstände." In dem Weidener Fall kommt hinzu, dass es ausgerechnet ein Kind war, das den Toten gefunden. Und Kinder sind besonders schutzbedürftig, was eine Berichterstattung in der Presse anbelangt.

Hohe Verantwortung

Es geht hier vor allem um moralische Aspekte. Nochmals ein Blick in den Pressekodex: "Die Berichterstattung über Unglücksfälle und Katastrophen findet ihre Grenze im Respekt vor dem Leid von Opfern und den Gefühlen von Angehörigen. Die vom Unglück Betroffenen dürfen grundsätzlich durch die Darstellung nicht ein zweites Mal zu Opfern werden." Also haben Redaktionen enorme Verantwortung. Sie müssen genauestens abwägen, wenn es um Unglück oder Tod geht und sich die Frage stellen: Was ist wichtiger, zusätzliches Leid für Angehörige oder Betroffene zu vermeiden oder nichts verschweigen, um die Öffentlichkeit möglichst wahrhaftig zu informieren?

Grundsätzlich ist Suizid ein Thema von höchster Sensibilität. Meist wird nicht darüber geschrieben, das ist die Linie unseres Hauses. Die Redaktionen, die immer wieder mit solchen Geschehnissen konfrontiert werden, machen sich darüber viele und tiefgehende Gedanken und prüfen in der Diskussion mit Kollegen mit größter Sorgsamkeit, ob eine Berichterstattung aus irgendeinem Grund gerechtfertigt wäre. Zu bedenken ist dabei immer auch Folgendes: Es müssen Nachahmungstaten befürchtet werden. Erwiesen ist, dass Menschen, die von Suiziden lesen, dazu neigen, sich ebenfalls das Leben zu nehmen, wenn sie glauben, sich in einer ausweglosen Situation zu befinden.

Suizid am Bahnhof

Nicht mehr vermeiden jedoch lässt sich eine Berichterstattung dann, wenn sich der Suizid in aller Öffentlichkeit ereignet und damit große Aufmerksamkeit auf sich gezogen hat. Ich erinnere mich an eine Selbsttötung am Amberger Bahnhof, als sich jemand vor den Augen vieler vor einen fahrenden Zug gestürzt hatte und danach der Bahnverkehr für längere Zeit unterbrochen werden musste. Hier kam die Redaktion nicht umhin, die Leser zu informieren. Das würde sich auch tun, wenn es sich bei dem Menschen, der sich das Leben genommen hat, um eine bekannte Persönlichkeit handelt. Einen Suizid im privaten Bereich hingegen wird die Redaktion selten publik machen.

Das Problemfeld Suizid haben wir auf dieser Leseranwalts-Seite schon einmal genauer betrachtet. Ich verweise auf einen Artikel, in dem Florian Arendt vom Institut für Kommunikationswissenschaft und Medienforschung an der Ludwig-Maximilians-Universität München zu Wort kam. Eine geregelte Berichterstattung über Suizide, so sagte er, könne Menschen mit Selbsttötungs-Absichten helfen. Es komme aber auf den Inhalt an, "also auf das Wie der Darstellung".

Sie könne Betroffenen durchaus dabei behilflich sein, suizidale Krisen zu überwinden, so Arendt. Man nenne dies Papageno-Effekt. Dazu gehöre unter anderem, ob es in der Berichterstattung Informationen zu Hilfsangeboten, zum Beispiel der Telefonseelsorge, gibt. Das Gegenteil des Papageno-Effekts ist der Werther-Effekt - also dass Menschen mit Suizidgedanken durch entsprechende Medienberichterstattung ihren Plan in die Tat umsetzen.

Neutrale Wortwahl wichtig

Experten glauben, dass die Medien sogar eine wichtige Rolle bei der Verhinderung von Selbsttötungen ausfüllen könnten. Für eine verantwortungsvolle Berichterstattung müssten sie allerdings auf eine möglichst neutrale Wortwahl achten, heißt es in einem Beitrag der Nachrichtenagentur epd. Das ist das Ergebnis einer Studie, die Florian Arendt gemeinsam mit seinem früheren Kollegen Sebastian Scherr und Forschern der Uni Wien durchgeführt hat.

Suizid, Selbstmord, Freitod - erstmals habe es Hinweise gegeben, dass die drei Begriffe bei Lesern unterschiedliche Assoziationen wecken. So habe das Wort "Freitod" größeres Verständnis für die Betroffenen hervorgerufen. Suizidexperten würden diesen Begriff freilich ablehnen, "weil er impliziere, dass die Betroffenen eine freie rationale Entscheidung getroffen hätten". Forschungen zeigten allerdings, dass suizidale Personen eine verengte Sicht auf sich, ihr Leben und ihre Umwelt haben, sagte Florian Arendt. Von "Suizid" werde inzwischen fast genauso häufig geschrieben, auch "Freitod" komme regelmäßig vor. "Selbstmord" lehnten Experten hingegen ab, da "Mord" einen vermeintlichen Bezug zur Kriminalität herstelle. Für die Berichterstattung wird von den Forschern der neutrale Begriff "Suizid" empfohlen.

Telefonseelsorge:

Hier erhalten Sie Hilfe

Wenn Sie sich in einer verzweifelten Lage befinden, kontaktieren Sie bitte umgehend die Telefonseelsorge (www.telefonseelsorge.de). Unter der kostenlosen Hotline 0800-1110111 oder 0800-1110222 erhalten Sie Hilfe von Beratern, die schon in vielen Fällen Auswege aus schwierigen Situationen aufgezeigt haben.

So hat der Presserat entschieden:

Zurückhaltend über Suizid berichtet

Der Fall:

In ihrer Print- und in ihrer Online-Ausgabe berichtet eine Regionalzeitung über den Suizid eines Studenten, der von einem zehngeschossigen Wohnheim gesprungen war. Das Blatt schreibt: „Der Notarzt konnte noch ein, zwei Worte an ihn richten, dann stürzte sich der Mann unvermittelt in die Tiefe.“ Die Zeitung zitiert so einen Polizeisprecher. Außerdem erklärt der Autor, dass der Student in seinem Zimmer einen Abschiedsbrief hinterlassen habe. Ein anonymer Beschwerdeführer kritisiert, dass die Darstellung des Suizids in diesen Einzelheiten nicht mit der Pressekodex-Ziffer 8, Richtlinie 8.7 (Selbsttötung), vereinbar sei.

Die Redaktion:

Der Chefredakteur teilt mit, dass die Redaktion grundsätzlich auf die Berichterstattung über Suizid-Fälle verzichte, es sei denn, der Vorfall ereigne sich in der Öffentlichkeit oder Dritte seien dabei zu Schaden gekommen. In diesem Fall habe man sich für eine knappe Berichterstattung im Lokalteil entschieden, weil der Suizid im öffentlichen Raum geschehen sei. Der Vorfall habe innerhalb eines Studentenwohnheim-Komplexes mit über 1000 Bewohnern während des Semesters stattgefunden. Das Heim liege zudem an einer vielbefahrenen Straße, so dass auch zahlreiche Verkehrsteilnehmer und Passanten das Geschehen mitbekommen und die vielen Einsatzfahrzeuge gesehen hätten. Die Veröffentlichung beschränke sich in der gebotenen Zurückhaltung auf die Meldung eines Suizids durch einen Sturz vom Dach. Nähere Begleitumstände seien nicht genannt. Ausnahme: der Abschiedsbrief. Über ein mögliches Motiv sei nicht spekuliert worden. Auch sei die Berichterstattung nicht identifizierend. Ein Aspekt der Berichterstattung sei die kurze Schilderung des Versuchs, den Suizid zu verhindern, und die Ohnmacht der Helfer.

Das Ergebnis:

Der Presserat sagt: Es handelt sich um einen sachlichen Bericht über den Suizid eines Studenten. Der Beschwerdeausschuss gibt der Zeitung Recht, dass aufgrund des aufwendigen Rettungseinsatzes an dem Studentenwohnheim ein öffentliches Interesse bestanden hat. Die Erwähnung einiger Details hält der Ausschuss zwar für grenzwertig, im Ergebnis jedoch noch vereinbar mit dem Pressekodex.




 
Kommentare

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Manu Heff

Vielleicht sollte man auch weniger über Mütter, die ihre Babies kurz nach der Geburt töten, oder über Elterteile, die erst ihre Kinder und sich dann selbst richten, berichten... meiner Meinung nach kann das auch zu Nachahmungstaten führen und ist ebenfalls schwer für die Angehörigen!!

Wenn jemand meint, Suizid ist seine letzte Lösung, dann bitte nicht auf einem Kinderspielplatz - wo man mit 99%iger Sicherheit davon ausgehen kann, dass man von einem Kind (oder wie in diesem Fall, von einer ganzen Schulklasse) gefunden wird!
Dass dieses Kind/diese Kinder nun ebenfalls psychologische Betreuung brauchen, ist wahrscheinlich auch egal - sind ja nur die Angehörigen des Toten die darunter leiden!

21.07.2018
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