Wenn es bei Wander- und Reiseliteratur die Kategorie "all inclusive" gäbe, wäre "15 Gipfel" aus dem Viechtacher Verlag Edition Lichtung ein Prachtbeispiel. Acht Monate lang erkundete Herausgeberin Evi Lemberger, unterstützt von fünf schreibenden und fotografierenden Mitwanderinnen und Mitwanderern, ihre Empfehlungen. Geschätzt waren es um die 60 Touren und etwa 1200 Kilometer, erzählt sie im schriftlich geführten Interview: "Aber ich habe jede einzelne genossen."
Das ist dem Ergebnis anzumerken. Den "Glücksfall", dass es in allen Zweier-Teams "wie die Faust aufs Auge" gepasst hat, weiß sie zu schätzen. Gefunden habe man sich übrigens durch vergangene gemeinsame Arbeiten oder durch Empfehlungen. Es ging aber nicht immer nur hoch hinaus, schließlich brauche es laut Buchbeschreibung für Gipfelerlebnisse nicht immer einen Berg.
Vor dem Schnüren der Wanderstiefel stand jedoch erst einmal die Planungsphase. Lemberger war es wichtig, dass Start- und Endpunkte mit öffentlichen Verkehrsmitteln erreichbar sind, die Wege sollten miteinander verbunden, schön, unterhaltsam oder abwechslungsreich sein. Das wirklich Spannende kam dann beim Praxistest: "Vor allem bei Regionen, die ich noch nicht kannte, war ein mehrmaliges Begehen und manchmal eine Neuplanung nötig." Auch weil manche Strecken einfach nicht funktionierten, zu langatmig waren oder manches schlichtweg eleganter zu lösen war.
Die positiven Reaktionen belohnen nun den Aufwand. Dabei sind es auch die 15 Interviews, die es den Leserinnen und Lesern angetan haben, berichtet die Herausgeberin. Grundlage dafür sei immer eine Idee oder ein Thema gewesen, die repräsentativ für die jeweilige Region oder den Bayerischen Wald war.
Interview mit einem US-Spion
In besonderer Erinnerung ist Evi Lemberger die Begegnung mit der 95-jährigen Stilla Moritz, die bei Kaffee und Johannisbeerkuchen ihre Erinnerungen an das aufgelassene Dorf Leopoldsreuth teilte. Aber auch Charly Hess, der amerikanische Spion vom Hohen Bogen, habe sich als großartiger Geschichtenerzähler entpuppt.
Dieses durchdachte Konzept war es auch, was den Viechtacher Lichtung-Verlag überzeugt hat: "Evi Lemberger wollte eben keinen typischen Wanderführer herausbringen, sondern ihre Heimat in ihrer Alltäglichkeit vorstellen. Mit den Menschen, die hier wohnen, mit der Kultur und der Geschichte der Region, mit guten Fotografien. Und mit den Wanderwegen im Bayerischen Wald, der viel mehr Potenzial und Vielfalt hat, als man meinen könnte", sagt Mitverlegerin Kristina Pöschl.
Verlag will mit jedem Buch besser werden
Genau das Richtige also für die kleine, feine Adresse für Romane, Kurzgeschichten, Anthologien und Lyrikbände von Autorinnen und Autoren aus der Region Südostbayern. Fotobände und Sachbücher finden sich ebenfalls im Programm. Bei der Auswahl fokussiert sich der Verlag in erster Linie auf den Bezug zur Region und – selbstredend – auf ein gutes Manuskript. Bei der Autorenschaft sei zudem mitunter auch etwas Geduld gefragt: "Wir veröffentlichen nur fünf bis zehn Neuerscheinungen pro Jahr und arbeiten gerne immer wieder mit unseren Stammautorinnen und -autoren zusammen."
Der subjektive Geschmack spiele ebenfalls eine Rolle, schließlich mache Lichtung nur Bücher, von denen der Verlag selbst überzeugt ist und hinter denen er zu 100 Prozent stehen kann, so Pöschl. Darüber hinaus hat man in Viechtach den Anspruch, mit jedem Buch besser zu werden. Nicht nur die Texte sollen überzeugen, sondern auch die Gestaltung: "Wir möchten Bücher machen, die man gerne zur Hand nimmt."
Die Chancen kleiner Verlage auf dem großen Markt und in den Buchhandlungen sind allem Engagement zum Trotz eher gering. Daher müsse man immer darum kämpfen, gesehen zu werden. Verschiedenste Veranstaltungen oder das hauseigene Kulturmagazin "Lichtung" helfen dabei.
Einsame Pfade vs. Realität
Rückenwind geben zudem die zahlreichen Auszeichnungen, zuletzt die Aufnahme von Marianne Achs Roman "Der Atem deines Landes" auf die Empfehlungsliste "Bayerns beste Independent-Bücher 2021". Wie schon 2017 mit Ulrike Anna Bleiers "Schwimmerbecken" auf der Hotlist, der Liste der besten Bücher aus unabhängigen Verlagen im deutschsprachigen Raum, zu landen, hat mit "15 Gipfel" nicht ganz geklappt. Die Leserinnen und Leser sind nach Pöschls Eindruck trotzdem begeistert von diesem etwas anderen Buch über den Bayerischen Wald.
Aber selbst wenn man beim Lichtung-Verlag den unverklärten Blick auf die Region schätzt und schon mit der Reihe "ReiseLeseBücher" für Aufmerksamkeit sorgte – ein Reiseführerverlag werde man nicht, versichert die Mitverlegerin. Stattdessen warten im Herbst unter anderem ein neuer Gedichtband von Friedrich Hirschl und der lang ersehnte neue Roman von Ulrike Anna Bleier auf Veröffentlichung.
Wird der Erfolg von "15 Gipfel" der Wanderregion Bayerischer Wald jetzt einen neuen Touristen-Boom bescheren? Evi Lemberger hatte diesen Aspekt durchaus im Blick. Auf ihren Wanderungen habe sie aber gemerkt, dass die Vorstellung der einsamen Pfade im Bayerischen Wald ohnehin nicht mehr so ganz mit der Realität übereinstimmt. "Um ehrlich zu sein, es wäre vermessen zu glauben, dass ein Buch allein für so einen Besucherwandel verantwortlich wäre, schließlich gibt es viele andere Wanderbücher, die den Bayerischen Wald bewerben."
Allerdings kaum eines wie "15 Gipfel", das auch noch mit einer weiteren Besonderheit aufwarten kann: der offenen Fadenheftung, bei der der Buchblock nicht an den Buchrücken angeklebt ist. Damit lässt es sich besser aufschlagen auf der Suche nach Tourenbeschreibungen, Karten, QR-Codes mit GPS-Daten, Tipps, Fotos und unterhaltsamen Gesprächen.
Über das Projekt
- Herausgeberin Evi Lemberger, aufgewachsen im Lamer Winkel, lebte für Fotoprojekte in London, New York, Bangladesch, Russland und Indien, arbeitet jetzt in München und Lam
- lichtung verlag, 1990 von Redakteuren der Zeitschrift lichtung gegründet, seit 2014 mit Kristina Pöschl und Eva Bauernfeind als Geschäftsführerinnen, rund 140 Titel in den letzten 30 Jahren
- 15 Gipfel - Reportagen und Touren zum Wandern im Bayerischen Wald, herausgegeben von Evi Lemberger, mit Texten von Mirko Boysen, Michael Gruber und Katharina Schmid, Fotografien von Martina Dobrusky, Evi Lemberger und Benedikt Seidl, Reportagen zum Wandern mit Kindern von Caroline von Eichhorn, Broschur mit Fadenheftung, 304 Seiten, edition lichtung, 26 Euro
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