Der Erbendorfer Kirwa-Umzug hatte auch ein mediales Nachspiel: In unserer Zeitung am 20. Oktober unter der Überschrift „Galgen für die Grünen? Abgeordneter sauer auf Erbendorfer Kirwa-Wagen“. In dem Artikel hieß es: „Wie anderswo im Fasching, greift man in Erbendorf zur Kirchweih mehr oder weniger Aktuelles satirisch auf, zieht dabei auch gerne Politiker durch den Kakao.“ Und weiter: „Ein Wagen hatte sich dieses Mal die ,Klimakleber‘ und die Grünen auf einmal vorgenommen: Mit Schneepflug als ,Klimakleberräumdienst‘. Auf der Rückseite der Spruch: ,Rettet unseren Mittelstand, jagt die Grünen aus dem Land‘. Dazu baumelte ein Galgenstrick von der Rückseite des Traktoranhängers.“ Grünen-Bundestagsabgeordneter Stefan Schmidt zeigte sich empört, war „fassungslos“. In dem Zeitungsartikel kamen dann die verschiedenen Seiten zu Wort.
Zu dem Beitrag schrieb ein Amberger einen Leserbrief, veröffentlicht am 30. Oktober unter der von der Redaktion gewählten Überschrift: „Kirwawagen, Schild im Schaufenster, Jugendtreff-Drohung und Bürgermeister-Reaktion ,widerlich‘“. In seiner Zuschrift formulierte der Leser aus Amberg unter anderem: „Unser populistisch-narzisstischer Wendehals Söder und sein populistischer ,Blinddarm‘ Aiwanger (gereizt und aggressiv im Wahlkampf, aber völlig überflüssig) haben ganze Arbeit geleistet: Söder, einst der ,Bäume-Umarmer‘, hat sein Fähnchen nun wieder einmal voll in den Wind gedreht, indem er behauptet, dass die Grünen nicht zu Bayern gehören.“
Das sagt der Leser
Daraufhin wandte sich Leser Herbert L. an mich. "Ich bin für freie Meinungsäußerung, habe aber gelernt, dass ein Leserbrief im Neuen Tag nur dann veröffentlicht wird, wenn keine Beleidigungen ausgesprochen werden", schrieb er mir. Wenn aber vom populistischen "Blinddarm" Aiwanger die Rede sei, "dann ist das in meinem Verständnis eine Beleidigung", teilte L. seine Auffassung mit und wünschte sich, dass seine Mail zum Anlass genommen werde, einmal darüber nachzudenken, ob solche Leserbriefe "zum Neuen Tag gehören". Und wenn ja, "dann ist das für mich in Ordnung". Am Ende interessierte L. noch, ob es sich bei dem Leserbrief des Ambergers um den Originaltext handelte oder seitens der Redaktion "da vielleicht noch Schlimmeres verhindert und gestrichen" wurde.
Das sagt der Leseranwalt
Ich zitiere hier gerne eine Aussage der Initiative Tageszeitung (ITZ): "Eine demokratisch pluralistische Gesellschaft braucht die Meinungsvielfalt und die Auseinandersetzung mit den verschiedenen Meinungen, deshalb muss sie auch langwierigen, lästigen oder lähmenden Meinungsstreit in Kauf nehmen." Auch das Bundesverfassungsgericht hat in vielen Urteilen die Meinungsfreiheit hochgehalten. Das ergänzt die ITZ mit den Worten: "Der Schutz des Grundrechts bezieht sich vor allem auf die im Werturteil zum Ausdruck kommende eigene Stellungnahme des Redenden, durch die er auf andere wirken will. Dabei ist gleichgültig, ob die Meinung ,richtig' oder ,falsch', ob sie emotional oder rational begründet ist, ob es sich um ,wertvolle' Meinungen handelt oder nicht."
Nun ist ein Leserbrief immer eine klassische Meinungsäußerung, sie gilt, so sagt die Rechtsprechung, als Werturteil, weil der Verfasser in seiner Zuschrift seinen Standpunkt darlegt. Zu beachten sind von der Redaktion bei der Veröffentlichung von Leserbriefen die publizistischen Grundsätze.
Der Deutsche Presserat betont in seinem Kodex: "Es dient der wahrhaftigen Unterrichtung der Öffentlichkeit, im Leserbriefteil auch Meinungen zu Wort kommen zu lassen, die die Redaktion nicht teilt."
Erlaubt ist, in Leserbriefen Standpunkte und Sichtweisen auch in pointierter Form wiederzugeben. Das gilt selbst für die Auseinandersetzung mit Religionen. Beleidigungen oder ehrabschneidende Äußerungen jedoch dürfen nicht sein. Auch aus dem Grund, weil die Redaktion verantwortlich ist für die von ihr veröffentlichten Zusendungen. Im Fall des Amberger Leserbriefschreibers sehe ich in der "Blinddarm"-Äußerung im Übrigen keine Beleidigung.
Denn: Werden strafrechtliche Grenzen nicht überschritten, sind Meinungsäußerungen und Kritik in einem Leserbrief in der Regel unbedenklich. "Meistens ist es unproblematisch, wenn Leser lediglich ihre negative Meinung zum Verhalten in der Öffentlichkeit stehender Personen oder Unternehmen kundtun", bekräftigen die Presserechts-Experten der Initiative Tageszeitung.
Im Einzelfall, das haben höchstrichterliche Entscheidungen gezeigt, müssen auch Schärfen und Übersteigerungen in Kauf genommen werden. Selbst abwertende und kränkende Formulierungen sieht die Rechtsprechung als erlaubt an - solange sie, wie die ITZ erläutert, zum Gegenstand der Auseinandersetzung "Sachnähe" haben. "Dann handelt es sich um überspitzte, griffige, einprägsame Formulierungen, die nicht wörtlich genommen werden wollen, aber leichter erkennen lassen, in welche Richtung die Vorwürfe gehen."
Abschließend sei noch angemerkt: Der veröffentlichte und kritisierte Leserbrief des Ambergers war der Original-Text, es wurde nichts herausgestrichen.
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