Bayern
20.12.2019 - 12:02 Uhr

Passion ohne Grenzen

Die Männer tragen Kniebundhosen und große Hüte, Frauen in bunten Trachten gesellen sich hinzu vor der Architektur Böhmens und Mährens. Dies zeigt momentan eine Ausstellung in Neukirchen b. Hl. Blut.

Klein aber oho: Das Jesuskind bekommt in den böhmischen Krippen stets seinen Platz eingeräumt – wenn auch keinen allzu großen. Bild: Gerald Richter
Klein aber oho: Das Jesuskind bekommt in den böhmischen Krippen stets seinen Platz eingeräumt – wenn auch keinen allzu großen.

Er galt lange Zeit als Geheimtipp für Freunde der Krippenkunst: Der private Fundus des Regensburger Sammlers Ludolf Stegherr (1920 bis 2014). Dabei war der Fokus der Sammlung durchaus naheliegend. Stegherr konzentrierte sich auf böhmische und mährische Krippen. Und schließlich war das heutige Tschechien einst eine der reichsten Krippenregionen Mitteleuropas.

Die aktuelle Ausstellung im Wallfahrtsmuseum Neukirchen b. Hl. Blut (Kreis Cham) blickt also zurück auf eine jahrhundertealte Tradition. Premiere ist allerdings die Präsentation der gezeigten Stücke: Die Krippensammlung Ludolf Stegherrs wird hier erstmals der Öffentlichkeit zugänglich gemacht.

Vielfalt an Figuren

Jäger, Schornsteinfeger, Nachtwächter: Das Staffagepersonal der gezeigten Krippen ist so bunt wie die Aufbauten selbst. Vor allem sind es sogenannte "Grulich-Krippen" aus der Region ums ehemalige ostböhmische Grulich, die in der Ausstellung gezeigt sind: geschnitzte Darstellungen mit einer Vielfalt an Figuren. In farbenfroher Mischung pilgert die Menschheit hier zum Gottessohn. Gebettet ist dieser meist im Herzen eines ganzen Krippenberges. Diese Sonderform der Weihnachtskrippe wurde von böhmischen Krippenbauern bevorzugt - und das aus gutem Grund. Ein Gestell mit Stufen dient hier als Schaufläche mit mehreren Ebenen.

Abbild des Alltagslebens

"Diese Bauweise ermöglichte es, über die Darstellung der Geburt Christi hinaus Platz zu schaffen für eine Fülle weiterer Figuren und Gebäude." Die Erläuterung zur Krippenausstellung in Neukirchen wird zur Genüge illustriert durch die überbordenden Exponate. Lammträger bugsieren ihre empfindliche Last durchs Gewimmel, Frauen haben Geflügel unter den Arm geklemmt, ein Eremit zumindest ist sofort als Mensch mit besonderer Gottesnähe zu erkennen.

Oftmals gilt nämlich: Dem Stall von Bethlehem ist bei der ganzen Pracht der geringste Platz eingeräumt. Böhmische Krippenberge sind vielmehr ein Abbild des einstigen Alltagslebens. Jeder darf sich hier auf den Weg zum Christkind machen. Ein Bäcker mit Brot und Weihnachtsstollen, ein Müller mit Mehlsack, ein Musiker, vorzugsweise ein Dudelsackpfeifer: Bei so viel Liebe zum Detail sei es den böhmischen Krippenschnitzern verziehen, dass sie für die Ausführung des eigentlichen Heilands oft keinen besonderen Aufwand an den Tag legten.

Immerhin gab es auch noch die Jahreskrippen, die dem weiteren Leben Jesu ihren Tribut zollten. Auch in Neukirchen sind solche Darstellungen zu sehen, die über die weihnachtlichen Ereignisse hinausgehen. Ein Exemplar aus der Zeit zwischen 1900 und 1920 zeigt unter anderem die Flucht nach Ägypten, den zwölfjährigen Jesus im Tempel sowie die Hochzeit zu Kana.

Derart ausgearbeitet konnte ein böhmischer Krippenberg durchaus ein ganzes Zimmer für sich in Anspruch nehmen. Für beengtere Wohnverhältnisse wurde eine Alternative gefunden: Kastenkrippen sind ähnlich gestaltet, wenn auch viel handlicher als ihre großen Vorbilder.

Mit beidem war es aber Mitte des 20. Jahrhunderts vorbei. Nach 1945 ging die Schnitztradition in Böhmen und Mähren mit der Aussiedlung der deutschstämmigen Bevölkerung zu Ende. Bis dahin aber hatte es sich bei der Krippenkunst um einen florierenden Wirtschaftszweig gehandelt. Bis in die USA waren die geschnitzten Figuren vertrieben worden.

Lebendige Zeugnisse

Dabei gründete sich die Schnitztradition einst aus einem Notstand heraus: Reich angelegte Krippendarstellungen fanden ab dem 18. Jahrhundert ihren Weg von den Kirchen in Adelssitze und die Häuser wohlhabender Bürger. Dass sich das einfache, aber nicht minder krippenbegeisterte Volk eine solche Anschaffung nicht leisten konnte, war schnell behoben: Die Menschen der ohnehin waldreichen Gegend begannen selbst zu schnitzen. Und zwar so, wie sie es aus ihrer Umgebung kannten.

"Die Krippenberge sind lebendige Zeugnisse dafür, wie die Menschen in den Gebieten des heutigen Tschechien einst gelebt haben", schlussfolgert der Text zur Neukirchener Ausstellung. Mittlerweile gehört auch die Krippenkunst selbst in dieser Gegend der Vergangenheit an. Die Sammlung des Ludolf Stegherr ist eine Rarität.

Info:

Service

Die Ausstellung „Passion ohne Grenzen. Krippen aus Böhmen – die Sammlung des Ludolf Stegherr“ läuft bis zum 2. Februar im Wallfahrtsmuseum, Marktplatz 10 in Neukirchen b. Hl. Blut. Öffnungszeiten sind Montag von 9 bis 13 Uhr, Dienstag bis Freitag von 9 bis 12 und von 13 bis 17 Uhr sowie Samstag und Sonntag von 10 bis 12 und von 13 bis 16 Uhr. Weitere Infos: www.neukirchen.bayern.de oder unter Telefon 09947/940821.

Jahreskrippen zeigen einen erweiterten Themenkomplex. Dazu gehört auch die Flucht nach Ägypten. Bild: Gerald Richter
Jahreskrippen zeigen einen erweiterten Themenkomplex. Dazu gehört auch die Flucht nach Ägypten.
Die Krippenberge, die derzeit in Neukirchen ausgestellt sind, ermöglichen durch ihren Aufbau eine Darstellung des Geschehens auf mehreren Ebenen. Bild: Museum
Die Krippenberge, die derzeit in Neukirchen ausgestellt sind, ermöglichen durch ihren Aufbau eine Darstellung des Geschehens auf mehreren Ebenen.
Auch diese Papierkrippe gehört zur Sammlung Ludolf Stegherrs, die derzeit im Wallfahrtsmuseum in Neukirchen b. Hl. Blut zu sehen ist. Bild: Museum
Auch diese Papierkrippe gehört zur Sammlung Ludolf Stegherrs, die derzeit im Wallfahrtsmuseum in Neukirchen b. Hl. Blut zu sehen ist.
 
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