Viele Medienberichte über die Windenergie seien „unterschwellig durchzogen von soziokulturellen Mentalitäten sowie tief verwurzelten Denkmustern und Moralvorstellungen“. Als kritische Rahmung für die Berichterstattung dienten häufig Mythen, wie die des deutschen Waldes oder romantisch verklärte Landschaftsbilder. Faktentreue und die adäquate Wiedergabe des wissenschaftlichen Standes stünden hinter Emotionalisierungen zurück. So lauten einer Pressemitteilung zufolge die zentralen Thesen des Arbeitspapiers „Vom Winde verdreht?“, das die Otto- Brenner-Stiftung (OBS) dieser Tage veröffentlicht hat. Die OBS ist die Wirtschaftsstiftung der IG Metall.
Werte prallen aufeinander
Studienautorin ist die Kulturwissenschaftlerin Georgiana Banita von der Universität Bamberg, sie hat "Mediale Narrative über Windkraft, Naturschutz und Energiewandel" untersucht, wie es im Untertitel des Arbeitspapiers heißt. Und sie hat dabei einen "Krieg der Werte" identifiziert. Dazu schreibt die Stiftung in ihrer Pressemitteilung: "Es haben sich zwei ,Lager' herausgebildet: Auf der einen Seite jene, die einen Erhalt heimatlicher Natur und Kultur betonen und das Thema zuweilen in einen nationalistischen Diskurs überführen. Dem gegenüber stehen Befürworter*innen der Wind-Wende, die sich für den Klimaschutz einsetzen und dem technologischen Fortschritt optimistisch begegnen." Laut Banita reaktivierten erstere häufig einen "germanischen Kult des Waldes" als "organisch schöne Seelenlandschaft", die durch die Windenergie gebeutelt werde, mit dem Ziel, Stimmung gegen den Bau von Windrädern zu schüren.
Windkraftfreundliche Berichte diskutierten hingegen nüchterner den Stellenwert des Waldes als Kohlenstoffspeicher und Klimastabilisator und rahmten Windräder als futuristische Konstruktionen.
Die Studie, so erläutert die Otto-Brenner-Stiftung, basiere auf ausgewählten skeptischen und befürwortenden Medienberichten von "Frankfurter Allgemeine Zeitung" (FAZ), "Welt", "Spiegel" und "Süddeutscher Zeitung" (SZ). Sie zeichne eine deutliche Lagerbildung bei weiteren Themen nach: Die Bedeutung von Artenschutz, das Verhältnis der Energiewende zur Demokratie sowie ökonomische oder medizinische Fragen folgten grundsätzlich verschiedenen Narrativen. "Pro-Windkraft-Berichte stellen in der Regel dem Schutz der Biodiversität die Aufgabe gegenüber, mit Hilfe der Windenergie auch dem weltweiten Klimawandel entgegenzuwirken. Diese Horizonterweiterung findet in der ablehnenden Berichterstattung kaum Platz", wird Jupp Legrand, der Geschäftsführer der Otto-Brenner-Stiftung, zum Thema Artenschutz zitiert. Er sagt: "Da liegt der Fokus auf heimischen Vögeln und Fledermäusen als Opfer der Windanlagen - womit ihnen implizit allerdings ein höherer Stellenwert beigemessen wird als vom Klimawandel betroffenen ,fremden' Menschen und Tieren in anderen Ländern."
Debattenkultur Fehlanzeige
Demokratiepolitisch agitierten windkraftkritische Beiträge gegen eine vermeintliche Klimadiktatur, die beispielsweise die Bürgerrechte von Dorf- und Kleinstadtbewohner*innen einschränke. Befürwortende Berichte fokussierten stattdessen Bürgerbeteiligungen beim Windkraftausbau als vorbildliche Maßnahmen. "Die Berichterstattung über Windenergie spiegelt eine anhaltende gesellschaftliche Spaltung wider", betont Autorin Banita in der OBS-Mitteilung und ergänzt: "Was dabei auf der Strecke bleibt, ist die eigene Widerspruchs- und Debattenkultur. Die untersuchten Artikel bemühen sich kaum, die Gegenseite zu Wort kommen zu lassen oder die Leser*innen vor eine Wahl zu stellen."
Darüber hinaus verdeutliche der teilweise irreführende Umgang mit Zahlen zu Umwelt- und Gesundheitsauswirkungen insbesondere bei windkraftkritischen Berichten, "welche Ignoranz diese gegenüber der Gefahr pflegen, halbwahre oder sogar falsche Aussagen zu verbreiten. Immer wieder werden in diesen Berichten Emotionen über Fakten gestellt." Diese Nachlässigkeit im Umgang mit Fakten, so ein weiteres Ergebnis der Untersuchung, verbinde sich häufig mit dem Unvermögen, die Tragweite des Klimawandels zu erfassen.
Mehr Selbstreflexion gefordert
Über die identifizierten Lagergrenzen hinweg sei es allen Artikeln gemeinsam, "dass sie mit faktischen Ungewissheiten nicht souverän umgehen können", heißt es im Vorwort der Studie. Nur selten werde eine ausgewogene Perspektive auf nicht abschließend messbare Sachverhalte oder unklare Datenlagen eingenommen. Als Konsequenz plädiert Legrand in der OBS-Presseinfo für "mehr Debattenfreudigkeit in der Berichterstattung über Windenergie, mehr Selbstreflexion über die eigenen Werte und mehr Stringenz in der Darstellung der wissenschaftlich noch offenen Fragen".
Studienautorin Banita zeigt sich nach Angaben der Stiftung optimistisch, dass nicht zuletzt vor dem Hintergrund der veränderten geopolitischen Lage nach Russlands Angriffskrieg und infolge der immer sichtbareren Folgen des Klimawandels "die stellenweise verzerrten medialen Bilder über Windstrom allmählich zurechtrücken".
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