München
02.11.2020 - 16:48 Uhr

Faszinierendes rund um das Mühlrad

Ein bisschen Romantik, ein Hauch Nostalgie und viel Verfall: Bayern ist reich gesegnet mit Mühlen unterschiedlichster Art. Ein neuer Bildband setzt dieser einzigartigen, vom Untergang bedrohten Welt ein prachtvolles Denkmal.

Auch das Polierwerk im Kultur-Schloss Theuern setzt Fotograd Gerhard Trumler in Szene. Bild: Gerhard Trumler
Auch das Polierwerk im Kultur-Schloss Theuern setzt Fotograd Gerhard Trumler in Szene.

Beim opulent bebilderten Streifzug durch die sieben Regierungsbezirke kann auch die Oberpfalz mit einer Vielzahl sehenswerter Objekte punkten. Im Interview berichten Autor Andreas Ehrhardt und Fotograf Gerhard Trumler von ihren Leidenschaft für Mühlen und den Überraschungen beim Fototermin. Nur für eine Lieblings-Mühle wollten sie sich nicht entscheiden.

ONETZ: Herr Ehrhardt, alte Mühlen faszinieren Sie schon seit Kindheitstagen. Gab es dafür ein Schlüsselerlebnis?

Andreas Ehrhardt: Vielleicht die Fahrten als Vorschulkind, vorwiegend mit meinem Großvater, zu einem Sägemühlenmuseum im nahegelegenen Frankenwald. Später mussten meine Eltern an allen Mühlen, die ich vom Rücksitz aus erspähte, anhalten. Als Kind durfte ich tatsächlich in die meisten Mühlen mal hineinschauen und sie erkunden. In meinem Text „Mühlensuche“, der dem Bildteil vorangeht und den Leser einstimmt, erinnere ich mich an diese Spurensuche in den alten Mühlen. Ich durfte oft einfach alleine durch die stillgelegten Stockwerke gehen und alles fotografieren, während sich meine Eltern auf dem Hof mit den Besitzern unterhielten.

ONETZ: Sie kennen die technischen Voraussetzungen der Bauwerke ebenso wie die praktischen Aspekte des Müllerhandwerks – wie sehr blutet Ihr Herz angesichts des Niedergangs dieser Branche?

Andreas Ehrhardt: Nein! Wenn Sie in das Buch reinschauen, können Sie von einer trotz allem sehr lebendig erhaltenen Vielfalt in Bayern erfahren. Wir im Süden haben mehr aktive, produzierende kleine Mehlmühlen als anderswo in Deutschland, das sind Familienbetriebe, die täglich ihr Bestes geben. Auch stillgelegte Mühlen werden vielerorts mit viel Mühe und Engagement erhalten. Was die Herausforderungen sind, ist klar: Neben dem Zugang zu Fördermitteln, der Vernetzung von Betroffenen und der Sensibilisierung der Bevölkerung gilt es Verständnis und Interesse insbesondere bei den Behörden zu wecken, um Triebwerksbesitzern keine Hindernisse in den Weg zu legen, sondern ihren Wert für ein seit Jahrhunderten schon von den Mühlen geprägten Ökosystems zu erkennen.

ONETZ: Sehen Sie im aktuellen Trend zu Regionalität, Qualität und Nachhaltigkeit vielleicht auch einen Hoffnungsschimmer?

Andreas Ehrhardt: Sicherlich, der Mehleinkauf in einem der vielen gut sortierten bayerischen Mühlenläden war in Corona-Zeiten nun wieder besonders attraktiv. Vielleicht bleibt das so und sichert den Familienbetrieben das Überleben, denn wenn immer mehr kleine Bäcker schließen, brechen die örtlichen Mehlabnehmer ja weg.

Das Buchcover. Bild: Volk Verlag
Das Buchcover.

ONETZ: Im Buch finden unter anderem aber auch Papier-, Säge- oder Kugelmühlen ihren Platz. Was hat Sie dabei besonders fasziniert?

Andreas Ehrhardt: Mit der Kugelmühle sprechen Sie einen absoluten Exoten an. Faszinierend ist sicherlich diese technische Raffinesse, das Gespür für die natürlichen Werkstoffe und die sorgfältige, zeitaufwändige Verarbeitung. Sie nennen dabei die Vielfalt, die es früher gab – wobei Sägemühlen ja noch häufig zu finden sind, wenn auch nur die wenigsten im historischen Gebäude und traditionell mit Wasserkraft betrieben werden.

ONETZ: Herr Trumler, die jahrzehntelange Beschäftigung mit dem Thema hat Sie zum Mühlenexperten gemacht. Worin liegt für Sie die besondere Faszination dieser Bauwerke?

Gerhard Trumler: Ich halte mich nicht für einen «Mühlenexperten» sondern vielleicht eher für einen «Mühlenliebhaber», den sowohl die Technik, als auch die Erscheinungsform dieser, für das Leben unserer Vorfahren essentiellen Einrichtungen faszinieren, weil insbesondere die «weltbewegende» und faszinierende Technik der Müllerei nur wenigen Fachleuten bekannt ist, und deshalb die auf uns gekommenen "Alten Mühlen" in unserer Zeit, vor unseren Augen rettungslos verfallen.

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Deutschland & Welt27.10.2020

ONETZ: Wie lange waren Sie insgesamt unterwegs, bis Sie alles fertig „im Kasten“ hatten ?

Gerhard Trumler: Es ist die Photoarbeit für die einzelnen Bände zu unterscheiden, deren Abfolge nicht streng in einer Reihe erarbeitet wurde, sondern oft in Zusammenarbeit mit anderen Photo- und Buchaufträgen durchgeführt wurde. Das Buch "Alte Mühlen in Bayern" allerdings wurde nahezu «exclusiv» photographiert, was bedeutet, daß fast alle dazu nötigen Reisen nur für dieses Werk stattfanden. Es waren -zigtausende Kilometer. Die Arbeiten, beginnend mit den Recherchen bis zur Publikation erstreckte sich vom Beginn der Nachforschungen 2015, bis zur Publikation Mitte 2020, über einen Zeitraum von rund fünf Jahren, die eigentliche, konzentrierte Photoarbeit fand in den drei Jahren 2017 bis 2019 in Form von fünf ausgedehnten Reisen durch Bayern statt. Im Studio erforderten die tausenden Photographien eine umfangreiche und sorgfältige Sichtung, Auswahl und Entwicklung, deren Zeitaufwand wiederum fast jenen der Reisen erforderte, bis schließlich ein endgültige Aufstellung von rund 800 Photographien erarbeitet war, aus welcher der Volk Verlag das Layout gestalten konnte

ONETZ: Gab es trotz aller Vorbereitung und Planung vor Ort auch die eine oder andere Überraschung?

Gerhard Trumler: Meine Photoarbeit besteht prinzipiell aus Überraschungen! Immer wieder geschieht es, daß durch Informationen, beigestellt durch gedankenlose oder uninformierte «Fachleute» die tatsächlichen Zustände oft völlig abweichen, sei es, daß die Objekte, entgegen den Ankündigungen stark verfallen sind, oder überhaupt nicht mehr bestehen. Es würde zu weit führen, auf «Überraschungen» bei einzelnen Objekten einzugehen, denn es ist leider nahezu die Norm, oft vor Mühlen zu stehen, welche angeblich noch ihre Wasserräder besäßen, um zu erkennen, daß diese entweder nur mehr als traurige Gerippe existierten, oder bereits verfallen oder demontiert worden sind, und die Mühle sich als Garage oder Schuppen präsentiert. Im besten Falle, als Wohngebäude mit «angehängtem» Wasserrad.

ONETZ: Und auch wenn es bei der Vielfalt vielleicht schwer fällt – haben Sie eine Lieblingsmühle?

Andreas Ehrhardt, Gerhard Trumler: Andreas Ehrhardt: Jede, die noch original und unverfälscht ist. Und davon gibt’s einige in Bayern.
Gerhard Trumler: Ich bin glücklich, in Bayern eine immer noch nicht unwesentliche Anzahl von "Alten Mühlen" aufgefunden zu haben, die von verständigen Besitzern liebevoll und fachkundig restauriert worden sind. Sie alle stellen eigentlich «Lieblingsmühlen»„ dar, deren Existenz mich glücklich macht. Eine repräsentative Auswahl ist im Buch abgedruckt zu sehen, und der Leser kann daraus die Charakteristik und Eigenart erkennen, die jedem einzelnen dieser Objekte innewohnt, sei es die allgemeine äußere Erscheinung, sei es eine bemerkenswerte und interessante technische Einrichtung im Inneren.
Wer Augen hat, der schaue!!

Hintergrund:

Zu den Personen

Nach einer Ausbildung in einer Mühlenbaufirma absolvierte Andreas Ehrhardt ein Technikerstudium an der Deutschen Müllerschule Braunschweig und legte die Meisterprüfung im Müllerhandwerk ab. Am jährlichen Mühlentag bietet er ehrenamtlich Mühlenführungen an und engagiert sich zudem im Vorstand des Bayerischen Landesverbandes für Mühlenkunde und Mühlenerhaltung.

Gerhard Trumler hat in Wien Fotografie studiert und ist seit 1969 als freier Fotograf tätig. Seine Leidenschaft für das Thema entdeckte er vor 30 Jahren bei der Arbeit am „Buch der Alten Mühlen“. Es folgte eine Fotodokumentation aller bestehenden Mühlen Österreichs. Derzeit arbeitet er an der Vollendung seiner Tetralogie „Alte Mühlen im Herzen Europas“, zu der auch der Band über die bayerischen Mühlen zählt.

Hintergrund:

Zum Bildband

"Alte Mühlen in Bayern" von Gerhard Trumler (Bilder) und Andreas Ehrhardt (Text), 224 Seiten, Hardcover, opulent und durchgehend farbig bebildert, ist am 27. Juli im Volk Verlag erschienen und kostet 48 Euro.

 
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