21.08.2020 - 16:29 Uhr

Interview mit Michael Rother, dem ewigen Klangweltenwanderer

Verehrt von David Bowie, Brian Eno und den Red Hot Chili Peppers, in Deutschland lange verkannt: Krautrock-Pionier Michael Rother wird 70 Jahre alt und bringt eine Box mit Klassikern sowie neuen Songs heraus.

Michael Rother bringt ein neues Album und ein Box-Set heraus. Bild: Max Zerrahn
Michael Rother bringt ein neues Album und ein Box-Set heraus.

Ehe Michael Rother 1977 gleich mit seinem Solo-Debüt „Flammende Herzen“ kreativ wie kommerziell einen Riesen-Erfolg verbuchen konnte, war er zumindest in der Krautrock-Szene eine Konstante: Der Hamburger, der am 2. September seinen 70. Geburtstag begehen darf, hatte bereits bei den (frühen) Kraftwerk mitgewirkt, mit Klaus Dinger die Formation NEU! ins Leben gerufen, parallel dazu mit Dieter Moebius und Hans-Joachim Rodelius unter Harmonia zwei Alben aufgenommen. Seitdem ist der Multi-Instrumentalist im Alleingang unterwegs, bevorzugt im haus-eigenen Studio zugange, direkt im Hohen Norden an der Weser gelegen. Doch der eher introvertierte Zeitgenosse lässt sich immer mal wieder auf - gerne überraschende - Kooperationen ein, etwa mit den Red Hot Chili Peppers, Brian Eno oder Herbert Grönemeyer.

Passend zum runden Jahrestag kommt die umfassende Werkschau „Solo II“ in den Handel, ein Box-Set bestehend aus sieben CDs. Waren auf „Box I“ die wegweisenden ersten vier Werke der Jahre 1977 - 1982 zu finden, die gerne mit dem Label „visionäre Elektronik-Romantik“ deklariert werden und wozu sich Live-Aufnahmen und Remixe sowie Soundtracks zu zwei Filmen gesellten - finden sich auf der Nachfolge-Werkschau die Produktionen der Jahre 1983 - 2004. Zudem eine Exkursion namens „Bonus Tracks“, das „verlorene Album“ mit bislang unveröffentlichten Stücken. Sowie als Sahnehäubchen ein komplett neues Werk, das erste von Rother seit stolzen 16 Jahren, „Dreaming“ betitelt, das sich musikalisch an den frühen Scheiben orientiert.

Somit schließt sich für den Moment der Kreis. Der zurückhaltende Hanseat darf zurecht stolz sein auf seine bisherige Kreativ-Biographie. Ist er auch.

ONETZ: Was für ein ein Gefühl ist es, diese jetzt schon zweite Box in Händen zu halten?

Michael Rother: Ein sehr angenehmes, befriedigendes! Ich habe ja über Monate hinweg an diesem Ding gearbeitet. Und am Ende wurden die Aufnahmen nicht nur von mir gemastert, sondern auch mit neuen technischen Details versehen. Die Klangqualität ist schlicht besser als bei den Originalen. Und dann habe ich auch noch eine brandneue Scheibe eingespielt. Welch eine Genugtuung fürs eigene Selbst!

ONETZ: Wie kam es zu diesen neuen Stücken?

Michael Rother: Die habe ich dem Corona-Virus zu verdanken. Eigentlich wollte ich keine neue Studio-Geschichte mehr angehen, möglichst durch die Welt tingeln und mir meinen Lebensunterhalt durch Live-Konzerte verdingen. Das hat mir in den vergangenen Jahren jede Menge Spaß bereitet. Doch daran war ab März nicht mehr zu denken, sämtliche Veranstaltungen sind weggebrochen. Meine Lebenspartnerin konnte ich eine Zeitlang auch nicht mehr sehen. Sie ist Italienerin und war in ihrer Heimatstadt Pisa auf Grund der Pandemie fest gesetzt.
Mit einem Mal hatte ich nichts zu tun. Da mir schnell langweilig wird und ich darüber hinaus einen geregelten Tagesablauf brauche, habe ich mich jeden Morgen nach dem Frühstück daran gemacht, neue Stücke zu komponieren sowie mein Archiv zu durchforsten. Speziell aus der Phase des „Remember“-Albums von 2004, bei dem ich zum ersten Mal mit Gesang gearbeitet hatte, in dem Fall von Sophie Joiner und Herbert Grönemeyer, die es zu sichten und bearbeiten galt. Ich bin äußerst zufrieden mit den Ergebnissen.

ONETZ: Auf „Dreaming“ ist wie auf den frühen Arbeiten wieder die Gitarre in den Vordergrund gerückt, hat die Elektronik weitgehend verdrängt. Wie kam es dazu?

Michael Rother: Die „Dreaming“-Kompositionen sind etwas verloren und sehnsüchtig. Daher passt hier die Klampfe besser als etwa ein Keyboard. Der Sound wird durch sie intimer, verletzlicher. Was wichtig ist: Jedes Gitarren-Muster habe ich nur ein einzige Mal eingespielt, um seine Originalität zu erhalten.

Michael Rothers Box-Set "Solo" Bild: Grönland Records
Michael Rothers Box-Set "Solo"

ONETZ: Wie kam es zum Albumtitel: Sind Sie ein passionierter Träumer?

Michael Rother: Ich träume tatsächlich viel. Gerne im Panorama-Großbandformat. Wobei es Träume mit ganz unterschiedlichen Handlungen sind. Und mit verschiedensten Emotionen verbunden. Immer wieder tauchen ganz real und plastisch Verstorbene darin auf, etwa meine Mama oder mein geliebter Bruder, der Anfang des Jahres von uns gegangen ist. Meist empfinde ich Freude, wenn mir diese Personen begegnen. Nur selten mischt sich Trauer darunter.

ONETZ: Warum hat Ihre Solo-Musik von Beginn an Riesen-Resonanz bekommen, während die Scheiben von NEU! und Harmonia wenig Beachtung fanden?

Michael Rother: Das ist mir bis heute ein Rätsel. Ich will diesen Umstand nicht allzu sehr hinterfragen, wundere mich stattdessen lieber. Vor allem weil die Kompositionen meiner Bands nicht allzu unterschiedlich klingen wie die meiner Alleingänge. Als „Flammende Herzen“ derart durch die Decke ging, war ich regelrecht geschockt. Wobei NEU! sowie Harmonia Genugtuung erfahren haben - inzwischen sind ihre wenigen Aufnahmen Kult.

ONETZ: Teilen Sie die Ansicht vieler Hörer, Ihre Solo-Töne wären „unverkennbar“?

Michael Rother: Das hoffe ich zumindest! (lacht) Die Welt mag sich auch ohne meinen Sound weiterdrehen. Aber ich weiß, ich habe für sie ein paar unsterbliche Klassiker komponiert. Das merke ich an dem Rückenwind, den meine Stücke bis heute haben, egal ob von einem jungen oder alten Publikum. Außerdem scheinen meine Klänge weltweit zu funktionieren. Eine große Freude.

Die Box "Solo" von Michael Rother. Bild: Grönland Records
Die Box "Solo" von Michael Rother.
Deutschland und die Welt15.02.2019

Die offizielle Website von Michael Rother

 
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