Deutschland und die Welt
29.11.2018 - 16:16 Uhr

Juwelen aus dem Bach-Schatz

Der gebürtige Regensburger Benjamin Appl hat mit Concerto Köln ein hörenswertes Konzeptalbum aufgenommen

In seiner Wahlheimat Großbritannien erlebte der Bariton Benjamin Appl seinen Durchbruch und wurde dort als „BBC New Generation Artist“ und Preisträger des „Gramophone Young Artist of the Year Award 2016“ ausgezeichnet. Mittlerweile sorgt der ehemalige Regensburger Domspatz auch in Deutschland mit seiner schönen Stimme und seiner gewinnenden Bühnenpräsenz für Aufsehen. Bild: Lars Borges/Sony Classical
In seiner Wahlheimat Großbritannien erlebte der Bariton Benjamin Appl seinen Durchbruch und wurde dort als „BBC New Generation Artist“ und Preisträger des „Gramophone Young Artist of the Year Award 2016“ ausgezeichnet. Mittlerweile sorgt der ehemalige Regensburger Domspatz auch in Deutschland mit seiner schönen Stimme und seiner gewinnenden Bühnenpräsenz für Aufsehen.

London/Barcelona. Den Sprung von der Domspatzen-Sängerschmiede in die Riege der interessantesten und international gefragtesten Baritone der Gegenwart hat Benjamin Appl mit Bravour gemeistert. Er begeistert in Oratorien und Opern, bei seinen Liederabenden lässt er das Publikum förmlich dahinschmelzen.

Auf seiner neuesten Einspielung ist er nun mit Arien aus Bach-Kantaten und -Passionen zu hören. Darunter die Meilensteine "Mache dich, mein Herze, rein", "Was Gott tut, das ist wohlgetan" oder "Bist du bei mir". Das Prachtstück "Großer Herr, o starker König" aus dem Weihnachtsoratorium taucht in der ganzjahrestauglichen, früheren Fassung "Kron und Preis gekrönter Damen" auf. Die Kulturredaktion hat den viel beschäftigten Bariton zwischen zwei Recitals in Barcelona erreicht, um sich über das neue Album und seine besondere Leidenschaft fürs Lied zu unterhalten.

ONETZ: Herr Appl, Sie haben Johann Sebastian Bach eine ganze CD gewidmet - kehren Sie damit auch ein Stück weit zu Ihren Wurzeln als Regensburger Domspatz zurück?

Sicher, Bach ist mir sehr wichtig. Als Regensburger Domspatz habe ich seine Motetten gesungen. Er wird von mir geschätzt und geliebt. Aber seine Musik ist auch kompliziert. Ich erinnere mich noch an ein Konzert mit den Domspatzen, in dem meine Stimmgruppe gleich einen Fehlstart hingelegt hat. Also ja, ich bin auch zu meinen Wurzeln zurückgekehrt.

ONETZ: Was zeichnet Bach in Ihren Augen aus?

Die großartige, durchdachte Struktur, die fast mathematische Konstruktion. Dahinter steckt aber wahnsinnig viel Emotion, so viele Gefühle. Man muss nur durchschauen.

ONETZ: Nach welchen Gesichtspunkten haben Sie die 19, sehr unterschiedlichen Stücke zusammengestellt?

Ich fand es spannend, Bachs wirkliches Kantaten-Schaffen abzubilden. Dazu habe ich mich tagelang, nein, wochenlang durch Noten gearbeitet. Es sollte aber nicht wie Kraut und Rüben durcheinander gehen, deshalb habe ich mit den Stücken den Kirchen-Jahreskreis abgebildet und als weitere Facette zwei weltliche Arien mit aufgenommen.

ONETZ: Gibt es ein besonderes Lieblingsstück?

Das ist ganz schwer zu sagen, das ist jeden Tag anders. Es ist vor allem immer das Stück, an dem man gerade arbeitet. So etwas hängt aber nicht nur von der Musik ab, sondern auch von besonderen Momenten. Beim Bach-Album: „Mache dich, mein Herze, rein" aus der Matthäus-Passion und „Bist du bei mir“ in seiner Schlichtheit und Ausgedünntheit.

ONETZ: Eine weitere Ihrer Kernkompetenzen ist das Lied. Können Sie den in diesem Zusammenhang immer fallenden Zusatz "Dietrich Fischer-Dieskaus letzter Schüler" noch hören?

Ich habe lange überlegt, ob ich das in meine Biografie aufnehme. Das war etwas sehr Privates, Privilegiertes. Natürlich besteht die Gefahr, verglichen zu werden, daher muss man versuchen, seinen eigenen Standpunkt zu finden, seinen eigenen Weg gehen. Vielleicht wird sich das auch mit den Jahren lösen. Zum Glück habe ich Dietrich Fischer-Dieskau erst sehr spät getroffen. Trifft man einen solchen Titan zu früh, besteht die Gefahr, dass man zu sehr nachahmt. Ich bin jetzt aber schon die zweite Sänger-Generation nach ihm, ich denke, direkt nach ihm war es schwerer.

ONETZ: Was ist Ihnen als prägendste Erfahrung im Unterricht und Umgang mit dem Großmeister der Liedkunst in Erinnerung?

Ganz viele kleine Details. Am meisten habe ich seinen Hunger und seine Neugier bewundert. Er war ein Suchender, nicht Aufgebender. Er wurde nie müde in seinem Drang, alles an und in einem Stück noch besser kennenzulernen. Und obwohl er alles schon so oft bearbeitet hatte, verlor er nie die Lust und Freude daran.

ONETZ: Warum haben es Liederabende Ihrer Meinung nach heute doch relativ schwer beim Publikum?

Ich höre so häufig, „das Lied ist tot“. Mit dieser Aussage wurde aber auch schon Dietrich Fischer-Dieskau vor fast 50 Jahren in einem Interview konfrontiert. Wir als Künstler müssen aufpassen, das Lied nicht noch mal auf einen intellektuellen Sockel zu stellen. Wir sollten uns vorrangig auf die Emotionen fokussieren. Ich vergleiche das mit einem Arzt, der sich bei allem wissenschaftlichen Hintergrund seinen Patienten gegenüber verständlich ausdrückt. In England sind solche Abende sehr populär. Besonders erfüllend war es auch für mich, bei einer Tour durch Asien und Indien Menschen zu begeistern, die völlig offen und unvorbereitet in die Konzerte kamen. Das Lied hat ganz große Möglichkeiten. Der klassische Liederabend wird immer bestehen.

ONETZ: Bedauern Sie es eigentlich, kein Tenor geworden zu sein?

Meine Mutter leitet einen Chor, meine beiden Brüder wechselten nach dem Stimmbruch in den Bass-Bariton. Sie hat stark gehofft, dass wenigstens ich ihre Tenöre verstärke. Sie bedauert es also mehr als ich. Natürlich wäre es manchmal leichter als Tenor, aber das ist auch immer eine Frage der Persönlichkeit – und von der Persönlichkeit her bin ich kein Tenor. Ich bin ganz glücklich, so wie es ist.

ONETZ: Sie treten in der ganzen Welt auf, nur in Süddeutschland oder gar der Oberpfalz nicht. Weiß die Heimat den berühmten Sohn nicht zu schätzen?

Da müssen Sie Andere fragen. Ab und zu bin ich schon mal in der Gegend, letztes Jahr habe ich in München gesungen, im Sommer 2019 bin ich beim Musikfest Kreuth. Vielleicht gilt zum Teil die alte Weisheit „Aus den Augen, aus dem Sinn“. Mein erster Liederabend war aber in der Oberpfalz, in Wernberg-Köblitz.

ONETZ: Sie leben ja mittlerweile in London. Haben Sie persönlich ein verändertes Klima nach dem Brexit wahrgenommen?

Das große Problem beim Brexit ist , dass er die Nation total gespalten hat und die Ideologie auf beiden Seiten. Familien sind zerstritten, Freundschaften zerstört. Für mich, der sein ganzes Umfeld dort hat, hat sich aber kaum etwas verändert. Meine englischen Sängerfreunde befürchten jedoch, dass man den Anschluss an den Kontinent verliert und alles schwieriger wird etwa durch Visa oder bei Steuerangelegenheiten.

ONETZ: Welchen musikalischen Wunsch würden Sie sich in nächster Zeit gerne erfüllen?

Die Agentur sagt immer, ich soll aufhören, ständig neue Ideen zu schicken. Aber eigentlich wünsche ich mir, dass es so weiter geht wie bisher, dass mir jedes Konzert Freude macht, was gar nicht so einfach ist, wenn man so viel reist und so viele Konzerte gibt wie ich. Und dass ich jedes Mal erfüllt sein kann und dieser Funke auch aufs Publikum überspringt. Natürlich gibt es auch eine ganze Liste, wo und was ich singen möchte – beispielsweise Wiener Musikverein oder Don Giovanni. Möglichst 20 bis 30 Jahre weiter singen, mit 40 soll es bei Baritonen ja erst so richtig los gehen – mal sehen, wie es sich entwickelt.

Info:

Die CD „Bach“ ist bei Sony Classical erschienen und kostet 16,99 Euro. Auch als Download im iTunes Store und im Google Play Store. Für "Klassik Radio Select" hat Benjamin Appl eine Bach-Auswahl kuratiert. Alle Termine und News auf der Homepage benjaminappl.com.

Info:

Benjamin Appl wurde 1982 in Regensburg geboren. Seine Gesangskarriere begann er bei den Regensburger Domspatzen. Beim Wettbewerb „Jugend musiziert“ erreichte er einmal einen ersten Preis in der Landeswertung und einmal den zweiten Preis auf Bundesebene. Sein Studium der Betriebswirtschaftslehre hat er erfolgreich abgeschlossen, die Gesangsstudien an der Hochschule für Musik und Theater München und der "Guildhall School of Music & Drama" in London mit Auszeichnung. Besonders geprägt hat ihn seine Zeit als letzter Schüler des legendären Dietrich Fischer-Dieskau. 2014 wurde er mit dem BBC-Preis „New Generation Artist“ und dem "ECHO Rising Star" ausgezeichnet, 2016 erhielt er den „Gramophone Award“ als „New Artist of the year 2016“, 2018 wurde er von der Pariser "Académie du Disque Lyrique" mit dem „Orphée d´Or Dietrich Fischer-Dieskau“ geehrt. Seit 2016 unterrichtet er an der "Guildhall School of Music & Drama" in London, wo er auch lebt.

Album-Cover "Bach" Bild: Sony Classical
Album-Cover "Bach"
 
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