(dpa/wpt) Als in Deutschland die Bewegung gegen die Klimakrise größer wird, sitzt eine junge Schwedin 32 Stunden im Zug zurück in ihre Heimat. Auf dem Weltwirtschaftsforum in Davos hat sich das Mädchen drei Wochen nach seinem 16. Geburtstag die politische und wirtschaftliche Elite der Welt vorgeknöpft.
"Ich will, dass ihr handelt, als wenn euer Haus brennt, denn das tut es", hat sie den Mächtigen an den Kopf geworfen. Ihre Worte schaffen es auf die Titelseiten. Als Thunberg später auf der langen Zugfahrt nach Hause mit der Deutschen Presse-Agentur telefoniert, ist sie im Kopf einen Schritt weiter: 2020, sagt sie, müsse die Emissionskurve drastisch nach unten gehen, 2020 sei entscheidend.
Das war im Januar 2019. Die Art und Weise, wie hier und in anderen Ländern über Klimamaßnahmen debattiert wird, hat sich gewandelt - daran hat Thunberg einen gewaltigen Anteil. Die ersten größeren freitäglichen Klimaproteste in Deutschland haben sich nach ihrem Vorbild im Dezember 2018 formiert. Im Dezember 2019 sind sie aus vielen Städten kaum wegzudenken. Erst waren es einige Hundert, dann Tausende Demonstranten, die für das Klima auf die Straße gegangen sind. Am 20. September waren es sogar 1,4 Millionen.
Ein Jahr danach
Vor einem Jahr hätte niemand gedacht, dass es ein Klimaschutzgesetz mit genauen Vorgaben fürs Einsparen von Treibhausgasen geben würde, und dass die Große Koalition einen nationalen CO2-Preis einführt.
Keine Partei kann Klimaschutz ignorieren - die neue EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen will ihn zum Schwerpunkt machen. Wenn Donald Trump sein Land aus dem Pariser Klimaabkommen nimmt, sagen zig US-Staaten, Regionen und Städte: "Wir sind noch drin." Für Thunberg wird es weiterhin Anlässe zu Protesten geben. Am 20. August wird die Schwedin den zweiten Jahrestag ihres Klimaprotests feiern, der von einer Einzelaktion zu einer weltweiten Bewegung geworden ist.
Auch in der Oberpfalz ist der Umweltschutz angekommen. In Amberg und Weiden, Regensburg, Sulzbach-Rosenberg, Auerbach, Schwandorf und Cham gehen Jugendliche auf die Straße, um für ihre Zukunft zu demonstrieren.
Ambergs Klima-Jahr
In Amberg geht der erste Klima-Marsch am 15. März über die Bühne. Rund 250 Menschen beteiligen sich. Einen Höhepunkt erlebt die Bewegung, als die Organisatoren Mitglieder des Stadtrats und Oberbürgermeister Michael Cerny bei einer Podiumsdiskussion im Ringtheater auf die klimapolitischen Missstände in der Stadt ansprechen. Die bisher größte Klima-Demo erlebt Amberg im September. Rund 650 Menschen - Kinder, Jugendliche, Eltern und Großeltern - ziehen durch die Altstadt und skandieren: "Wir sind hier und wir sind laut, weil ihr uns die Zukunft klaut." Die Amberger rufen die Bewegung "Critical Mass Amberg" ins Leben. Es bildet sich ein Konvoi aus rund 500 Radfahrern, der geschlossen in Schrittgeschwindigkeit um den Ring fährt und so den Verkehr um die Altstadt lahmlegt. Die Radler wollen die Politik dazu bringen, mehr für Radfahrer zu tun.
Weiden und der Streik
In der nördlichen Oberpfalz melden sich ebenfalls Schüler zu Wort. In Weiden erstellt eine Arbeitsgruppe eine Liste mit Forderungen, die sie an den Stadtrat richtet. Die Aktivisten fordern die Stadt dazu auf, den Klimanotstand auszurufen. Bei der Demo zur Weltklimakrise Ende September gehen rund 400 Menschen auf die Straße.
Tausende Menschen demonstrieren in Regensburg für eine lebenswürdige Zukunft. Ende September geht am Nachmittag in der Regensburger Altstadt nichts mehr. Demonstranten bilden eine Menschenkette und legen den Verkehr lahm. Im Juli werfen sich Mitglieder der "Extinction Rebellion"-Ortsgruppe vor dem alten Rathaus auf den Boden und stellen sich tot. Die Organisatorin steht im Totenkostüm daneben und entschuldigt sich bei Passanten, dass diese über die "Opfer" des Klimawandels steigen müssten.
Der Klimawandel in der Oberpfalz
Im Sommer werden in der Oberpfalz Spitzentemperaturen um die 37 Grad gemessen. Der Klimawandel macht sich bemerkbar. So ist zum Beispiel die mittlere Jahrestemperatur in Weiden seit 1950 um 1,9 Grad angestiegen. Gab es 2007 noch rund 800 Liter Jahresniederschlag pro Quadratmeter, sind es 2019 nur noch 600 Liter.
Das trockene und heiße Jahr beschert der Land- und Forstwirtschaft Probleme. Waldbesitzer müssen massenhaft Bäume, die innerhalb weniger Monate von drei Generationen Borkenkäfern befallen waren, fällen. Der Holzpreis sinkt. Landwirte befürchten, die Dürre könnte ihrer Ernte schaden. Im Juli und August brennen beinahe täglich Felder, bei denen ein kleiner Funke während der Mäharbeiten reicht, um ein Feuer zu entfachen. Laut Polizei entstehen dabei teilweise Schäden in einem fünfstelligen Bereich.
Feuer am anderen Ende der Welt
Währenddessen brennt es auch am anderen Ende der Welt. Innerhalb von nur fünf Tagen werden 471 000 Hektar des Amazonasregenwalds samt Weiden und Feldern zerstört. Forscher sind sich einig, dass das Flammeninferno Auswirkungen auf das Weltklima haben wird. Auch Australien hat mit enormen Buschfeuern zu kämpfen.
Bayern entscheidet sich für mehr Artenschutz
Anfang 2019 startet das Volksbegehren „Artenvielfalt und Naturschönheit“, das unter dem Motto „Rettet die Bienen“ bekannt wird. 1,741 Millionen Bayern unterstützen das Begehren. Es wird das bisher erfolgreichste in Bayern. Zum Volksentscheid kommt es nicht, der Landtag nimmt das Volksbegehren an. Am 1. August tritt eine tiefgreifende Änderung des Bayerischen Naturschutzgesetzes durch einen Landtagsbeschluss in Kraft. Ursprünglich hatte die Regierung das Volksbegehren abgelehnt. Nachdem aber die hohe Beteiligung bekannt wurde – 18,3 Prozent aller Wahlberechtigten in Bayern hatten sich dafür eingetragen – ändert die Regierung um Ministerpräsident Markus Söder ihre Meinung.
Kurz darauf kommen Staatsregierung, die Initiatoren des Volksbegehrens und Vertreter der Landwirtschaft am „Runden Tisch für mehr Artenschutz“ zusammen, um Diskrepanzen aus dem Weg zu räumen. Vor allem die Bauern sind damit unzufrieden, von der Gesellschaft als die Hauptverantwortlichen für das Insektensterben hingestellt zu werden. Sie organisieren Protestfahrten nach München und Berlin, um gegen die Agrarpolitik zu demonstrieren. Zwar versucht die Regierung mit einem millionenschweren Versöhnungsgesetz Bayerns Bauern vom Artenschutz-Gesetz zu überzeugen, die Fronten bleiben allerdings verhärtet. Anfang Dezember nimmt der „Runde Tisch“ seiner Arbeit wieder auf.


















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