München
22.11.2018 - 16:35 Uhr

"Kunst kommt von Kontern"

Er ist der letzte Komantsche eines anderen Bayerns. Heute wird der Filmemacher, Regisseur, Schauspieler, Schriftsteller und Maler Herbert Achternbusch 80.

Mittlerweile gehört Herbert Achternbusch längst zum Inventar des bundesrepublikanisch-bayerischen Kuriositätenkabinetts. Zu seinem 80. Geburtstag widmete ihm das Münchner Filmmuseum eine Hommage mit acht seiner Spielfilme sowie einem Filmporträt. Bild:  Frank Mächler/dpa
Mittlerweile gehört Herbert Achternbusch längst zum Inventar des bundesrepublikanisch-bayerischen Kuriositätenkabinetts. Zu seinem 80. Geburtstag widmete ihm das Münchner Filmmuseum eine Hommage mit acht seiner Spielfilme sowie einem Filmporträt.

Es ist ruhig geworden um ihn. Sehr ruhig. Vergangenes Jahr ist nach langer Pause noch einmal ein Theaterstück uraufgeführt worden, "Dogtown Munich", am Volkstheater. Das Stück spielt am Münchner Marienplatz, die Muttergottes steigt von der Mariensäule herunter, um allerlei für diesen Autor typischen Blödsinn zu treiben, zum Beispiel eine Weißwurst zu gebären. Am Schluss steht Karl Valentin auf der unbesetzten Säulenspitze, ist also Säulenheiliger geworden.

"Ich mach gar nichts mehr"

Aber im Grunde hätte sich Herbert Achternbusch, Zwillingsbruder im Geiste des anderen Münchner Originalgenies und Wortverdrehers, auch gleich selber dort hinaufstellen können. Dieses Stück ist wohl sein letztes und ein Denkmal seiner selbst. Es zeigt ihn noch einmal als Autor, der völlig singulär in der Literatur der Bundesrepublik dasteht. Und der loslassen kann. In einem großen Interview, das seine letzte Theaterpremiere begleitete, sagte er: "Ich mach schon seit einigen Jahren gar nichts mehr, nicht malen, nicht schreiben, gar nichts. Ich will nicht nachtröpfeln."

Das muss einer auch nicht, der stets wie ein wilder Gebirgsfluss dahergeschossen kam, völlig unreguliert und nicht eindämmbar. Seine Auftritte waren Naturereignisse, und nicht nur dann, wenn er Preisgelder-Schecks zerriss wie bei der Petrarca-Verleihung. Schon Martin Walser hatte seinem Hausverlag, Suhrkamp, den noch völlig unbekannten 30jährigen Autor als "wilden Waldschrat" angekündigt und empfohlen. Das Etikett war zwar falsch, zog aber. Denn was hätte 1968, als alle Welt auf die Großstädte schaute und auf die dort aufflammenden Studentenunruhen, Aufsehenerregender sein können als einer, der angeblich aus dem rückständigsten deutschen Wald kam, den man sich damals vorstellen konnte: dem Bayerischen Wald.

Abitur in Cham

Dabei war Achternbusch in München geboren worden als uneheliches Kind einer Sportlehrerin und Tennisspielerin. Er wurde zur Großmutter nach Mietraching gegeben, einem kleinen Ort nahe Deggendorf. Dort wuchs er auf, dort lernte er jene bäuerlich-derben Figuren kennen, die er später in seinen Theaterstücken und Prosabüchern verewigte, etwa in dem Monologstück "Gust". Späte melancholische Reminiszenzen lassen sich auch noch in dem 1997 erschienenen "Der letzte Schliff" finden. Dort sagt der eigentlich immer wie ein Lyriker, weil in Bildern schreibende Autor: "Natürlich liebe ich nichts mehr als meine Lyra. Demzufolge liebe ich auch die Gegend, wo sie mir zuwuchs". Und damit ist die Gegend des Bayerischen Waldes gemeint, die blauen Berge überm Donautal.

Achternbusch ging in Deggendorf aufs Gymnasium, musste aber von dort weg, nachdem er eine Mitschülerin geschwängert hatte. 1959 kam das erste von sechs Kindern zur Welt, die Achternbusch mit drei Frauen hat, die Tochter Eva. Sein Abitur machte er in Cham in der Oberpfalz, danach ging's an die Kunsthochschule in München. Dort lernte er seine spätere Ehefrau Gerda als Kommilitonin kennen, es kamen vier Kinder auf die Welt, man zog ins Würmtal nahe Gauting.

Jetzt wurden es diese Landschaften, vor allem auch der Starnberger See, die prägend wurden für die plötzlich konvulsivisch hervorbrechenden Filme, die Achternbusch ab Mitte der 1970er Jahre drehte: "Das Andechser Gefühl", "Servus Bayern", "Der Komantsche", "Das Gespenst". In letzterem steigt Jesus vom Kreuz herunter und fängt eine Liebschaft mit einer Nonne an, alles vor Voralpenlandskulisse. Ein ungeheurer Skandal seinerzeit.

Meist drehte Achternbusch mit Menschen aus seinem Freundes- und Bekanntenkreis, die noch nie vor einer Filmkamera gestanden waren. Mit dem Postboten Heinz Braun oder der Wirtstochter Annamirl Bierbichler. Mit ihr verband ihn ein paar Jahre lang eine Liebesbeziehung. Er zog hinaus nach Ambach am Starnberger See, lebte im oberen Stock des Wirtshauses, in dem auch Josef Bierbichler zu Hause war, der Bruder von Annamirl und bald einer der wichtigsten und fulminantesten Achternbusch-Schauspieler. Rund 30 Kinofilme entstanden auf diese Art und Weise.

"Neger Erwin"

Deren Handlungsverläufe nachzuerzählen, gelingt oft gar nicht. Aber einzelne Sätze daraus - "Du hast keine Chance, aber nutze sie" (Atlantikschwimmer) - haben längst Kultstatus, losgelöst von ihrem Autor. Und Bilder gibt es in diesen Filmen zuhauf, die brennen sich ein ins Gedächtnis. Zum Beispiel wie "Herbert" - er spielte sich ja immer selber in seinen Filmen - in kurzer Lederhose und mit Loferlstrümpfen und Haferlschuhen, ein Nilpferd am Zügel, durch die bayerische Voralpenlandschaft stapft. So geschehen im Film "Neger Erwin". Zu seinem 80. Geburtstag hat das Münchner Filmmuseum noch einmal einige seiner Filme gezeigt, was eine seltene Chance war, diese vollkommen autarke Bilderwelt zu erleben - Achternbusch ist ja leider kaum mehr irgendwo präsent.

Ein Monolith

Das war lange Zeit auch auf dem Buchmarkt so. Gott sei Dank hat sich der Kiepenheuer & Witsch Verlag mit einigen Taschenbuchausgaben des Autors wieder angenommen. Jüngere Leser werden überhaupt keine Vorstellung mehr davon haben, was dieser Mann auch auf dem Gebiet des Prosaschreibens für ein Monolith war und ist. Für uns lesewütigen Gymnasiasten damals in den 1970er Jahren waren seine ungeschlachten Prosabrocken völlig umkrempelnde Lektüreerfahrungen, die weit wegführten von Schreibstilen eines Heinrich Böll oder Günter Grass. "Happy oder der Tag wird kommen", "Alexanderschlacht", "Die Stunde des Todes", das waren Bücher, die ungeschönt, krude und scheinbar formlos das Leben einfach nur abbildeten ... lange vor Karl Ove Knausgard, und vor allem mit einer ganz anderen Energie und Poesie.

Aber gut, nun müssen andere heran. Achternbusch hat vor Jahren schon selber gesagt, nun sollen mal die anderen machen. Er habe genug produziert. Und das stimmt ja auch wahrlich, nimmt man zu seinem kinematografischen Werk auch noch das literarische und vor allem auch das bildnerische hinzu. Er kann heute an seinem 80. Geburtstag mit Stolz und Genugtuung auf ein universalistisches Gesamtoeuvre zurückblicken, das unabhängig und widerständlerisch ist wie kaum ein zweites in der bayerischen Kunstgeschichte. Er habe immer seine Sachen verfolgt und gemacht, sich von niemanden dreinreden lassen, sagt der Dichterfilmer. Ganz gemäß seinem Motto, das noch mal ein typischer Achternbusch-Satz ist, einer von denen, die bleiben werden: "Kunst kommt nicht von Können, sondern von Kontern."

 
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