Die aktuell laufende, erstmalige Durchführung der verpflichtenden Sprachstandserhebung bei allen vierjährigen Kindern in Bayern sorgt für heftige Kritik von Lehrerverbänden und Landtagsopposition. Die Präsidentin des Bayerischen Lehrer- und Lehrerinnenverbandes (BLLV), Simone Fleischmann, bezeichnete das vom Kultusministerium angeordnete Verfahren „bürokratischen Irrsinn und diagnostischen Unsinn“. Es sei mit einem immensen Verwaltungsaufwand verbunden, belaste Schulen und Lehrkräfte übermäßig und verunsichere Eltern wie Kinder. Zudem sei die anschließend nötige Sprachförderung nicht gesichert. „Da wurde ein pädagogisch wertvolles Instrument voll in den Sand gesetzt“, sagte Fleischmann am Montag in München.
Ziel der Sprachstandserhebung ist es, bei allen Kindern eineinhalb Jahre vor dem Schuleintritt die individuellen Sprachkenntnisse zu testen. Bei Defiziten sollen sich Maßnahmen zur Sprachförderung anschließen. Vorgeladen zu den Tests werden alle Kinder, die gar keine oder keine staatlich geförderte Kita besuchen, und solche, denen von ihrer Kita mangelnde Sprachkenntnisse oder sprachliche Defizite bescheinigt werden.
Fleischmann betonte, der BLLV stehe grundsätzlich hinter einer allgemeinen Sprachstandserhebung, da Sprachkompetenz zentrale Voraussetzung für die Schulfähigkeit sei. Der vorliegende Test sei dafür auch geeignet. Das Verfahren zur Durchführung der Tests sei jedoch „vollkommen unprofessionell“. Die Leiterin der Abteilung Schulpolitik im BLLV, Sabine Bösl, sprach von einem „Bürokratiemonster“. So müssten die Schulen alle 120 000 Eltern eines Jahrgangs per Brief anschreiben, sämtliche Verwaltungsschritte seien nicht digitalisiert und erfolgten in Papierform. Die Ergebnisse der Tests müssten einzeln per Einschreiben verschickt werden.
Tests ohne Bezahlung in der Freizeit
Nach einer BLLV-Umfrage muss ein Großteil der beteiligten Lehrkräfte und Schulpsychologen die Tests zusätzlich zum Unterricht ohne Bezahlung oder Entlastung überwiegend in der Freizeit durchführen. Jede eingesetzte Lehrkraft führt durchschnittlich 59 Tests durch. Pro Tests müssten rund 45 Minuten veranschlagt werden, wobei zwei Drittel des Zeitaufwands auf Bürokratie und Organisation entfielen. Bemängelt wurde zudem, dass die kultusministeriellen Schreiben an die Eltern in einem schwer verständlichen Amtsdeutsch verfasst seien, die selbst viele deutschsprachige Eltern überforderten.
Als wenig hilfreich bezeichnete Fleischmann, dass die Sprachstandstests nicht in der für die Vierjährigen gewohnten Kita-Umgebung stattfänden, sondern an den Schulen. Viele Kinder kämen mit der Situation in einer fremden Umgebung mit fremden Personen nicht zurecht. Kritisch sei zudem, dass die Sprachförderung für entsprechend bedürftige Kinder nicht gesichert sei. Das Kultusministerium gehe von jährlich rund 40 000 Kindern mit vorschulischem Sprachförderbedarf aus. Um diese Zahl zu bewältigen, fehle es an Kursen und qualifiziertem Personal, klagte Fleischmann. Da nicht alle Kindertagesstätten Sprachkurse anböten oder nicht anbieten dürften, müssten Kinder sogar die Einrichtung wechseln.
GEW: "Nur Chaos" durch Tests
„Wir erwarten von der Staatsregierung, dass sie unsere Kritikpunkte aus der Praxis aufgreift und für den nächsten Durchlauf Änderungen vornimmt“, erklärte Fleischmann. Konkret müssten das Verfahren digitalisiert und die Kommunikation mit den Eltern verbessert werden. Zudem müsse der Testzeitraum anders als heuer von der Phase der Schuleinschreibung entkoppelt werden. Beide Verfahren gleichzeitig seien für die Schulen organisatorisch kaum zu stemmen. Um die Fallzahlen zu reduzieren, sollten nur noch Kinder zum Test vorgeladen werden, die keine Kita besuchen. Der Förderbedarf der Kita-Kinder solle anhand der dort ohnehin gemachten Sprachstandsbeobachtungen festgestellt werden.
Zu ähnlichen Ergebnissen wie der BLLV kommt die Bildungsgewerkschaft GEW. Die völlig überhastete Einführung der Tests habe „nur Chaos verursacht und zu einer Mehrbelastung aller Beteiligten geführt“, heißt es in einer Stellungnahme. Der betriebene Aufwand stehe in keinem Verhältnis zum praktischen Ertrag, zumal die Durchführung der Vorkurse für förderbedürftige Kinder nicht gesichert sei. Die Grünen-Abgeordnete Julia Post erklärte vor diesem Hintergrund: „Statt mit einem realitätsfernen ‚Kindergarten-Abitur‘ neue Hürden zu schaffen, sollte die Staatsregierung lieber dafür sorgen, dass jedes Kind in Bayern frühzeitig und kontinuierlich Sprachförderung erhält.“ Dafür aber fehle es an ausreichend Kita-Plätzen und entsprechend geschultem Personal.
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