München
14.04.2024 - 15:14 Uhr

Die RKI-Protokolle und die Verbreitung von Halbwahrheiten durch die AfD

Die Corona-Protokolle des Robert-Koch-Instituts scheinen die Schutzmaßnahmen während der Pandemie infrage zu stellen. Die AfD fühlt sich bestätigt. Im Landtag wird ihr Furor als Verbreiten von Halbwahrheiten und Falschmeldungen entlarvt.

Die Corona-Protokolle des Robert-Koch-Instituts scheinen die Schutzmaßnahmen während der Pandemie infrage zu stellen Symbolbild: Robert Michael/dpa
Die Corona-Protokolle des Robert-Koch-Instituts scheinen die Schutzmaßnahmen während der Pandemie infrage zu stellen

Katrin Ebner-Steiner hat sich ein paar schöne Zitate zurechtgelegt. Die AfD-Fraktionschefin hat sie in den jüngst veröffentlichten Protokollen des Corona-Krisenstabes am Robert-Koch-Institut (RKI) aus der Anfangsphase der Pandemie gefunden und möchte damit ihre These belegen, dass die Staatsregierung unter Mitwirkung der übrigen Oppositionsfraktionen ihre freiheitseinschränkenden Schutzmaßnahmen während der Corona-Wellen gegen die Empfehlungen der Wissenschaft durchgesetzt habe. "Die Kartellparteien haben mit diesen Maßnahmenorgien unseren Rechtsstaat in ein Unrechtsregime ausgebaut und umgebaut", dröhnt Ebner-Steiner am Rednerpult des Landtags.

Nach ihrer Lesart habe das RKI gewarnt, dass die Schutzmaßnahmen schwerere Konsequenzen hätten als das Virus selbst, weil sie zu einer höheren Kindersterblichkeit führten. Zudem habe das RKI die Wirksamkeit von FFP2-Schutzmasken für die Bevölkerung bezweifelt und erklärt, dass das Grippe- gefährlicher als das Corona-Virus sei. "Die Kritiker der Corona-Politik hatten von Anfang an recht", bilanziert Ebner-Steiner. Der Blick in die Protokolle zeigt aber, dass ihre Zitatensammlung zwei Schönheitsfehler hat.

Fehler bei Zitaten der AfD

Auf den Ersten verweist der Grüne Andreas Krahl. Er hält Ebner-Steiner vor, ihre Zitate teils aus dem Zusammenhang gerissen und teils unvollständig wiedergegeben zu haben. Tatsächlich ist es nämlich so, dass sich der RKI-Hinweis zur Kindersterblichkeit auf die durch Tuberkulose verschärfte Lage in Afrika bezogen hatte und explizit nicht auf Deutschland. In der Maskenfrage berief sich das RKI auf die damals noch dünne Datenlage. Einige Studien später kam dann sehr wohl eine Maskenempfehlung. In Sachen Grippe ließ Ebner-Steiner einen folgenden, aber entscheidend relativierenden Halbsatz weg. Und dass die AfD-Fraktionschefin die Protokollinhalte zur ultimativen Empfehlung des RKI an die Politik erklärt, hat das Institut zurückgewiesen. Die Protokolle gäben nicht das Ergebnis der RKI-internen Beratungen wieder, sondern den damaligen wissenschaftlichen Diskussionsprozess dorthin.

Vor diesem Hintergrund bewertet Winfried Bausback (CSU) Ebner-Steiners Aussagen als "durchsichtigen und verantwortungslosen Versuch", die Corona-Schutzmaßnahmen zu skandalisieren und die demokratischen Institutionen zu delegitimieren. Alle Corona-Verordnungen seien aber im Landtag beraten und abgestimmt worden. Zudem hätten von den rund 400 Klagen gegen die Maßnahmen nur sechs vor dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof Erfolg gehabt. Staatskanzleiminister Florian Herrmann (CSU) ergänzt, die Staatsregierung habe ihre Entscheidungen auf Basis wissenschaftlicher Beratung "stets lageabhängig" getroffen. Rückblickend sei das Ziel erreicht worden, Menschenleben zu schützen und vor schwerer Erkrankung zu bewahren. Die damaligen Entscheidungen mit dem Wissen von heute zu kritisieren, sei "Klugscheißertum".

Einsetzung einer Kommission

Für den Grünen Krahl zeigen die RKI-Protokolle die Ernsthaftigkeit der Debatte in wissenschaftlichen Gremien. Sie dürften deshalb nicht politisch missbraucht werden. Krahl räumt aber ein, dass nicht jede der damals getroffenen Entscheidungen richtig gewesen sei: "Mit den Folgen müssen wir uns weiter auseinandersetzen, das ist unsere Pflicht." SPD-Fraktionschef Florian von Brunn regt dazu die Einsetzung einer Kommission unter Beteiligung von Politik, Wissenschaft und Bürgern an. Zudem sollten aus Gründen der Transparenz die Corona-Protokolle von Kabinettssitzungen und des Landesamtes für Gesundheit veröffentlicht werden. Auch Susann Enders (Freie Wähler) plädiert für eine "Reflexion, was in jener Zeit passiert ist". Schließlich habe sich "manches Handeln im Nachhinein als falsch herausgestellt".

Herrmann lehnt politische Aufarbeitung ab

Koalitionspartner Herrmann lehnt eine politische Aufarbeitung dagegen ab. Diese sollte "wissenschaftlich seriös" erfolgen. Auch von der Idee einer Amnestie für Personen, die während der Corona-Zeit Bußgelder für Verstöße gegen im Rückblick überzogen empfundene Maßnahmen - zum Beispiel, wenn sich mal fünf statt vier Leute unter freiem Himmel getroffen haben oder jemand den 15-Kilometer-Radius um den Wohnort verlassen hat - hält er nichts. Das hatte jüngst der frühere Regierende Bürgermeister von Berlin, Michael Müller (SPD), ins Gespräch gebracht. "Populistisch" nennt Herrmann solche Vorschläge. Es gebe keinen Grund für eine Amnestie, weil alle Maßnahmen seinerzeit gerechtfertigt gewesen und - bis auf einzelne Ausnahmen - von den Gerichten bestätigt worden seien. "Das Grundprinzip des Rechtsstaates ist Verlässlichkeit. Warum soll ich dann amnestieren?", lässt Herrmann keine Zweifel und Abwägungen zu.

 
Kommentare

Um Kommentare verfassen zu können, müssen Sie sich anmelden.

Bitte beachten Sie unsere Nutzungsregeln.

Klicken Sie hier für mehr Artikel zum Thema:
Zum Fortsetzen bitte

Sie sind bereits eingeloggt.

Um diesen Artikel lesen zu können, benötigen Sie ein OnetzPlus- oder E-Paper-Abo.