München
10.06.2024 - 16:38 Uhr

Söder poltert gegen die Ampel und reizt die Freien Wähler

Die einen feiern und strotzen vor Selbstbewusstsein, die anderen versuchen, ihren Frust mit Durchhalteparolen zu überdecken. Ein Überblick über die Reaktionen der bayerischen Parteien auf die Europawahl am Tag danach.

Christian Doleschal, CSU-Mitglied des Europäischen Parlaments, Markus Söder, CSU-Vorsitzender, Monika Hohlmeier, CSU-Abgeordnete im Europäischen Parlament, Manfred Weber, Vorsitzender der Europäischen Volkspartei, und Stefan Köhler (von links) auf der CSU-Wahlparty in der Parteizentrale der CSU nach den ersten Ergebnissen. Bild: Peter Kneffel/dpa
Christian Doleschal, CSU-Mitglied des Europäischen Parlaments, Markus Söder, CSU-Vorsitzender, Monika Hohlmeier, CSU-Abgeordnete im Europäischen Parlament, Manfred Weber, Vorsitzender der Europäischen Volkspartei, und Stefan Köhler (von links) auf der CSU-Wahlparty in der Parteizentrale der CSU nach den ersten Ergebnissen.

Sie haben lange gehofft bei der CSU. Je länger der Wahlabend dauerte, desto höher kletterte der schwarze Balken in den Hochrechnungen zur Europawahl und das erhoffte siebte Abgeordnetenmandat rückte näher. Als dann kurz vor Mitternacht alle Stimmen ausgezählt waren, landete die CSU bei 39,7 Prozent – ein Tick zu wenig für das siebte Mandat. Für Parteichef Markus Söder ist das am Tag danach aber nur ein kleiner Makel. "Aus unserer Sicht sind die gut 39 Prozent ein sehr gutes Ergebnis", erklärt er nach einer Sitzung des Parteivorstandes, auch wenn die 40,7 Prozent von 2019 damit verfehlt wurden.

In der Oberpfalz verlor die CSU sogar 2,9 Prozentpunkte im Vergleich zu 2019. Im Bezirk hinzugewinnen, konnten bei den größeren Parteien lediglich die AfD, die Freien Wähler und die FDP. Das "Bündnis Sahra Wagenknecht" erreichte bei der Europawahlpremiere in der Oberpfalz ein Ergebnis von 3,7 Prozent.

Söder hingegen freut sich lieber über andere Zahlen. Mit sechs stellt die CSU mehr Europaabgeordnete als alle anderen bayerischen Parteien zusammen, die nur auf fünf kommen. Zudem liegt das CSU-Ergebnis glatte zehn Prozentpunkte über dem Bundesdurchschnitt der Union. Ob das Auswirkungen auf die Frage der Kanzlerkandidatur zwischen ihm und CDU-Chef Friedrich Merz habe, wird Söder gefragt. "Nein", antwortet Söder ebenso knapp wie treuherzig. Die Entscheidung werde einvernehmlich im Herbst fallen, hält er eisern an der mit der CDU vereinbarten Sprachregelung fest.

"König Olaf"

Und dann ist da noch eine Zahl, die Söder begeistert: 6,4 Prozent. So viel ist nämlich das bayerische CSU-Ergebnis umgerechnet auf ganz Deutschland wert. Es liegt also weit über der Fünf-Prozent-Hürde, die die CSU nächstes Jahr für den Wiedereinzug in den Bundestag knacken muss nach der von der Ampel beschlossenen Wahlrechtsreform. "Es wird nicht funktionieren, die CSU über eine Manipulation des Wahlrechts aus dem Bundestag herauszuhalten", schickt Söder einen schönen Gruß nach Berlin. Es soll nicht der einzige bleiben.

Schon am Wahlabend hatte Söder diagnostiziert, die Ampel sei "de facto abgewählt". Jetzt präzisiert er diese Aussage. Er spricht von einem "totalen Absturz" der Ampel, deren Parteien zusammen weniger Stimmen bekommen hätten als CDU und CSU. Kanzler Olaf Scholz (SPD) sei mithin "König Olaf ohne Land". Söder empfiehlt diesem einen Dreischritt: Vertrauensfrage, Neuwahl, Rücktritt. Denn fürs Weiterregieren fehle Scholz seit Sonntag jegliche Legitimation. "Die Ampel ist eine trostlose Vereinigung, die von ihr geschürte Hoffnungslosigkeit stärkt nur die Extremen", analysiert Söder.

Kurz nimmt sich der CSU-Chef auch noch einmal der Freien Wähler an. In Bayern seien diese bei nicht einmal sieben Prozent stehen geblieben, bundesweit hätten sie gerade das Niveau des Newcomers "Volt" erreicht. Das dürfte es aus Sicht Söders gewesen sein mit den hochtrabenden bundes- und europapolitischen Träumen von Freie-Wähler-Chef Hubert Aiwanger. "Schuster bleib bei deinen Leisten", empfiehlt Söder dem bayerischen Koalitionspartner. Also volle Konzentration auf Bayern, anstatt der Union bei der Bundestagswahl womöglich die entscheidenden Prozente für eine Regierungsbildung zu rauben.

"Wunden lecken"

Aiwanger sieht das selbstredend anders. Er meldet sich ambitionsgerecht aus Berlin. Ganz zufrieden ist er zwar nicht, es gebe "Luft nach oben". Aber: "Ich bin froh, dass wir dazugewonnen haben. Viele andere müssen Wunden lecken, wir können feiern." Immerhin verkündet Aiwanger stolz, dass man die Zahl der Mandate im EU-Parlament um 50 Prozent habe steigern können – von zwei auf drei. Und bis zur Bundestagswahl habe man ja noch ein Jahr Zeit, um die eigene Stimmenzahl zu verdoppeln. "Wir sind eine Partei, die es durchaus schaffen kann, der nächsten Bundesregierung anzugehören", ruft er von der Spree an die Isar. Nach dem von Söder erhofften Rückzug klingt das nicht.

Bei den Grünen hält die Ernüchterung des Wahlabends an. Ihr Höhenflug scheint vorerst vorbei zu sein. Man werde das Ergebnis jetzt in Ruhe analysieren, erklärten die Spitzenleute unisono – was man halt so sagt, wenn einen die Wähler ratlos zurücklassen. Landeschefin Gisela Sengl, eine durchaus zur Selbstkritik fähige Frau, findet vor allem, dass das "Grünen-Bashing der anderen" verfangen habe. "Es wird auf uns eingedroschen, statt selber gute Politik zu machen", raunzt sie in Richtung CSU und Freie Wähler.

Auch bei der SPD verzichtet man auf Selbstgeißelung. Landeschef Florian von Brunn erklärt, man finde sich bundespolitisch in einer schwierigen Situation. Die SPD sei "eingeklemmt" zwischen einer FDP, die "kalte Klientelpolitik für Reiche" mache, und einer "zunehmend verantwortungslosen Opposition", sprich CDU und CSU. Vor diesem Hintergrund sei er froh, "dass wir in Bayern ein stabiles Ergebnis eingefahren haben". Auch so lässt sich ein historisch schlechtes Europawahlabschneiden mit 8,9 Prozent bewerten, nach 9,3 Prozent 2019. Und die AfD? Die genießt offenbar im Stillen, dass sie am Sonntag zweitstärkste Kraft in Bayern wurde, wenn auch mit einem Resultat deutlich unter dem der Landtagswahl in vergangenen Herbst.

 
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