(dpa/epd/kna/kan) "Sollen wir Journalisten künftig berichten, dass eine Bayerin beim Ladendiebstahl erwischt wurde und ein Hesse in angetrunkenem Zustand einen schweren Verkehrsunfall verursacht hat?" So reagierte der Bundesvorsitzende des Deutschen Journalisten-Verbandes (DJV), Frank Überall, auf einen Vorstoß des nordrhein-westfälischen Integrationsministers Joachim Stamp (FDP). Er hatte dieser Tage angeregt, über eine systematische Nennung der Herkunft von mutmaßlichen Tätern in der Berichterstattung nachzudenken. Wenn keine Herkunft erwähnt werde, spekulierten Internetnutzer schnell in den Kommentarspalten, dass es jemand mit Einwanderungsgeschichte gewesen sei. "Das ist ein Problem", sagte Stamp der "Rheinischen Post". "Wenn, dann müsste man die Herkunft eigentlich bei jedem Delikt nennen, auch wenn es dann bizarr wird."
Überall sieht in dem Vorschlag Stamps ein Einknicken des Journalismus vor den Verbreitern von Hassreden und Rassismus in den sozialen Netzwerken. "Niemandem, der Hass und Vorurteile als Wesenselemente der gesellschaftlichen Diskussion sieht, würde damit der Boden entzogen - im Gegenteil." Es sei darüber hinaus absurd, die ethnische Herkunft von Straftätern in jedem Fall zu nennen. Der DJV hält daran fest, dass die ethnische Herkunft von Strafverdächtigen und -tätern in Medien die Ausnahme bleiben muss und nicht zur Regel werden darf.
Beispiel Taschendiebstähle
NRW-Integrationsminister Stamp sagte, seit der Silvesternacht in Köln 2015/2016 gebe es bei manchen die Wahrnehmung, dass Medien bestimmte Dinge nicht realistisch darstellten. Das habe zum Teil zu einer Überreaktion geführt: "Manche Dinge werden nun gelegentlich dramatisiert." Wer sich am schrillsten äußere, werde in der öffentlichen Debatte am stärksten wahrgenommen. "Das ist nicht zukunftsweisend", betonte der Minister. Es gebe aber schon "spezifische Delikte, die von einer bestimmten Tätergruppe aus bestimmten Ländern häufiger begangen werden als andere", erklärte Stamp. Als Beispiele nannte er Taschendiebstähle an Bahnhöfen. "Das muss man klar benennen, damit das Problem auch behoben werden kann." Die Frage, wann in Medien die Herkunft mutmaßlicher Täter genannt werde, regele der Presserat im Pressekodex, unterstrich Stamp. Da mache er keine Vorgaben.
Der Deutsche Presserat mit Sitz in Berlin hatte die entsprechende Richtlinie 12.1 im Pressekodex vor zwei Jahren geändert. Sie fordert seitdem statt eines "begründbaren Sachbezugs" ein "begründetes öffentliches Interesse" als Voraussetzung dafür, die Herkunft von Tätern oder Verdächtigen zu erwähnen. Die alte Praxis war vor allem im Zuge der Berichterstattung über die sexuellen Übergriffe in der Kölner Silvesternacht 2015/16 in die Kritik geraten.
Anfang der Woche folgte dann diese Meldung:
In Presseauskünften soll in Nordrhein-Westfalen künftig die Nationalität aller Tatverdächtigen genannt werden, wenn diese zweifelsfrei feststeht. Der Erlass zur Presse- und Öffentlichkeitsarbeit der Polizei in NRW werde derzeit entsprechend überarbeitet, teilte das Innenministerium in Düsseldorf mit. Die Praxis ist in den einzelnen Bundesländern unterschiedlich (siehe "Hintergrund").
"Ich werbe seit meinem Amtsantritt um Transparenz. Das sollten wir in Zukunft auch in der Pressearbeit der Polizei noch konsequenter umsetzen", erklärte Innenminister Herbert Reul (CDU) die geplante Änderung. Künftig solle gelten: "Wir nennen alle Nationalitäten von Tatverdächtigen, die wir sicher kennen - selbstverständlich auch die von deutschen Tatverdächtigen. Ich bin der festen Überzeugung, dass diese Transparenz das beste Mittel gegen politische Bauernfängerei ist."
Im bisherigen Erlass heißt es: "Auf die Zugehörigkeit zu einer Minderheit wird in der internen und externen Berichterstattung nur hingewiesen, wenn sie für das Verständnis eines Sachverhalts oder für die Herstellung eines sachlichen Bezugs zwingend erforderlich ist."
Sache der Redaktion
Der Deutsche Presserat begrüßte, "dass die Polizei der Presse die Information über die Nationalität von Tatverdächtigen zur Verfügung stellt". Sprecher Volker Stennei sagte weiter: "Die Entscheidung, ob die Nationalität für die Berichterstattung relevant ist, muss jede ethisch gebundene Redaktion sorgsam selbst abwägen und treffen. Das kann und darf keine Behörde entscheiden."
Des Weiteren erklärte Stennei: "Allein die Tatsache, dass eine Behörde die Nationalität nennt, rechtfertigt nicht die Verwendung in der Berichterstattung." Nach der entsprechenden Richtlinie des Presserates müsse "ein begründetes öffentliches Interesse an der Herkunft eines Tatverdächtigen bestehen". Dies sei zumeist bei besonders schweren Taten wie zum Beispiel Mord oder Terrorismus gegeben.
Der Pressekodex empfiehlt in seiner Richtlinie 12.1, in der Berichterstattung über Straftaten außerdem darauf zu achten, "dass die Erwähnung der Zugehörigkeit der Verdächtigen oder Täter zu ethnischen, religiösen oder anderen Minderheiten nicht zu einer diskriminierenden Verallgemeinerung individuellen Fehlverhaltens führt".
Polizeipraxis nicht einheitlich
In Deutschland ist die Praxis bei der Polizei nicht einheitlich: In Schleswig-Holstein etwa soll die Nationalität weiterhin nur dann genannt werden, wenn der Sachzusammenhang das erforderlich mache. In Thüringen gibt es nach Angaben des Innenministeriums weder einen Erlass zur Nennung von Nationalitäten in Pressemitteilungen, noch sei ein solcher in Planung. „Es liegt grundsätzlich im Ermessen des Polizeibeamten, zu entscheiden, ob die Nennung der Nationalität relevant für das Tatgeschehen ist“, sagte ein Sprecher. Dabei sollen sich die Polizisten am Pressekodex orientieren.
In Rheinland-Pfalz ist nach Auskunft des Innenministeriums ebenfalls kein Erlass vorgesehen. Die Nationalität werde genannt, wenn dies aus Ermittlungsgründen für sinnvoll gehalten werde oder in Übereinstimmung mit dem Pressekodex „ein begründetes öffentliches Interesse“ bestehe.
Und auch in Baden-Württemberg ist in Presseauskünften der Polizei keine generelle Nennung der Nationalität von Tatverdächtigen beabsichtigt. Ein Sprecher des Innenministeriums erklärte, die Nationalität werde in Abstimmung mit den beteiligten Staatsanwaltschaften und Gerichten dann veröffentlicht, wenn sie bei der Beurteilung einer Straftat eine Rolle spiele – bei einfachen Körperverletzungen zum Beispiel werde sie nicht erwähnt.
Und wie sieht es in Bayern aus? „Im Bewusstsein ihrer gesamtgesellschaftlichen Verantwortung verfahren die Pressestellen der Polizeipräsidien mit der Nennung der Nationalität von Tatverdächtigen sehr bedacht und sensibel“, antwortete der Pressesprecher des Innenministeriums, Oliver Platzer, auf Anfrage von Oberpfalz-Medien. In der Praxis würden im Einzelfall die Nationalitäten von Tatverdächtigen genannt.
Seitens des Innenministeriums gebe es keine spezifische schriftliche Regelung für die Pressearbeit der Polizeipräsidien. Inhalt und Umfang der Pressearbeit würden von diesen – eventuell in Abstimmung mit der Staatsanwaltschaft – entschieden und verantwortet, so betinte Platzer. Bayerns Innenminister Joachim Herrmann, der derzeit im Urlaub ist, ließ mitteilen: „Wir werden uns die beabsichtigte Neuregelung in Nordrhein-Westfalen näher anschauen und gegebenenfalls entscheiden, ob in Bayern Änderungen oder Ergänzungen notwendig sind. Bislang hat sich die Praxis in Bayern bewährt.“
Von der Gewerkschaft der Polizei (GdP) hieß es, die Nationalität von Tatverdächtigen spiele bei der polizeilichen Ermittlungsarbeit immer eine Rolle. „Ermittlungsergebnisse gehören aber nur begrenzt in die Öffentlichkeit“, erklärte der GdP-Bundesvorsitzende Oliver Malchow. „Deshalb kann es eine generelle Transparenz bei der polizeilichen Pressearbeit in diesem Zusammenhang nicht geben.“ (dpa/kan)
Wir halten uns an ethische Standards
„Journalisten geraten nicht selten in ein Dilemma, wenn Polizeipressestellen die Herkunft eines mutmaßlichen Täters öffentlich mitteilen – beispielsweise in den sozialen Netzwerken. Würde unsere Redaktion sich dem ohne überzeugende Begründung anschließen, widerspräche dies nicht nur unserem ethischen Selbstverständnis und der Richtlinie 12.1. des Pressekodex. Zugleich wäre es Wasser auf die Mühlen jener Leser, die darin berechtigterweise eine Diskriminierung sähen und sich deshalb mit einer Beschwerde an den Deutschen Presserat wenden. Teilen wir das Herkunftsland eines Verdächtigen nicht mit, sehen wir uns indes mit dem Vorwurf konfrontiert, dem mündigen Leser Informationen vorzuenthalten. Dies wiederum schadet unsere Glaubwürdigkeit.“
Geschrieben hat das dieser Tage ein Kollege, der Chefredakteur der „Main-Post“ in Würzburg, Michael Reinhard. Besser kann man es nicht auf den Punkt bringen. Wir erleben es fast tagtäglich: Wird die Nationalität eines Straftäters oder Tatverdächtigen von uns nicht erwähnt, bricht auf Facebook sofort ein Sturm der Entrüstung los. Dann sind wir wieder die „Lügenpresse“. Ethische Standards, an die wir uns bei der Berichterstattung über Kriminalität halten, zählen bei diesen Leuten nicht und stoßen auf null Verständnis.
Für uns zählt sie aber weiterhin, die Richtlinie 12.1 des Pressekodex, der für die Polizei freilich nicht gilt. Mit der Ziffer 12 bekennen wir uns als Print- und Onlinemedium zum Diskriminierungsverbot. (kan)
Um Kommentare verfassen zu können, müssen Sie sich anmelden.
Bitte beachten Sie unsere Nutzungsregeln.