Prag
24.06.2024 - 13:57 Uhr

Neue Quertreiber-Fraktion im EU-Parlament?

Tschechiens Ex-Premier Babiš pfeift auf seinen „Freund“ Macron. Dafür hätte er gern im EU-Parlament eine neue Fraktion. Unter anderem mit Fico, Orbán, Marine Le Pen und Wilders. Und das aus vor allem innenpolitischem Interesse.

Andrej Babiš, Vorsitzender der oppositionelle ANO-Partei, gibt seine Stimme bei den Wahlen zum Europäischen Parlament ab. Bild: Øíhová Michaela/dpa
Andrej Babiš, Vorsitzender der oppositionelle ANO-Partei, gibt seine Stimme bei den Wahlen zum Europäischen Parlament ab.

Von Hans-Jörg Schmidt, Korrespondent in Prag

Andrej Babiš, früherer liberaler Premier Tschechiens mit nationalistischen Anwandlungen, rühmt sich gern seiner vielen wichtigen Telefonkontakte. „Komplizierte Probleme löse ich mit einem Anruf“, sagt er etwas großspurig und verweist in diesem Zusammenhang gern auch darauf, dass er diverser Sprachen mächtig sei. Um im letzten tschechischen Präsidentschaftswahlkampf Punkte bei den Wählern zu machen, bat er via Anruf Frankreichs Präsidenten Emmanuel Macron um ein gemeinsames Foto in Paris. Geholfen hat das Foto nicht; Babiš verlor dennoch klar die Stichwahl gegen Peter Pavel. Jetzt ist „Freund Emmanuel“ nicht mehr sein „Freund“. Babiš hat sich am Wochenende mit seiner Bewegung ANO von der Fraktion Renew verabschiedet, in der Macrons Partei das Sagen hat.

Mit Renew gehe nichts mehr gemeinsam, befand Babiš, der derzeit Oppositionsführer im Prager Abgeordnetenhaus ist. Es gebe gravierende Meinungsverschiedenheiten in Bezug auf die Migrationspolitik und den Green Deal, den Renew trotz einiger Widerstände immer unterstützt habe. „Wir sind mit dem Versprechen in die Europawahl gegangen, dass wir gegen illegale Migration kämpfen, das Verbot von Verbrennungsmotoren aufheben und den Green Deal grundlegend ändern wollen“, sagte Babiš zur Begründung für seinen Austritt aus der liberalen Fraktion, die im EU-Parlament bislang drittstärkste Kraft ist. „Wir wollen vor allem, dass die Tschechische Republik ein souveränes Land bleibt. Die bisherigen Verhandlungen haben gezeigt, dass dies in der Fraktion von Renew nicht möglich sein wird.“

Völlig neues Bündnis?

Die sieben ANO-Abgeordenten im EU-Parlament sind damit derzeit fraktionslos. Doch das soll nicht so bleiben. Irgendwo anders unterzukriechen, ist freilich nicht so einfach. Bei der denkbaren EU-kritischen Fraktion der Konservativen und Reformer (EKR), wo die befreundete polnische PiS von Jarosław Kaczyński eine wichtige Rolle spielt, geht es nicht, weil die EKR auch die Heimat der tschechischen Regierungspartei ODS ist. Die ODS ist der größte innenpolitische Widersacher von ANO. Babiš will die ODS bei den Wahlen 2025 wieder schlagen.

Man werde jetzt zwei Wochen überlegen und verhandeln, sagte Babiš. Folgt man den Mutmaßungen mehrerer großer Prager Zeitungen, dann strebt Babiš ein völlig neues Bündnis an. Eines von EU-kritischen Parteien quer durch Europa, das die EU zwar nicht aus den Angeln hebeln könnte, für die Pro-Europäer aber dennoch zum Gruseln wäre. Den Berichten zufolge könnten dem neuen Konstrukt die in der Slowakei regierende Partei Smer von Premier Robert Fico, der Fidesz von Ungarns Regierungschef Viktor Orbán, der französische Rassemblement National von Marine Le Pen, der niederländische Wahlsieger Geert Wilders, die österreichische FPÖ und die Slowenische Demokratische Partei unter Regierungschef Janez Janša angehören. Sieben Parteien sind im EU-Parlament erforderlich, um eine eigene Fraktion zu bilden.

Nur ein Mittel zur Innenpolitik

Mit seinem persönlichen Freund Orbán ist sich Babiš angeblich bereits einig. Mit Vertretern der Smer habe er gerade am Rande der feierlichen Amtsübernahme des slowakischen Präsidenten Peter Pellegrini in Bratislava gesprochen. Zu den übrigen Protagonisten habe der tschechische Ex-Premier gute Kontakte, heißt es. Kompliziert könnte es mit Le Pen werden, die eine etwas ambivalente Haltung zum Ukraine-Krieg Russlands einnimmt.

Folgt man den Prager Kommentatoren, dann geht es Babiš mit der womöglichen neuen Fraktion jedoch gar nicht so sehr um die EU-Politik. Hospodářské noviny schrieb, er habe sich mit dem Austritt aus Renew „vor allem die Hände frei gemacht, um vor den Parlamentswahlen im nächsten Herbst hart gegen die EU vorgehen zu können. Er wird zu fast allem automatisch ‚Nein‘ sagen. Europapolitik ist für ihn in erster Linie ein Mittel der Innenpolitik.“

 
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