Leises Schluchzen, eine Frau klammert sich an ihr leeres Glas, blickt um sich. Berta findet ihre Handtasche nicht mehr. Noch bevor sich die anderen fragen können, was passiert ist, sind ihre Tränen schon getrocknet. Eine Betreuerin legt ihr die Handtasche auf den Schoß, eine andere reicht ein Taschentuch. Berta, die wie alle anderen Demenzkranken hier nicht bei ihrem wirklichen Namen genannt werden soll, hat den Zwischenfall schnell vergessen.
Das Vergessen verbindet sie, die Besucher des Demenz-Cafés im Rotkreuzhaus. Um dabei sein zu können, müsse man nicht dement sein. "Gäste sind willkommen", sagt Anni Priebe. Zusammen mit den anderen hauptamtlichen Betreuerinnen Heike Schindler und Monika Schmid leitet sie die Demenzgruppe der BRK-Bereitschaft. Klara, die das kurz Drama von der anderen Seite des Tisches aus verfolgt hat, trinkt "Kastrierten" aus der Tasse. So nennt Anni Priebe den koffeinfreien Kaffee. Dazu wird gerade Streuselkuchen mit Äpfeln und Zwetschgendatschi serviert. Klara erzählt, sie habe Weintrauben im Garten, die seien dieses Jahr blau wie nie. Sie berichtet von der Obsternte, als sei sie gerade erst von der Leiter gestiegen, einen Eimer Pflaumen in der Hand. "Um ihren Garten kümmert sie sich schon lange nicht mehr", wird Anni Priebe später erklären. Drei oder vier Jahre sei das her. Die 64-Jährige hat ihre Schützlinge stets im Blick. Einige sind schwer dement. Sie können ihren Namen nicht mehr schreiben, erinnern sich nicht daran, jemals hier gewesen zu sein. Sie fragen Priebe: "Ja, kommst du auch mal wieder?"
Ob sie nicht müde werde, die gleiche Frage dreimal hintereinander zu beantworten? "Nein, wieso auch? Ich antworte auch drei Stunden lang auf die gleiche Frage." So sei das eben. Sie erzählt von einer ehemaligen Besucherin, die beim Kaffee immer wieder aufschreckte. "Mensch, ich muss heim, ich muss doch was kochen", habe sie gesagt, sei aufgesprungen und zur Tür gelaufen. "Wir haben sie nach draußen begleitet und ihr erklärt, dass ihre Tochter zu Hause wäre, sie nichts kochen müsse und hierbleiben könne." Danach habe sie sich wieder an den Tisch gesetzt und sich gefreut, dass sie bleiben könne. "Bis sich alles sechs Minuten später wiederholte." Deswegen gibt es im Café für jeden Patienten mindestens einen Betreuer. Heike Schindler ergänzt: "Wir passen auch auf, dass die Gruppe nicht zu groß wird." Die Treffen der Demenzgruppe stünden meist schon für das ganze Jahr im Familienkalender. Die pflegenden Angehörigen seien dankbar um die vier, fünf Stunden, die sie dann für sich haben. "Jeder braucht mal eine Pause vom Betreuen", weiß Schindler.
Toilettenpause. Vor der Damentoilette bildet sich eine Schlange. Klara aber schüttelt nur den Kopf, als Heike Schindler sie fragt, ob sie nicht auch mal müsse. Die Krankenschwester setzt sich zu ihr. Klara rührt im Kaffee. "Sie sind das erste Mal Uroma geworden, nicht?" Ein Leuchten blitzt auf in den Augen der Frau. "Eine Anna", sagt sie, lächelt kurz und rührt weiter. Später wird die Schwester sie doch noch von einem Gang zur Toilette überzeugen.
"Wenn man dabei ist, ist man dabei", sagt Anni Priebe. Und sie meint: für immer. Die 64-Jährige kann sich ein Leben ohne das Café nicht mehr vorstellen. "Keine Stunde, keinen Tag habe ich bereut." Sie blättert in einem Fotobuch: Juli 2008. Es ist abgegriffen, der blaue Einband verblasst. Am 29. September 2018 feiert das Café Zeitlos zehnjähriges Jubiläum. Gefeiert wird ab 10 Uhr eine Andacht am Rotkreuzhaus mit anschließendem Mittagessen und Kaffeetrinken.
Am Jubeltag wird Braten serviert, auf dem Speiseplan für diesen Abend steht Gemüsesuppe. "Nur", moniert Hans. Damit es etwas in den Magen gibt, müssen sich die Senioren trotzdem ins Zeug legen. Karotten, Kartoffeln und Sellerie müssen geschält und in Scheiben geschnitten werden. Nach Seniorengymnastik, gemeinsamem Singen und Gehirntraining löffeln schließlich alle zufrieden ihre Suppe. Ganz besonders freut sich Hans: Er hat Wienerl in der Suppe gefunden. Mit seiner Apfelsaftschorle prostet er Klara zu. Zweimal im Monat sitzen sie sich gegenüber. Ob sie sich in Stunden noch daran erinnern, zählt in diesem Moment nicht.
Was ist Alzheimer? Was Demenz?
Das Wort „Demenz“ stammt aus dem Lateinischen und lässt sich mit „weg vom Geist“ übersetzen, erklärt Maria Kammermeier. Sie ist die Vorsitzende der Oberpfälzer Alzheimer-Gesellschaft. „Demenz beschreibt keine Erkrankung, sondern ist ein Sammelbegriff für verschiedene Krankheiten mit ähnlichen Symptomen“, sagt sie. Dies seien zum Beispiel eine Verschlechterung von Denkvermögen, Orientierung, Auffassungsgabe, Lernfähigkeit und Sprachvermögen. Alzheimer ist die häufigste Form der Demenz und betrifft zwei Drittel der Demenzkranken. Laut Gesundheitsministerium erkranken daran rund fünf Prozent der über 65-Jährigen. Die Krankheit führt dazu, dass Gehirnzellen absterben. Andere Arten der Demenz sind weniger bekannt, aber auch weniger verbreitet. „Zum Beispiel die Vaskuläre Demenz. Hier führen Durchblutungsstörungen im Gehirn zum Absterben der Zellen“, führt Kammermeier aus. Die Symptome seien ähnlich.
Wie verläuft die Krankheit?
Alzheimer beginnt meist schleichend mit Gedächtnisstörung. „Es können Jahre vergehen, bis man das bemerkt“, so Kammermeier. „Vergessene Termine, doppelt gekauftes Spülmittel. Es sind kleine Pannen, die auf eine Erkrankung hinweisen – wenn sie sich häufen.“ Im weiteren Verlauf der Krankheit summieren sich die Dinge des Alltags, die die Betroffenen nicht mehr bewältigen können: „Sie verlaufen sich, wo sie sich noch vor kurzem auskannten, und finden nicht nach Hause zurück oder wissen nicht mehr, wie die Bedienung des Geldautomaten funktioniert“, berichtet Kammermeier. Dabei gehen die Betroffenen unterschiedlich mit den Symptomen um: „Viele ziehen sich zurück, schämen sich. Andere gehen in die Verteidigung: Sie schreiben den Fehler anderen zu“, sagt Kammermeier.
Welche Therapien gibt es?
Medikamente können helfen, das Gedächtnis länger zu erhalten. Aber auch Singen, Musizieren, Malen, Bewegung, Gedächtnistraining oder Biografie-Arbeit können das Wohlbefinden der Betroffenen verbessern. Klar müsse allerdings sein, so erklärt die Vorsitzende der Alzheimer Gesellschaft, dass der chronische Verlauf der Krankheit nicht zu stoppen ist. „Aber die Geschwindigkeit des Abbaus lässt sich beeinflussen.“
Wie gehe ich mit Kranken um?
„Normal“, rät Maria Kammermeier. Wichtig sei vor allem Entschleunigung: „Langsames Sprechen, kurze Sätze, wenig Information.“ Und am besten darauf warten, dass das Gesagte tatsächlich verstanden wird, empfiehlt die Expertin.
„Kommt die Information nicht an, versucht man es besser später noch einmal, mit einem anderen Ansatz oder in einer anderen Situation.“ Denn würden Demente überfordert, reagieren sie gereizt oder aggressiv. Spüren sie Druck, lehnen sie meist ab. „Das ist der letzte Rest Selbstbestimmung.“ Dringend warnt sie davor, es sich allzu leicht zu machen und die Erkrankten anzulügen. „Das merken die Betroffenen – und das Vertrauen geht verloren.“
Laut Zahlen des Bayerischen Gesundheistministeriums leben in Bayern derzeit über 240 000 Menschen mit Demenz – davon über 20 000 Betroffene in der Oberpfalz. Ein Ministeriumssprecher spricht von mehr als 6 600 kranken Oberpfälzer Männern und über 13 400 Frauen mit Demenz. „Wenn das Erkrankungsrisiko künftig auf dem bisherigen Niveau verbleibt, ist in Bayern bis 2020 mit einem Anstieg der Zahl der Menschen mit Demenz um gut 20 Prozent auf 270 000 zu rechnen, bis 2032 würde ihre Zahl um mehr als 50 Prozent auf 340 000 steigen“, so ist im Bayerischen Demenz Survey zu lesen.
Für die Studie wurden 363 Menschen mit Demenz und 342 pflegende Angehörige untersucht. Die Erkrankten wohnen in Dachau, Erlangen und Kronach, ihnen wurde zwischen 2015 und 2017 Demenz diagnostiziert. Einige Ergebnisse: Aus Sicht der Angehörigen lagen zwischen den ersten Symptomen und der Diagnosestellung durchschnittlich 23,7 Monate. Erschreckend: Zum Zeitpunkt der Diagnosestellung gaben mehr als die Hälfte der Angehörigen an, keine Informationen über den Verlauf der Erkrankung erhalten zu haben, 40 Prozent wurden nicht über die Krankheit selbst informiert. Weiterhin gaben 37 Prozent der Angehörigen an, zum Zeitpunkt der Diagnosestellung keine Informationen über eine Therapie mit Medikamenten erhalten zu haben, sogar 53 Prozent gaben an, nicht über alternative Therapiemöglichkeiten informiert worden zu sein
Maria Kammermeier, Vorsitzende der Oberpfälzer Alzheimer-Gesellschaft nennt die pflegenden Angehörigen „versteckte Opfer“: „Mir erzählen Angehörige, sie würden nicht mehr zu Feiern eingeladen, ihr Freundeskreis wende sich ab.“ Das passiere unter anderem, weil viele Menschen nicht wissen, wie sie mit den Kranken und der Krankheit umgehen sollen. „Die Krankheit trifft die westliche Gesellschaft an einem wunden Punkt: dem Intellekt.“ Die Kranken fallen aus dem Bild, das geprägt ist von den Normen und Regeln des normalen Zusammenlebens. Dazu komme: „Pflegt man einen Alzheimer-Patienten, hat man einen 24-Stunden-Job – und es ist kein Ende absehbar“, schildert Kammermeier. Deshalb sei es besonders wichtig, die Angehörigen zu entlasten. Die Alzheimer-Gesellschaft bietet gerade eine Schulung an: ’Hilfe beim Helfen’. Es gäbe großen Bedarf, sagt Kammermeier. „Man sollte denken, dass die Angehörigen uns die Bude einrennen – doch stattdessen müssen eher wir ihnen hinterherlaufen.“
Antworten auf Fragen zum Thema Demenz und Alzheimer gibt ein Team der Deutschen Alzheimer Gesellschaft unter Telefon 030/259 37 95 14.
Demenz-Beratungsstellen der Oberpfalz
Sozialpsychiatrische Dienste in der Oberpfalz
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