Deutschland und die Welt
26.10.2018 - 12:58 Uhr

Niemand soll vergessen sein

In der europäischen Geschichte ist der 11. November 1918 eines der markantesten Daten. Mit der Kapitulation und dem Ende des Ersten Weltkrieges verschwand das Deutsche Kaiserreich, das Schicksal der Habsburger Donaumonarchie war besiegelt

Perfekt intoniert der Trompeter in der Uniform der bulgarischen Präsidialgarde vor dem deutschen Ehrenmal im Zentralfiedhof von Sofia den „Guten Kameraden“. Bild: Hans Klemm
Perfekt intoniert der Trompeter in der Uniform der bulgarischen Präsidialgarde vor dem deutschen Ehrenmal im Zentralfiedhof von Sofia den „Guten Kameraden“.

Auch das Osmanische Reich hatte sich erledigt, in der Sowjetunion festigen die Kommunisten ihre Macht, die USA waren zur Weltmacht aufgestiegen. Staaten verschwanden von der Landkarte, neue entstanden wie die Tschechoslowakei oder Jugoslawien. Das Gedenken an diese umwälzende Epoche steht deshalb heuer im Zentrum, wenn an Allerheiligen/Allerseelen (1./2. November)und am Volkstrauertag (18. November) den Millionen Opfern dieses ersten großen Völkermordens gedacht wird.

Der Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge, Landesverband Bayern, organisiert seit Jahrzehnten im Spätsommer Pressereisen zu historischen Brennpunkten aus den beiden Weltkriegen. Verdun oder das Elsass, die Isonzo-Front oder El-Alamein, die Krim oder Danzig, Stalingrad, St. Petersburg oder die Normandie standen schon auf dem Reiseprogramm. Heuer also Bulgarien, die "vergessene Front", die in Geschichtsbüchern nur eine untergeordnete Rolle spielt.

___ Gegner und Verbündete ___

Die Fakten sprechen eine andere Sprache. Auf dem 100 Hektar großen Zentralfriedhof in der Hauptstadt Sofia ruhen die Gegner oder auch Verbündete von einst friedlich nebeneinander: Gedenkstätten von Kroaten, Serben, einer russischen "Weißen Armee" und bulgarischen Toten liegen hier, auch die Grabstätten von Briten, Franzosen und Italienern, nur wenige Meter entfernt das Hochkreuz für deutsche Gefallene aus beiden Weltkriegen.

Der Botschafter der Bundesrepublik, Herbert Salber und Volksbund-Landesvorsitzender Wilhelm Wenning legen ein Blumenbukett nieder, ein Trompeter in der Uniform der Präsidialgarde bläst den "Guten Kameraden". Der Diplomat berichtet, jedes Jahr träfe sich hier das Diplomatische Corps um gemeinsam zu gedenken.

Ein alternatives Programm zum deutschen Touristen, der sich um Varna an der Schwarzmeerküste aufhält, führte uns Richtung Griechenland/Mazedonien. Dort liegt auf 1 150 Metern Höhe das festungsähnlich ausgebaute Kloster Rina, das in seiner Blütezeit 500 Mönche beherbergte und zum Unesco-Welterbe zählt. In Sandinski (27 000 Einwohner) liegt mitten im terrassenförmig angelegten Stadtfriedhof eine sehr gepflegte Grabstätte mit 17 deutschen Toten des Ersten und 16 Opfern des Zweiten Weltkrieges. Pope Georgi Tanschev segnete die Gräber und die Bayern-Delegation, verteilte Salz, Brot und Rotwein. Ljudmila Karaiwanowa, die seit 20 Jahren im Auftrag des Volksbundes Grabstätten in der Region betreut, entzündete Lichter auf allen Grabplatten.

___ Verblichene Schrift ___

Sie, die von Berufs wegen eigentlich Lehrerin ist, führte die Gruppe auch zum "Fliegergrab von Roshen". Dort, mitten im Wald auf einer steilen Anhöhe, liegt ein Gedenkstein für vier Angehörige des "Edelweiß-Geschwaders" aus Landsberg am Lech, die beim Absturz ihrer Maschine ums Leben kamen. Ljudmila Karaiowa kniete nieder und malte mit einem Filzstift die verblichene Schrift auf der Granit-Tafel nach. Die Namen wurden wieder lesbar - getreu dem Volksbund-Motto: Niemand soll vergessen sein. www.volksbund.de

Service:

Noch bis zum 4. November läuft die Haus- und Straßensammlung zugunsten des Volksbundes Deutsche Kriegsgräberfürsorge. Vor allem Mitglieder von Soldaten- und Kriegerkameradschaften, Reservisten und aktive Soldaten bitten um Spenden für den Verein, der 2,7 Millionen Tote beider Weltkriege auf 832 Friedhöfen in 46 Staaten betreut.

Seit dem Fall des „Eisernen Vorhanges“ hat sich das Aufgabengebiet deutlich erweitert. Seither wurden in Osteuropa 910 000 Gefallene geborgen und bestattet, möglichst auch identifiziert und damit Schicksale nach Jahrzehnten der Ungewissheit geklärt. Und die Suche geht weiter. Nur 30 Prozent des Budgets decken Steuermittel, den Rest muss der Volksbund aus privaten Zuwendungen finanzieren. Die Gelder fließen auch in die internationale Jugendarbeit. Vier Kriegsfriedhöfe sind zu „Lernorten der Geschichte“ ausgebaut. (km)

Streifzug durch die Geschichte Bulgariens:

Die Thraker liefern die ersten Zeugnisse einer Besiedlung etwa 2000 v. Chr. Nach einer bewegten Geschichte und mit der Übernahme einer westlich geprägten Verfassung und der Wahl des deutschen Alexander von Battenberg zum Fürsten wendet sich Bulgarien nach Europa. 1887 wird Prinz Ferdinand von Sachsen-Coburg-Gotha zum Nachfolger gewählt, der 1908 den Titel „Zar der Bulgaren“ annimmt.

Zwei Balkankriege (1912 und 1913) drängen den türkischen Einfluss weiter zurück, allerdings zerfällt die Allianz der Bulgaren mit Serben und Griechen und führt zu Gebietsabtretungen. Im Ersten Weltkrieg gibt das Land seine anfängliche Neutralität auf und schließt sich wegen der Aussicht auf Gebietsgewinne Deutschland-Österreich an. Mit der bedingungslosen Kapitulation 1918 verliert Bulgarien den Seezugang zur Ägäis.

Auch zu Beginn des Zweiten Weltkrieges spielt die Aussicht auf ein Groß-Bulgarien eine Rolle. Zar Boris III. tritt dem Dreimächtepakt (Deutsches Reich,Italien,Japan) bei, lehnt jedoch Kriegshandlungen gegen die Sowjetunion ab. Am 2. März 1941 rücken deutsche Truppen ein und nützen das Land als Aufmarschgebiet gegen Griechenland und die UdSSR.

Ab 1943 entsteht eine Partisanenbewegung, im März desselben Jahres lehnt das Parlament die geforderte Auslieferung von 50 000 Juden ab. Im August 1944 wird der „Rückzug aus dem Krieg“ verkündet, die Rote Armee besetzt das Land. Es folgen brutale Säuberungen. 30 000 „Unzuverlässige“ sollen nach Kriegsende ihr Leben verloren haben, Tausende gehen in Straf- und Arbeitslager.

1946 wird die Volksrepublik ausgerufen und das stalinistische System greift: Verstaatlichung, Kollektivierung und Unterdrückung. Von 1962 bis 1989 regiert Todor Schivkov mit harter Hand, muss aber der Perestroika weichen. Am 11. November 1989 gibt es die ersten Parlamentswahlen. Demokraten und Kommunisten übernehmen wechselweise die Geschicke, können aber die wirtschaftliche Lage der über sieben Millionen Einwohner (Stand 2016) kaum bessern. Aber die Ausrichtung der Politik geht seit der Annahme der Verfassung 1991 klar in Richtung Europa.

Seit 2004 ist Bulgarien Mitglied der Nato, seit 1. Januar 2007 Bestandteil der Europäischen Union. Die EU kritisiert seither, dass Erfolge im Kampf gegen die Korruption ausbleiben, dass Oligarchen Politik und Justiz im Griff haben. Das führt zu Massen-Auswanderung. Seit 25 Jahren hat das Land ein Fünftel der Bevölkerung verloren.

Auf dem Zentralfriedhof in Sofia ist auch das Ehepaar Schivkov bestattet. Das Grab des Ex-Diktators erweckt nicht den Eindruck einer sehr gepflegten und gerne besuchten Ruhestätte. Bild: Hans Klemm
Auf dem Zentralfriedhof in Sofia ist auch das Ehepaar Schivkov bestattet. Das Grab des Ex-Diktators erweckt nicht den Eindruck einer sehr gepflegten und gerne besuchten Ruhestätte.
Auf einer Anhöhe an der Grenze zu Mazedonien steht dieses Monumental-Denkmal. Es erinnert an eine Schlacht im Jahr 1014 zwischen Bulgaren und Byzantinern. Bild: Hans Klemm
Auf einer Anhöhe an der Grenze zu Mazedonien steht dieses Monumental-Denkmal. Es erinnert an eine Schlacht im Jahr 1014 zwischen Bulgaren und Byzantinern.
Deutschlands Botschafter in Bulgarien, Herbert Salber (links) und Volksbund-Landesvorsitzender Wilhelm Wenning legen vor dem Ehrenmal in Sofia Blumengebinde nieder. Bild: Hans Klemm
Deutschlands Botschafter in Bulgarien, Herbert Salber (links) und Volksbund-Landesvorsitzender Wilhelm Wenning legen vor dem Ehrenmal in Sofia Blumengebinde nieder.
 
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