München
07.03.2019 - 19:54 Uhr

Oberpfälzer Weltreisender

Südkorea, Polen, Tschechien und Garmisch-Partenkirchen: Der gebürtige Oberpfälzer Alexander Liebreich ist ein gefragter Dirigent. Aber auch eine Kantine in München spielte in seinem Leben eine wichtige Rolle.

Dirigent Alexander Liebreich Bild: Bartek Barczyk
Dirigent Alexander Liebreich

Der gebürtige Regensburger Alexander Liebreich geht gerne neue Wege. Er ist der erste deutsche Chefdirigent in Polen nach dem zweiten Weltkrieg und übernahm als erster Deutscher die Leitung des bedeutenden asisatischen Musikfestivals in Tongyeong/Südkorea. Als neuer Chef des Richard-Strauss-Festivals lädt er zu Musikwanderungen im Werdenfelser Land, plaudert mit Ski-Star Felix Neureuther am Kamin und entdeckt Kloster Ettal als imposante Open Air-Kulisse. Die Kulturredaktion hat den vielbeschäftigten Maestro zwischen zwei Asien-Gastspielen in Brünn/Tschechien erreicht:

ONETZ: Herr Liebreich, allein in den ersten Monaten des Jahres pendeln Sie zwischen Polen, Tschechien, HongKong, Singapur, Japan, Schottland, Südkorea und Polen – ist so etwas wie Jetlag für Sie noch ein Thema?

Alexander Liebreich : Ja, das ist ein Dauerthema. Nach meinem Aufenthalt in Asien befinde ich mich jetzt in einem Zwischenstadium und habe mich daran orientiert, wie die Sportler bei den Olympischen Spielen 2018 in Südkorea den Acht-Stunden-Zeitunterschied auf vier Stunden angepasst haben. Es ist zweischneidig, aber ich liebe das Tempo Asiens, das gibt so viel Schwung – und Musik ist Ruhe.

ONETZ: Sie sind Chefdirigent und künstlerischer Leiter des Nationalen Sinfonieorchesters des Polnischen Rundfunks – als erster Deutscher nach dem zweiten Weltkrieg. Wie war das für Sie?

Alexander Liebreich : Man kommt da ja nicht mit diesem Bewusstsein hin. Für meine täglich Arbeit mit dem Orchester ist das völlig belanglos, Musik ist ja polyglott. Relevant ist das nur auf kulturpolitischer Ebene, in der Arbeit mit der Öffentlichkeit. Mittlerweile habe ich dort verschiedene politische Phasen erlebt, aber als Musiker müssen wir jenseits der Politik stehen.

ONETZ: 2003 hatten Sie auch eine Gastprofessur an der University of Music and Dance in Pjöngjang/Nordkorea – ein musikalisches Abenteuer oder eine ganz normale Station?

Alexander Liebreich : Das war ein Gastprofessur des Deutschen Akademischen Austauschdienstes, ein Angebot, das das Auswärtige Amt in Nordkorea verankert hat. Politisch gesehen hatte ich keinen Kontakt, dafür aber sehr viel Kontakt mit den Menschen vor Ort. 2002 war ich das erste Mal, 2012 das letzte Mal in Nordkorea. Diese Zeit hat mein Weltbild verändert. Es gibt eine menschliche Struktur jenseits des Systems, ich habe die Menschen dort sehr lieb gewonnen.

ONETZ: Haben Sie heute noch Verbindungen nach Nordkorea?

Alexander Liebreich : Zu Privatpersonen ist das schwierig, es gibt ja kein Internet, sondern nur ein Intranet. Es wäre aber schon eine Überlegung, ob man da heute einfach jemanden anrufen könnte.

ONETZ: Sie sind auch Chefdirigent des Rundfunk-Sinfonieorchesters Prag und dazu noch international gefrager Gastdirigent – wäre Ihnen ein Klangkörper allein zu wenig?

Alexander Liebreich : Meine Zeit beim Sinfonieorchester des Polnischen Rundfunks endet dieses Jahr, zu Prag habe ich über meinen Vater, der in Usti nad Labem geboren ist, auch eine familiäre Verankerung und ich genieße die vielen Gastdirigate. In den letzten 15 Jahren habe ich mich konkreten Projekten gewidmet, jetzt bin ich in der Welt unterwegs. Vom Repertoire her ist es jetzt ein kleineres Feld und insofern entspannender. Außerdem muss ich mich als Gast nur auf die Musik konzentrieren. Anstrengender ist nur noch die Reiserei.

ONETZ: Bei aller Individualität der jeweiligen Orchester – gibt es einen besonderen, unverwechselbaren „Liebreich-Klang“?

Alexander Liebreich : Ja! Transparenz, eine klare Stimmführung, eine kammermusikalisch transparente Wahrnehmung sind mir wichtig. Ich mag den klassisch dichten Klang nicht.

Dirigent Alexander Liebreich Bild: Sammy Hart
Dirigent Alexander Liebreich

ONETZ: Claudio Abbado spielt in Ihrem musikalischen Lebenslauf eine zentrale Rolle – was hat Ihnen der große Dirigent mit auf den Weg gegeben?

Alexander Liebreich : Als Student habe ich ihn in den 90er-Jahren erlebt und er hat mich zu Tränen gerührt. Anschließend habe ich gefragt, ob er mich unterrichten würde. Das hat er abgelehnt, aber ich durfte ihn besuchen etwa bei den Osterfestspielen mit den Berliner Philharmonikern oder in Bozen. Leiten ohne zu zwingen war seine Devise, er hat auf die Musiker gezählt und ihnen vertraut. Und so wie er möchte ich jetzt zu Orchestern gehen und mit Freunden im Sinne des Projekts Musik machen – zweieinhalb Stunden heilige Zeit miteinander.

ONETZ: Und was geben Sie als Gastprofessor unter anderem an der Hochschule für Musik und Theater München weiter?

Alexander Liebreich : Ich glaube, ich bin kein guter Professor, daher nur die Gastprofessur. Ich kann den Studenten nur die Möglichkeit geben, Erfahrung zu sammeln, Dinge gemeinsam erleben. Die Dirigiertechnik an sich ist kein Hexenwerk, es geht mehr um den Einstieg in die Musikanalyse. Wie geht man mit einer Gruppe um? Wie baut man Klangfarben auf?

ONETZ: Sie haben ja auch Gesang studiert, hat das heute noch Einfluss auf Ihre Arbeit?

Alexander Liebreich : Es hat meine Karriere maßgeblich beeinflusst, denn als Sänger habe ich meine Frau (Tänzerin Simone Geiger, Anmerk. d. Red.) in der Kantine der Staatsoper in München kennengelernt (lacht). Physisch bin ich ein Bariton, stimmlich ein lyrischer Bass-Bariton, einen Liederabend würde ich aber nicht geben. Schon in meiner Jugend habe ich am Regensburger Theater im Chor gesungen. Ein Domspatz war ich bewusst nicht. Mit dem von mir 1987 gegründeten Regensburger Kammerchor habe ich jedoch auch sinfonische Literatur kennengelernt und gelernt, mit einem Ensemble umzugehen und habe große Dirigenten gesehen – und mich dafür entschieden.

ONETZ: Empfanden Sie es als besondere Herausforderung mit der künstlerischen Leitung des Richard-Strauss-Festivals der großen Sängerin Brigitte Fassbaender nachzufolgen?

Alexander Liebreich : Brigitte Fassbaender ist ein Mythos als Mezzosopran, ihr Lebenswerk ist unglaublich. Der Erfolg eines Festivals hängt aber auch von der Wahrnehmung und der Unterstützung ab. Es ist wichtig, dass dort etwas weiterlebt, was auch mit meiner eigenen Sehnsucht verbunden ist. Aber auch die kritische Auseinandersetzung mit dem Komponisten ist wichtig. Es war klar, dass man eine neue Rezeption aufmachen muss. Den Geist Strauss´wahrnehmen und das alles in Garmisch-Partenkirchen verankern - ob das gelingt, wird sich erst noch zeigen, wir sind jedenfalls täglich 12 Stunden damit beschäftigt.

ONETZ: Welche Programm-Schwerpunkte werden Sie in Ihrer zweiten Garmischer Saison setzen?

Alexander Liebreich : Das diesjährige Thema ist „Poesie“. Das ist wichtig, weil Strauss der erste poetische Komponist des 20. Jahrhunderts war. Poesie ist Widerstand gegen Einfältigkeit und widerspricht totalitären Systemen. Den Bezug zu Text stellen wir mit vier großen Sängerinnen her, ein zurückgezogener Pianist spielt auf der Zugspitze, die internationale Orchester-Akademie spielt zum ersten Mal miteinander, es gibt den "Sommernachtstraum" und dann haben wir auch wieder die großartige Naturkulisse in Ettal.

ONETZ: Gibt es einen großen, noch unerfüllten beruflichen Traum?

Alexander Liebreich : Ja, ich habe bisher wenig und sorgfältig aufgenommen. Ich würde gerne Schuberts Sinfonien mit der Akademie für Alte Musik Berlin aufnehmen. Und ich würde gerne mehr Ruhe in der Natur finden und haben.

ONETZ: Und zu guter Letzt: Besteht in absehbarer Zeit die Hoffnung, Sie einmal wieder in der Heimat zu erleben?

Alexander Liebreich : Das wäre schon schön - wie machen wir das (lacht)?

Info:

Zur Person

Der 1968 in Regensburg geborene Alexander Liebreich gründete 1987 den Regensburger Kammerchor und studierte an der Universität Regensburg Musikwissenschaft, Romanistik und Germanistik, Gesang und Dirigieren an der Hochschule für Musik und Theater München und am Mozarteum Salzburg. Von 2006 bis 2016 war er Chefdirigent des Münchener Kammerorchesters. Seit 2012 ist er Chefdirigent des Nationalen Sinfonieorchesters des Polnischen Rundfunks, seit Dezember 2017 auch des Rundfunk-Sinfonieorchesters Prag. Von 2015 bis 2018 übernahm er die künstlerische Leitung des Musikfestivals „Katowice Kultura Natura“, seit 2018 leitet er das Richard-Strauss-Festival in Garmisch-Partenkirchen. Alexander Liebreich gewann 1996 den Kondraschin-Preis, wurde 2016 mit dem Sonderpreis des Kulturpreises Bayern geehrt und erhielt 2018 den International Classical Music Award für seine Aufnahme des „Requiem“ von Tigran Mansurian, mit der er auch für den Grammy 2018 nominiert war. Alexander Liebreich lebt in München.

Info:

Richard-Strauss-Festival 2019

Das von Alexander Liebreich geleitete Richard-Strauss-Festival 2019 findet vom 21. bis zum 29.Juni statt. Motto des diesjährigen 30. Gründungsjubiläums ist „Poesie“. Neben Veranstaltungen in Garmisch-Partenkirchen stehen im Rahmen von „Top Music at Top Locations“ auch zwei Musikwanderungen, Dinner-Konzertabende auf der Zugspitze und dem Wank, Veranstaltungen in Schloss Elmau und Open Air Konzerte im Innenhof von Kloster Ettal auf dem Programm. Als Gäste begrüßt man unter anderem Mezzosopranistin Dame Felicity Lott, Jazzpianist Michael Wollny und Violinistin Arabella Steinacher.

 
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