Als ich älter wurde, verblassten meine Helden, genauso wie die Poster von ihnen, die ich so lange an meinen Wänden bewundert habe. Ob ich mein Leben jetzt ohne Vorbilder lebe? Das dachte ich, bis vor Kurzem. Doch heute sehen meine Idole anders aus als noch vor ein paar Jahren.
Beginnen wir mit der Definition eines Vorbildes. Der Duden beschreibt es so: „Ein Vorbild ist eine Person, die als richtungsweisendes und idealisiertes Beispiel angesehen wird.“ Für mich ist es noch viel mehr. Ein Vorbild prägt uns. Bringt uns zum Nachdenken. Es lässt uns wachsen und motiviert uns, eine bessere Version von uns selbst zu werden. Wer diese Ansprüche damals für mich erfüllt hat? Einer meiner Vorbilder war lange Zeit Kurt Cobain. Nein, nicht wegen seines exzessiv ausschweifenden Lebensstils. Er war für mich der Inbegriff eines Freigeistes. Kreativ. Mutig, neue Wege zu gehen. Alles andere als Mainstream. Vorbildlich, weil ich durch ihn erkannt habe, wie wichtig die Freiheit ist, genau das zu tun, was man liebt. Auch Sophie Scholl zählte zu meinen Helden. Ich erinnere mich noch gut an die Schulstunde, in der ich das erste Mal von ihr hörte. Noch heute beeindruckt mich ihre Willensstärke, ihre Tapferkeit und ihre Zivilcourage. Der Fußballer Giovane Elber hatte ebenfalls lange seinen festen Platz an meiner Zimmerwand. Doch je erwachsener ich wurde, desto mehr rückten meine Vorbilder in den Hintergrund. Ich denke, die Erklärung dafür ist leicht. Wir alle entwickeln unseren eigenen Charakter. Unsere Moralvorstellungen. Unsere Erwartungen. Wir sind gefestigt in unserem Alltag. In uns. Idole scheinen nicht mehr so wichtig. Die Poster verschwanden.
Hängen sie bei dir noch? Nein? Keine Poster, keine Helden, nicht wahr? Falsch. Denn vor ein paar Tagen ist mir etwas Bedeutendes aufgefallen. Ich stehe in meiner Küche und mache mir einen Kaffee, als mein Blick auf meinen Kühlschrank fällt, an dem Bilder meiner Freunde und engsten Vertrauten hängen. Und plötzlich sehe ich sie – meine großen Vorbilder. Meine Idole sind meine jahrelangen Wegbegleiter. Warum? Weil sie so viel Vorbildliches verkörpern. Auf einem der Bilder sind zwei meiner engsten Freunde, die ihrem kleinen Sohn ein wunderbares Zuhause geben. Die ihn fördern, bedingungslos lieben und ihm ein vorbildliches Leben vorleben. Auf einem anderen sehe ich eine Freundin, die mich jeden Tag mit ihrer Warmherzigkeit, ihrem Verständnis und ihrer Gutmütigkeit bereichert. Einer Art, die sie zu einem wundervollen Menschen macht. Nicht nur für mich. Daneben strahlt mir ein Freund aus Brasilien entgehen, den ich vor Jahren in Wien kennengelernt habe. Warum er mein Vorbild ist? Weil er jeden Tag Leben rettet – als Chirurg in einem Krankenhaus in São Paulo. Ich entdecke das Bild eines langjährigen Freundes, der sich seit Jahren bei der Feuerwehr engagiert. Der nicht nur seine Freizeit opfert, sondern auch seine Gesundheit aufs Spiel setzt, um anderen zu helfen. Ich sehe ein Bild von meinem Papa und mir. Mein größtes Vorbild. Der Mensch, der mich mein Leben lang durch seine Liebe, Besonnenheit und Güte geprägt hat. Der mir gezeigt hat, dass die Welt nicht nur schwarz und weiß ist. Der mich gelehrt hat, hinter die oberflächliche Fassade meines Gegenübers zu blicken. Mir gezeigt hat, wie wichtig Loyalität ist. Während ich auf die Fotos blicke, denke ich an Situationen in meinem Leben, in denen auch Fremde für mich zu Vorbildern wurden. Ein junger Mann Mitte 20, der zwei Stunden in der Kälte nicht von meiner Seite gewichen ist, als ich nachts einen Wildunfall hatte. Er war auf dem Weg zur Arbeit, hat angehalten und ist geblieben, bis alles geregelt war. Noch heute kann ich kaum glauben, wie selbstlos sein Verhalten war. Eine Frau, die die Anstrengungen einer alten Dame vor dem Supermarkt bemerkte, die gerade ihre schweren Tüten nach Hause tragen wollte – und ihr diese Last abnahm. Vorbilder müssen keine Stars sein. Nicht berühmt oder reich. Sie müssen einen bleibenden Eindruck in uns hinterlassen. Uns prägen.
Du hast kein Vorbild? Dann sieh dich in deiner Umgebung um. Manchmal musst du gar nicht so weit blicken, um wahre Helden zu finden. Eines haben sie alle gemeinsam. Sie machen unser Leben besonders. Genau das sollten wir ihnen auch sagen, unseren persönlichen Helden – und uns ein Beispiel an ihnen nehmen.
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