Tempers: New Meaning (Cargo)
Selig die mit übernatürlichem Augenlicht Gesegneten, denn die können vielleicht sogar die in 1-Punkt-Schrift abgedruckten Texte auf der CD lesen. Dem Rest bleibt, sich das Begleitbuch zur CD mit Grafiken von Chen Wei und eben den Texten zu kaufen. Das Duo Tempers aus New York, Jasmine Golestaneh und Eddie Cooper, kultivieren synthetische Großstadtmusik mit Bezug zu den 80ern und klingen wie eine Mischung aus unterkühlten Eurythmics, Anne Clark und einer Electronic-Version von Annabelle Lamb. Gemacht für dezent zuckende, juvenile Körper in der hippen Underground-Disco.
Lucia de Carvalho: Pwanga (Good To Go)
So farbenfroh und fröhlich wie der Kopfschmuck auf dem Cover-Foto ist auch die Musik der Angolanerin. Mit diesem Mix aus afrikanischen und brasilianischen Rhythmen kann man locker und beschwingt in den sich anbahnenden Sommer tanzen. Wer mit dieser Art von Weltmusik vertraut ist, dem sagen sicherlich auch die illustren Gäste etwas: Chico César und Anna Tréa aus Brasilien steuern Vocals bei, ein Wiederhören gibt es mit zwei Veteranen angolanischer Musik, Perkussionist Galiano Neto und Gitarrist Betinho Feijo veredeln die Scheibe mit ihrem Können.
Kaz Hawkins: My Life and I (Bertus)
Hawkins, 1973 in Nordirland geboren, lernte ihr Handwerk in den Bars von Belfast, wohin ihr Vater sie mitnahm. Inmitten des Chaos eines Landes, das von Rassentrennung und Bürgerkrieg geplagt war, ging Kaz ihre ersten Schritte als Musikerin - und das hört man bis heute. Da ist zum einen der Trotz, die Kraft, die Wucht, die schiere Inbrunst wie gleich im euphorischen, gospel-geladenen Eröffnungssong, „Pray“. Und da ist dann diese Emphase, diese Innerlich- und Verletzlichkeit wie bei der Klavier-Ballade „Because You Love Me“, die gleich danach folgt. Mit diesen beiden Hammer-Kompositionen steckt die Hammer-Sängerin ihr Repertoire ab und fügt zu eigenem Material noch vier Cover-Versionen („Feeling Good“, das von Anthony Newly und Leslie Bricusse geschrieben wurde, zwei Etta-James-Songs „Something's Gotta Hold On Me“ und „At Last“ und die atemberaubende Coverversion von „Full Force Gale“ ihres Landsmanns Van Morrison) hinzu. Man darf ihren Vortrag gerne mit der Intensität einer Janis Joplin vergleichen, ohne dabei rot zu werden.
Destroyer: Labyrinthitis (PIAS)
Zusammen mit Kollaborateur John Collins begibt sich Dan Bejars auf seinem bereits 14. Album auf die Suche nach mythischen Artefakten, die irgendwo unter der Tanzfläche vergraben liegen, eine Innenohrentzündung (Labyrinthitis) löst er damit gottlob aber nicht aus. Der Sound des kanadischen Tüftlers und Singer/Songwriters bedient sich vielmehr eines recht eklektischen Ansatzes und verweist auf eine ganz illustre Reihe von Vorbildern und Einflüssen. „It's In Your Heart Now“ assoziiert den Bowie´schen Synthi- und Gitarren-Sound der Low-Phase. „Suffer“ leidet eher nicht, sondernd wird mit ein wenig Glitzerstaub von Marc Bolan bestreut. „June“ zückt dann überraschend einen furztrockene Funk-Bass zu dem das Klavier jazzige Phrasen synkopiert und in „All My Pretty Dresses“ säuselt Bejar zuckersüß wie Ian Broudie. Jeder Song eine eigene Geschichte - und alle sind sie gut.
Get Well Soon: Amen (Bertus)
Jetzt also Konstantin Groppers Pandemie-Album. Das letzte, „The Horror“ hätte ja weitaus besser in die Zeit gepasst, umso erstaunlicher, dass der Künstler letztendlich entdecken durfte, dass er ja schon (fast) ein Optimist geworden ist. So heißt ein Song auch „I Love Humans“, und von uns, dem Menschen, handelt auch dieser ausufernde Lied-Zyklus. Gropper singt seine Songs in gewohnt lässiger Crooner-Manier und erinnert dabei einmal mehr an einen total entspannten David Bowie. Die musikalische Palette indes ist breit. Sie reicht von er euphorischen Orchester-Ouvertüre über selbstverliebten, hymnischen Pop der Pet-Shop-Boys-Liga, elegantem Synthi-Pop bis zu mantrahaftem Kraut-Rock, Post-Wave oder 80er AOR-Rock. Diese Lieder sind mal melancholisch und leidend, mal fröhlich und enthusiastisch. Sie sind wie der Mensch, wie das Leben selbst.
Honey For Petzi: Obsercvations + Description (Two Gentlemen)
Der Name ist putzig, was die drei Schweizer Freunde, Sami Benhadj Djilali (Gitarre und Gesang), Philippe Oberson (Bass und Gesang) und Christian Pahud (Schlagzeug und Gesang) hier nach 10 Jahren Funkstille abliefern ist es nicht. Vielleicht kann man diese Musik konstruktivistisch nennen und vielleicht weißt uns auch der Produzent des letzten Albums, Steve Albini, den Weg. Honey For Petzi klingen ein wenig so, als würden Kraftwerk plötzlich Pop-Musik mit Gitarren machen - und dazu auch noch hin und wieder ganz charmant auf Französisch singen. Kraut-Rock-Monotonie wechselt mit raffinierten, synkopischen Sprüngen und Rhythmuswechsel, Lethargie gibt sich die Hand mit Euphorie, der Post-Rock feiert das Chanson.
Bedroom Eyes: Sisyphus Rock (Indigo)
Der Schlafzimmerblick wird einem gleich bei den ersten Gitarrenklängen aus den Augen gefegt, denn Jonas Jonssen aus Norwegen, der seine musikalischen Hinterlassenschaften unter dem Moniker Bedroom Eyes publiziert untermalt seine Musiklandschaften mit heftig ausholendem Power-Pop, bei dem die Gitarren in vorderste Linie stehen. Fröhlich aufgelegter Indie-Rock ist das, der nur ganz selten innehält. Ein Song heißt „Paul Westerberg“, und in Richtung Replacements schielt auch diese druckvolle und energiegeladene Scheibe.
Poppy Ajudha: The Power In Us (Virgin)
Das Debüt, der mit viel Vorschusslorbeeren bedachten Künstlerin aus London eröffnet zunächst mit einer verstörenden Klangkollage. Hat man die hinter sich gebracht, offenbart sich eine versierte, mit allen Wassern gewaschene, sehr hippe, sehr coole Grenzgängerin, die Soul, R&B, Jazz und Pop unter einen ziemlich arty klingen Hut zu bekommen versucht.
Das Album weist zudem eine beeindruckende Bandbreite an musikalischen Kollaborateuren auf, darunter ein Beitrag der britischen Jazz-Ikone Nubya Garcia und Produktionscredits von Leuten wie Wyn Bennett (Janelle Monae, Goldlink, Haim), Karma Kid (Dua Lipa, Arlo Parks, Shygirl), Wes Singerman (Anderson .Paak, Kendrick Lamar, Pink Sweat$), dem für einen Grammy nominierten Itai Shapira und Joel Compass (Jorja Smith, FKA Twigs, Mabel, Snoh Allegra).
Die verhandelten Themen sind Feminismus, Kolonialismus, Geschlechterpolitik, aktuelle soziale Fragen, aber auch sehr persönliche Themen. Darunter macht Poppy Ajudha es nicht, schließlich will man sich ja Gehör verschaffen.
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