Ryan Sheridan: Americana (Rubyworks)
Als Jungspund war der Mann aus Irland als Tänzer von "Riverdance" in den USA. Dort ist er tief ins All American Storybook eingetaucht, hat diese Americana-Songs lieben gelernt. Die Pandemie-bedingte Pause bot nun Muße einiger seiner Favoriten zu Hause in Dublin einzuspielen. Dabei stammt nur ein Song aus den späten 60ern, der Rest ist neueren Datums und listet Interpreten wie die Lumineers, Marcus King, The Black Keys, Simon Felice, den phantastischen Nathaniel Rattelif oder John Hiatt. Er hat vorwiegend nicht die ganz großen Namen gewählt, wurde dafür aber bei einigen der Klassenbesten fündig. Kein Tadel.
My Baby: sake sake sake (Believe)
Das niederländisch-neuseeländische Trio wurde ja schon mal unter „Blues“ sortiert. Das haben sie sich ordentlich ausgetrieben, auch wenn man ab und an noch ein Blues-Lick erahnen kann. Dream-Pop, aber vor allem ordentlicher Electro-Drive mit Drum-Computer und Stroboskop-Synthies, als auch Prince-artige Funk-Einlagen führen auf die Tanzfläche - und eben nicht (mehr) in den Blues-Schuppen Downtown Chicago. Man will hier in einer Liga mit Tama Impala und nicht B.B. King spielen.
Delbert McClinton: Outdated Emotion (Thirty Tigers)
Leute, wie die Zeit vergeht! 81 Lenze zählt der texanische Blues-, Soul- und Country-Rocker Delbert McClinton inzwischen, die Stimme klingt noch immer frisch und unverbraucht. Trotzdem will er sich aus dem aktiven Tourneeleben zurückziehen und lässt daher nochmals eine beeindruckende Karriere mittels eines Cover-Albums Revue passieren. Unterstützt von großen Bläsern und einer starken Rhythmusgruppe umfasst die eklektische Tracklist unter anderem eine Hommage an Ray Charles, Country-Klassiker von Hank Williams mit Steel Guitar und Fiddle sowie Little Richards Rock’n’Roll-Ballade „Long Tall Sally“ von 1956, oder mit „Ain’t That Lovin‘ You“, eine energiegeladene, Mundharmonika-getriebene Neuinterpretation des 56er-Klassikers von Jimmy Reed. Coole Sache das.
Jean Carne, Ali Shaheed Muhammad & Adrian Younge: Jean Carne (Jazz Is Dead)
Die aktuelle Folge der legendären Jazz-Is-Dead-Reihe widmet sich der außergewöhnlichen Stimmakrobatin Jean Carne. Auf der Platte flirrt Carnes unverwechselbar gelenkige Stimme durch sieben Tracks, auf denen sie die Möglichkeiten und die Kraft der Liebe erkundet - Selbstliebe, Liebe zur Community, Liebe von höheren Mächten. Die Arrangements von Adrian Younge und Ali Shaheed Muhammad sind zwischen Innerlichkeit und Übermut verortet und erinnern an die Meisterwerke von Weldon Irvine oder Carnes häufigem musikalischen Partner Norman Connors. Andere Bezugspunkte mögen Sun Ra, Sarah Vaughn, Kool & The Gang oder Roy Ayers sein.
Camel Power Club: Narukanaga (Monty People)
Camel Power Club ist das Soloprojekt des Multiinstrumentalisten und Produzenten Léonard Bremond, einem Mitglied der umtriebigen, französischen Indie-Elektronik-Szene. In seiner besonderen Klangwelt vermengt er eine kraftvolle Indie-Pop-Atmosphäre mit treibenden Beats und einem nostalgischen Gitarrenriff, um ein Gefühl aus tanzbarer Leichtigkeit und bittersüßer Sehnsucht zu vermitteln. Die Melodien schweben federleicht über den Wolken, überbieten Jack Johnson noch an sonnenuntergangskitschiger Relaxtheit wie auf dem einfach nur wunderschönen „Drunken Dreams“ oder dem Handclaps-gestützen „Kalahari“. Geradewegs in die Strand-Disco führen dagegen Stücke wie „Gizma“ oder der fesche Afro-Beat von „Inana“. Der Sommer kann kommen!
Youngtones: Youngtones (Youngtone Rec)
Wer auf Retro-Soul aus den späten 60ern und frühen 70ern steht, hat hier seine Erfüllung gefunden. Produzent Matthew Young und der Songwriter Luke Wade beackern mit Leib und Seele, mit Liebe und Chuzpe dieses Feld und sähen Pflänzchen um Pflänzchen herrlichster Melodien, die von Inbrunst zu bersten scheinen. Sie zitieren Gospel und Rhythm `n` Blues, schmecken das mit feinstem Pop ab, lassen sich dabei von den ganz Großen des Genres inspirieren, so dass man manchmal meint, eine Coverversion zu hören. Philly-Streicher sind mit dabei, Saxophon und Trompete sowieso und auch eine Querflöte verbreitet dezentes Jazz-Feeling. Der Retro-Soul-Grammy geht klar in diesem Jahr an diese Jungs und Ihre Musiker.
Aaron Raitiere: Single Wide Dreamer (Thirty Tigers)
Debütalbum des Singer/Songwriter und Storytellers aus Nashville, der bis dato vor allem als Songwriter für Größen wie Shooter Jennings, Brent Cobb, Midland oder The Oak Ridge Boys von sich Reden machte, aber sogar schon einen Grammy für einen Song für Lady Gaga gewann. Raitiere ist sicherlich kein Erneuerer, begibt sich lieber in die soliden Fußstapfen des Country-Folkies Kris Kristoffersen oder adaptiert den Country-Rockabilly eines Johnny Cash. Wortspielgewandt wie -gewaltig spöttelt er auch mal, verbreitet aber stets Gute-Laune-Musik, alle Nashville-Klischees inklusive.
Alex Izenberg: I Am Not Here (Domino)
Auf seinem dritten Album spricht der Singer/Songwriter aus Los Angeles offen über seine diagnostizierte paranoide Schizophrenie und scheut in seiner Musik nicht vor komplexen Themen zurück: Herzschmerz, Verwirrung und Trauer. Die Arbeit an „I'm Not Here“ begann ernsthaft nach dem Tod seines Hundes und besten Freundes Larks, benannt nach Larks' Tongues in Aspic, dem 1973er Album von King Crimson, einer von Izenbergs Lieblingsbands. Als die Welt um ihn herum zusammenbrach und sein treuer Begleiter nicht mehr da war, zog sich Izenberg tief in sich selbst und seine Fantasie zurück, auf der Suche nach Trost und Erleichterung. Es ist also keine leichte Kost, was hier geboten wird und auch wenn die Melodien einladend daherkommen und dem Ohr schmeicheln, sind diese Arrangements doch vertrackt und erinnern stilistisch an Großtaten von Steely Dan, Harry Nilsson oder Randy Newman. Mag sein, dass Dave Longstreth von den Dirty Projectors für diesen wohl sortierten Gemischtwarenladen aus Kammer-Folk und West Coast-Rock mitverantwortlich zeichnet.
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