TV Priest: My Other People (Cargo)
Die Post-Punker aus London, allen voran Sänger Charlie Drinkwater, hatten (und haben) an der Pandemie schwer gelitten. Kurz zuvor kam ihr viel beachtetes Debüt auf den Markt, dann war erst einmal Zwangspause. Drinkwaters psychische Gesundheit nahm mehr und mehr Schaden, ein wenig Heilung versprach der Prozess des Schreibens. Man kann das Zweitwerk daher als kathartisches Album bezeichnen, in dem unsere Protagonisten selbstreflektorisch ihre Umwelt und Gesellschaft porträtieren und dazu musikalisch wüten wie wir es von den Pixies und The Fall her kennen. Die Priester können aber auch verletzliche Balladen wie „Limehouse Cut“ schreiben, die Velvet Underground erahnen lassen.
Gene Caberra: Patchwork (Blackbird Music)
Der Albumtitel des Debüts ist programmatisch gewählt. Was der Sänger und Gitarrist aus Berlin hier zusammen mit seinen Bandkollegen strickt, ist wahrlich ein „Patchwork“ aus Blues, Rock und Yacht-Pop mit R&B, Jazz-Licks, Neo-Soul und Reggae auf internationalem Niveau. Mit gefühlvoller Lässigkeit singt sich Caberra mühelos durch eingängige Rock- wie Dance-Nummern, Reggae-Tracks wie Akustikballaden. Dass er noch dazu ein herausragender Gitarrist ist, beweisen nicht nur die mehr als 30.000 Abonnenten, die seinen Tutorials auf Youtube folgen. René Flächsenhaar am Bass und Mathias Uredat am Schlagzeug bilden eine Rhythmus-Sektion, die das komplette Spektrum zwischen Power und Zurückgenommenheit draufhat und jeden der zehn Tracks mit spielerischer Leichtigkeit erdet. „Patchwork“ ist eine ideale Sommerplatte um am Strand abzuhängen, mit dem Cabrio umweltfrevlerisch durch die Gegend zu gondeln oder auch mal einen Drink zum Sundowner zu genießen.
Andrew Bird: Inside Problems (Universal)
Auf „Inside Problems“ widmet sich Bird all den komplexen Gedanken, Fragen und nächtlichen Obsessionen, die in jedem von uns herumschwirren. Dazu komponiert er aber natürlich wieder keinen dystrophischen Moll-Wahn, nein, gleich im Opener „Underlands“ schmeichelt er mit Cello, lässt uns in Geigen baden und croont verführerisch, als wär er Frank Sinatra oder Charles Aznavour. „Lone Didion“ schunkelt angenehm zu Uh-uh-Chören, würde mit seiner lässigen Coolness gut in jeden Tarantino-Film passen. In „Eight“ wird der Mann einmal mehr seinem Namen gerecht - und pfeift uns einen. So viele tolle Melodien, so viele tolle Songs, so viele tolle Geschichten, die konträr zu ihren Inhalten als beschwingte Gassenhauer präsentiert werden. Nahe am Meisterwerk.
Shearwater: The Great Awakening (Cargo)
Jonathan Meiburg nahm eine Auszeit, die sechs Jahre dauerte. In dieser Zeit schrieb er u.a. ein Buch, vertonte David Bowies Berlin-Trilogie für die Bühne neu und gründete die Band Loma, bei der sich auch Brian Eno gut aufgehoben fühlte. Das "große Erwachen" erzählt die letzten sechs Jahre, b.z.w. ist von dieser Zeit inspiriert. Es ist ein Werk von epischem Ausmaß entstanden, das mit den Begriffen Rock oder Pop nicht beschrieben werden kann. Meiburg hat mit einem üppigen Instrumentarium Klanglandschaften erschaffen, die Genres sprengen, die sich erst in ihrer vollen Pracht nach mehrmaligem Hören erschließen. Mark Hollies war ein ähnlich visionärer wie ästhetischer Klangmaler.
Lettuce: Unify (Round Hill Rec)
Lettuce, das sind Adam Deitch (Schlagzeug), Ryan Zoidis (Saxophon), Adam 'Shmeeans' Smirnoff (Gitarre), Erick 'Jesus' Coomes (Bass), Nigel Hall (Keyboards/Gesang) und Eric 'Benny' Bloom (Trompete). Das Sextett will nur eines: coolen Funk verbreiten. Und der darf gerne ein wenig mit Jazz und/oder Hiphop angereichert sein. Mit diesem feurigen Gebräu hat man es immerhin schon zu einer Grammy-Nominierung gebracht, und auf dem aktuellen Album gibt zudem P-Funk-Ikone Bootsy Collins seine Visitenkarte ab. Let´s dance!
Emeli Sandé: Let's Say For Instance (Chrysalis)
Seit 2018 ist die Schottin Ritterin - zumindest wurde ihr dieser Titel um ihre Verdienste für die Populärmusik Britanniens verliehen. Wer auf modernen R&B steht, kommt auch schwer an dieser Künstlerin vorbei, deckt sie doch zudem ein sehr breites Spektrum ab. Sie vereint Gospel mit Rap, bringt Hiphop-Einlagen genauso selbstverständlich ein wie afrikanische Beats und weiß auch ganz ohne Gesang mit einer ergreifenden Piano-Ballade zu berühren. Fehlerfrei.
The Fixx: Every Five Seconds (Bertus)
Totgesagte leben länger. Hat wirklich noch jemand mit diesen New Wave-Legenden gerechnet? Und braucht es nach gut 10 Jahren überhaupt ein Comeback? Wer noch Hits wie „Red Skies At Night“ oder „Stand Or Fall“ im Ohr hat, wird diese Frage mit einem klaren „Ja“ beantworten, wer nicht, muss sich auch nicht grämen. Frontmann Cy Curnin und seine Bande machen ihre Sache zweifellos gut, rücken weg vom keyboardlastigen Post Wave (und dem Sound-Design von Langzeit-Produzent Rupert Hine) und hin zum eher kernig-knackigen Indie-Rock-Pop des aktuellen Produzenten Alex Wharton (My Bloody Valentine, The Chemical Brothers). Es rockt also mehr im Jahre 2022, unterm Strich ist dieser Sound aber halt schon ein wenig in die Jahre gekommen.
Baby Strange: The World Below (Rough Trade)
Post-Wave-Musik mit der Wucht des Punk und von zornigen, traurigen und depressiven Männern präsentiert, das hatte mal Hochkonjunktur, aktuell wirkt sie ein wenig aus der Zeit gefallen. Nichtsdestotrotz hat der Sound dieser Kapelle ordentlich "Punch", das Schlagzeug, die ganze Rhythmustruppe spielt auf den Punkt und das unerbittlich hart, knackig und präzise. Die Gitarren sind bis um Anschlag aufgedreht und auf Krawall getrimmt, und der Sänger beherrscht sicherlich noch hervorragend das gute alte Stage-Diving. Interpol auf Extacy.
Um Kommentare verfassen zu können, müssen Sie sich anmelden.
Bitte beachten Sie unsere Nutzungsregeln.