Ben Harper: Bloodline Maintenance (PIAS)
Das Bild auf dem Cover zeigt nicht Ben Harper mit einem seiner inzwischen sechs Kindern, es zeigt ihn mit seinem Vater Leonard - und irgendwie sehen beide aus wie Marvin Gaye. Und es ist auch ein Album über und für den geschätzten Vater, über Amerika und über Rassismus (also auch über Amerika), besonders drastisch vertont in der Hymne, „We Need To Talk About It“, denn das Schweigen ist es, was ihn noch immer allgegenwärtig macht. Harper singt dagegen an und kleidet seinen Protest erst einmal in einen intimen A-cappella-Song („Below Sea Level“), fährt dann aber den bewährten Mix aus Rock, Funk, Soul und Gospel auf. Komponiert hat er diese kraftvollen Lieder am Kontrabass, auf der Platte spielt er alle Instrumente selbst.
St. Paul & The Broken Bones: The Alien Coast (PIAS)
Ups! Da hat sich bei Paul Janeway und seinen Knochen-Kumpels aber während der Pandemie was aufgestaut. Bekannt für seinen sämigen Retro-Soul-Rock, der eher die Samtpfoten denn die Krallen zeigte, scheint sich die komplette Kapelle am Lysergsäure-Mischen und natürlich auch -Verkosten geübt zu haben. Ziemlich bleischwer, ziemlich psychedelisch angehaucht, ziemlich experimentierwütig kommt ihr Soul-Funk-Gospel-R-`n`-B-Rock jetzt daher, verschwunden ist die Leichtigkeit des Seins, die Gegenwart mit all ihren Problemen (Krieg, Inflation, miese Regierungen, etc) hat nicht nur metaphorisch Einzug in den Retro-Sound gehalten. Man mag den Tagen der Heiterkeit nachtrauen, ehrlicher ist der aktuelle Sound.
Sylvan Esso: No Rules Sandy (Loma Vista)
Einen Sylvan Esso gibt es nicht. Hinter dem Namen verbergen sich Nick Sanborn und Amelia Meath. Ersterer ist für die Musik, die Zweite für den Gesang verantwortlich. Auch wenn man so einen pluckernden Elektro-Pop auch mühelos zu zweit hinbekommen könnte, wirken Gäste an analogen Schlagwerken oder gar dem Saxophon. Würde man Laurie Anderson mit Alt-J kreuzen und diesen Mix auf DIY-Niveau downsizen, man bekäme eine Annäherung hin.
Del Amitri: Fatal Mistakes - Outtakes and B Sides (Cooking Vinyl)
Um was es sich bei den schottischen Pop-Rockern handelt, sagt ja hinreichend der Titel des neuen Albums. Darum lassen wir doch Justin Currie einfach selbst sprechen:
„Als Cooking Vinyl uns bat, Material für eine Bonus-CD zu den verschiedenen ‚Fatal Mistakes‘-Paketen zu liefern, ergriffen wir die Chance, die B-Seite wieder aufleben zu lassen. Wir wussten, dass wir mindestens zehn Stücke für das Album geschrieben hatten, die es nicht in die endgültige Fassung geschafft hatten, und wir wussten auch, dass sie nicht unbedingt auf das nächste Studioalbum kommen würden.
Bei A&M wurde in den 1990er Jahren jede Single (es gab mindestens drei von jedem Album) in mehreren Formaten veröffentlicht (7", 12", CD 1&2, Kassette), wobei jedes Format mindestens einen exklusiven neuen Track erforderte. Das gab uns die Möglichkeit, ins Studio zu gehen und verschiedene Dinge auszuprobieren, ohne die Aufsicht eines Produzenten oder den kommerziellen Druck der Album-Master. Wir haben bei diesen Sessions eine ganze Menge gelernt und waren sehr stolz auf die Qualität vieler dieser B-Seiten. Im Laufe der Zeit merkten wir auch, dass viele Fans diese Stücke liebgewonnen hatten. Jeder hatte ein oder zwei Favoriten. In Ermangelung einer physischen Single bietet das Album die Freiheit, mit neuen Songs abseits des Rampenlichts des eigentlichen Albums herumzuspielen.
Zwei dieser Tracks, Lips Of London und Gone In A Second, wurden im Rahmen der 2020er-Album-Session aufgenommen und abgemischt, der Rest wurde für das Projekt geschrieben und während der Winterpause '21 ferngesteuert aufgenommen. Sie sollten als Begleitstücke zu Fatal Mistakes funktionieren, und solange irgendjemand irgendwo behauptet, eine dieser B-Seiten sei besser als irgendetwas auf dem Album, werden wir glücklich sein. Also wir behaupten mal: alles richtig gemacht und schön, diese bis dato in der Schmuddelecke liegenden Songs zu Gehör zu bekommen."
Martin Courtney: Magic Sin (Domino)
Der Real Estate-Songwriter beglückt mit einer leichten Sommer-Platte, die nichts anderes will als: verzaubern. Die Melodien locker aus dem Ärmel geschüttelt, die Gitarren twangen sanft, alles klingt entspannt, ohne gleich Yacht-Pop zu sein, denn ab und an werden die Zügel dann doch Richtung Indie-Rock angezogen. Und mit Songs wie „Shoes“ hat es auch seine kleinen, intimeren Momente wo man am liebsten ein Feuerzeug anzünden möchte. Überhaupt klingt Martin Courtney auf seinem zweiten Solo-Werk dringlicher, zupackender und verbindlicher als mit Band-Besetzung, die ja vor allem eines tut: gut unterhalten.
Tony Joe White: The Beginnig (Bertus)
2018 verstarb der große, authentische Blues-Musiker, Singer/Songwriter und Produzent. Er arbeitete für und mit Eric Clapton, Tina Turner, Joe Cocker oder Mark Knopfler und war auch als Solist eine feste Größe. Eines seiner erfolgreichsten Alben aus dem Jahr 2001 wird hier remastert wiederveröffentlicht. Es präsentiert den Mann ganz schlicht nur mit Gitarre, Mundharmonika und natürlich seiner ikonischen Stimme. Puristisch-intimer Swamp-Blues von einem Großen - und leider oft Unterschätzen - der Zunft. Die Neuauflage bietet jedoch wenig Erhellendes.
Together Pangea: DYE Deluxe (Nettwerk)
Stolze 17 Kompositionen haben es auf die neue Platte der Alternativ-Rocker gebracht. D. h. es geht meist knapp und knackig zu, wobei auch ein paar Fünfminüter um Aufmerksamkeit heischen. Grunge-Rock hält Händchen mit Garagen-Rock und flirtet dabei mit dem guten alten Indie-Rock der 90er-Schule. Nirwana, Jimmy Eat World (mit denen sie auch touren), Mudhoney, Dinasaur Jr., die Strokes, all diese Kapellen belegen eine ähnliche Schublade (wo auch noch Power-Pop draufsteht). Und für das Beatles/Beach Boys-Lager gibt es mit „What It´s Like“ auch noch eine hübsche Hommage an die Sixties. Together Pangea bellen vielleicht, beißen tun sie nicht. Der Festival-Sommer ist vorbei, aber vielleicht schauen die Jungs aus L.A. ja im nächsten Jahr vorbei, man kann dazu nämlich herrlich moshen, tanzen und die Sau rauslassen.
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