The Young Gods: Play Terry Riley In C (Two Gentlemen)
Der Titel sagt ja schon alles: Das Schweizer Experimental-Rock-Trio hat sich das Meisterwerk des Komponisten und Pianisten, dem Erfinder der Minimal Music, angenommen und es in seinem Gusto umgesetzt. Jetzt könnte oder müsste man natürlich in aller Ausführlichkeit den Begriff erklären, was aber zu weit führen würde, wozu gibt es Wikipedia? Die auf 53 Phrasen reduzierte Partitur wird von den Musikern in der Reihenfolge ihres Erscheinens beliebig oft wiederholt, das Instrumentarium dafür ist nicht festgelegt. Die nach allen Seiten offene Herangehensweise eröffnet natürlich die Möglichkeit unendlicher Variationen desselben Themas. Ein repetitives, enorm dynamisches und rhythmisches Hörerlebnis. John Cale hat sich übrigens einst auch daran versucht.
Cedric Hanriot: Time Is Color (Morphosis Arts)
Der französische Pianist, Komponist, Sound-Designer und Bandleader ist ein leidenschaftlicher Grenzgänger. Auch wenn diese Stücke prinzipiell im zeitgenössischen Jazz verwurzelt sind, holt sich Hanriot mit Samunel Nash auch mal einen Rapper an seine Seite oder intoniert mit „Come As You Are/ Teardrop“ ein Medley aus Nirvana und Massive Attack. Muss man erst einmal draufkommen, muss man sich erst einmal trauen.
Charles Stepney: Step on Step (International Anthem)
Das Doppel-Album ist eine Sammlung von Home-Recordings, die de facto das gleichnamige Debütalbum des enigmatischen Produzenten, Arrangeurs und Komponisten Charles Stepney (1931–1976) darstellen und das jetzt posthum veröffentlicht wird. Wem den Name nichts sagt, der Künstler arbeitete mit und für Größen wie Earth, Wind & Fire, Deniece Williams und Ramsey Lewis, aber vor allem auch für Chess Records in den 1960er Jahren, wo er eine wesentliche kreative Kraft hinter den bahnbrechenden Aufnahmen von Rotary Connection, Minnie Riperton, Marlena Shaw, Muddy Waters, Howlin Wolf, Terry Callier, The Dells, The Emotions war. Eines der charakteristischen Elemente seines Baroque-Soul-Sounds ist der epische, expansive, orchestrale Ausdruck seiner Bläser- und Streicherarrangements. Die hier vorliegenden Aufnahmen sind aber allesamt DIY-Skizzen, auf denen Stepney allein und mit minimalen Mitteln sämtliche Instrumente spielt. Ein interessantes Hörerlebnis, zugleich eine Art Dokumentation zur Entstehung großer Soul-Songs.
The Kooks: 10 Tracks To Echo In The Dark (Rough Trade)
Sechs Alben in achtzehn Jahren Bandgeschichte lassen nicht gerade auf Eloquenz schließen. Aber manchmal ist ja weniger mehr, und die bisherige Diskographie gibt der englischen Indie-Rock-Formation auch Recht. Wobei es mit dem Rock auf diesen 10 Tracks so eine Sache ist. Die Synthies und somit der Electro-Pop-Einschlag ist schon ein gewaltiger. Aus Headbangern werden Disco-Feger, die sich als „Jesse James“ verkleiden und damit alles andere als gefährlich, dafür zuckersüß sind. Gut, „Connection“ ist wirklich knackiger Indie-Pop (aber eben auch kein Rock mehr) im Stadion-Format, „Beautiful World“ zerrt dann unter Mithilfe von Milky Train den Reggae auf den Dancefloor, „Oasis“ den Funk. Die anrührende Ballade „Without A Doubt“ klingt da wie aus der Zeit gefallen. Die Inspirationen zum Album hat sich Luke Pritchard übrigens in Berlin geholt – und da steht ja auch das Berghain.
Bilbao: Shake Well (PIAS)
Diese Hamburger Jungs können Sommer. Okay, war 2022 auch jetzt nicht die ganz große Kunst, aber honorieren muss man so ein unbekümmertes und cooles Auftreten, respektive Musizieren schon. Indie-Pop für den Dancefloor ohne enervierend-pluckernde Dancefloor-Mucke zu sein, geht voll in Ordnung. Denn zu dieser Musik kann man noch besser am Elbstrand rumtoben, einfach nur Abhängen oder lustigen Blödsinn machen. Man sollte aber Bilbao jetzt nicht mit einer Deutschen Beach Boys Version 4.0 verwechseln, denn man widmet sich durchaus den Themen der Zeit (Klimawandel, Entfremdung, etc), verpackt diese halt nur in eine süße Eiswaffel.
Sebastian Gahler: Two Moons (JazzSick)
Der Kölner, Pianist, Keyboarder und Komponist hat sich mit Denis Gäbel am Saxophon, Matthias Akeo Nowak am Bass, Ralf Gessler am Schlagzeug und als special guest Ryan Carniaux an der Trompete kongeniale Mitstreiter geholt, um den Geschichten seines Lieblingsschriftstellers, Haruki Murakami ein musikalisches Pendant zu schaffen. Es entstand ein abwechslungsreiches Jazz-Album, das mit Blue Notes, Swing oder Nu-Jazz flirtet.
Air Waves: The Dance (Cargo)
Nicole Schneit aka Air Waves genießt (verdientermaßen) eine hohe Reputation in Kollegenkreisen, so dass sich mannigfaltige Mitstreiter und Sänger – u.a. Cass McCombs, Skyler Skjelset (Fleet Foxes, Beach House), Luke Temple, Brian Betancourt (Hospitality, Sam Evian), Rina Mushonga, Frankie Cosmos, Lispector – auf ihrem neuen Album tummeln. Eigentlich sollten diese wunderbar schlichten und einnehmenden Songs schon vor drei Jahren das Licht der Welt erblicken, aber dann kam ja bekanntlich etwas dazwischen. Das nutzte die Künstlerin, um noch ein wenig an dem einen oder anderen Song zu feilen, Miniaturen hinzuzufügen oder auch mal etwas wegzulassen. Überkandidelt hört sich das daher nicht an, eher ausgereift und sorgfältig arrangiert kommt dieser minimalistische Indie-Pop mit Electronica- und Folk-Appeal daher.
Kaitlyn Aurelia Smith: Let's Turn It Into Sound (Cargo)
Für alle Freigeister, die die Schnauze von jeglicher Art konventioneller Musik voll haben, gibt es Labsal zu vermelden. Kaitlyn Aurelia Smith stellt nämlich Fragen: Wie können wir kommunizieren, wenn die gesprochene Sprache unzureichend ist? Wie können wir verstehen, was wir fühlen? Wie übersetzen wir unsere Erfahrungen mit der Welt in etwas, das jemand anderes verstehen kann?
Smith, die sich selbst als "Feeler" bezeichnet, lässt sich bei ihren Antworten von zusammengesetzten Wörtern in nicht-englischen Sprachen, von Übersetzungen, skulpturaler Mode, Tanz, Butoh, Wushu Shaolin und anderen Formen sensorischer und somatischer Erfahrungen inspirieren. So wie in der Mode Linien, Formen, Farben, Texturen und Silhouetten verwendet werden, um auf einer sinnlichen, vom Bewusstsein losgelösten Ebene zu kommunizieren, versucht „Let’s Turn It Into Sound“ mit Hilfe von Klang zu vermitteln, was Worte allein nicht können. Hört sich kompliziert an, ist es auch. Die musikalische Umsetzung passiert in Form von, nennen wir es mal, Klangskulpturen, Fragmenten, Ton-Schnipsel, whatever, ist Neo-Klassik, Avantgarde, Ambient, Art-Pop, Experiment – und vor allem ein Angriff auf alle Hörgewohnheiten.
Um Kommentare verfassen zu können, müssen Sie sich anmelden.
Bitte beachten Sie unsere Nutzungsregeln.