Girlpool: Forgiveness (Anti)
Das Duo aus L.A. ist zumindest eines nicht: langweilig. Und es hat sich ziemlich entwickelt. Angefangen als DIY-Projekt, das eher Skizzen als Songs auf Lager hatte, sind Girlpool zu einem schillernden Pop-Duo gereift. Verarbeitet, bzw. thematisiert werden Beziehungen, Sex, Verlustängste, halt all das Zeugs, was Mitt-Zwanzigern so in Leib & Kopf rumgeistert. Die musikalischen Mittel sind vielfältig. Da kann es recht Dancefloor-lastig zugehen, auch Electro-Pop wird gerne genommen und manchmal poltern aus der Vergangenheit (Grunge-)Gitarren durch die polierte Oberfläche. Fluffig-schön sind dagegen so akustisch unterfütterte Dream-Pop-Balladen wie „Violet“, der pure Mitfühl-Pop mit Feuerzeug-Charme von „Dragging My Life Into A Dream“ oder auch Kunst-Pop-Kabinettsstückchen wie „Light Up Later“.
Rock Eupora: Pick At The Scab (Cargo)
Okay, man liest Europa an Stelle von Eupora. Was auch immer sich der aus Mississippi stammende und in Nashville lebende Musiker Clayton Waller dabei gedacht hat, der Name bleibt bescheuert.
Alles andere als bescheuert ist jedoch, was der Mann so an Melodien und Songs verzapft. Man muss sich ja nicht als erstes den etwas unterproduzierten Akustik-Folk von „I Will Never Be Happy“ oder das gemütliche, ab er etwas schräge „Island Intermission“ anhören, sondern könnte mit „Can You Feel The Weight“ einsteigen, zeigt dieser Song doch deutlich, welches Gewicht diese Lieder haben können. Wunderbar sonnige Harmonien treffen auf Jingle-Jangle-Gitarren, ein Cello schwelgt dazwischen, die großen drei Bs (Beatles, Beach Boys, Byrds) sind da, am Ende das Crescendo mit vollem Streicher-Ornat, Alex Chilton hätte es nicht besser hinbekommen. Gleich danach der nächste beseelte Herzensbrecher-Song mit „I Don´t Want To Feel Anything Anymore“, der natürlich die akkurate Antithese antizipiert. Oder dann auch noch der „Accuser“, wo sich Weezer zur illustren Inspirationsrunde gesellen. Tolle (Indie-)Rock-Platte.
Willow Parlo: Willow Parlo (Pop Up)
Ob sie es will oder nicht, man wird diese Band wohl bald über ihre Sängerin Noemi Bunk identifizieren. Bunk ist nicht einzigartig, aber sie hat einfach eine wunderschön-liebliche, etwas traumverlorene Stimme mit Lolita-Charme. Passt natürlich bestens zum Dream- und Shoegaze-Pop der Hamburger Kapelle. Die setzen Synthesizer und Vocoder sparsam ein, bzw. halten mit einer Akustischen dagegen, darum klingt der Sound auch angenehm naturbelassen, analog und erdig-warm. Ein wahrlich überraschend gelungenes Debüt, das seine Berechtigung nicht nur in der deutschen Pop-Landschaft hat.
The Ballroom Thieves: Clouds (Nettwerk)
Die zum Duo geschrumpften Ballsaaldiebe aus Boston sind dadurch zu (noch kleinen) Giganten am Indie-Folk-Rock/Pop-Firmament gewachsen. Martin Early und Calin Peters haben das Leben on Tour während der Pandemie vermisst und dieses Ärgernis in vielschichtige, teils metaphernschwere Songs gepackt, die genau das Gegenteil davon sind: Diese Wolken strahlen blütenweiß am Firmament, sind voller honigsüßer Melodien und Harmonien. Die Gesänge – vor allem Calin Peters kling so unglaublich lieblich und jungfräulich – jubeln ein- und zweistimmig, Streicher und Bläser zuckern nicht, sondern sind auch mal gegen den Strich („Trodden“) gebürstet und erinnern an das Penguin Cafe Orchestra. Und bei allem Folk-Verständnis (das dem der Nits nicht unähnlich ist) können die Gitarren auch mal richtig Rock, twangen selig, wird das Schlagzeug mal mit dem Besen bearbeitet oder ein Marsch intoniert. Man mag noch nicht von einem Meisterwerk sprechen – oder doch?
Loudon Wainwright III: Lifetime Achievement (Bertus)
"How Old Is 75?" fragt sich der Papa von Rufus und Martha in gewohnt humoristisch-lakonischer Art auf seinem 30. Album – und das natürlich anlässlich seines 75. Geburtstags. Den ersten Hit 1972 gelandet, schafften es seine Songs und Alben, einige Grammys abzuräumen und auch als Zulieferer für andere Künstler wie Bonnie Raitt oder Johnny Cash verdiente er seine Meriten. Das aktuelle Werk ist recht unterschiedlich arrangiert. „One Wish“ arbeitet lediglich mit der altersweisen Stimme, bei anderen Songs fügen sich Gitarre und/oder Mundharmonika in bester Bänkelsänger-Manier mit ein.
Wieder andere sind mit Bläsern, Streichern, Lap- und Pedal Steel, Mandoline und E-Gitarre gewürzt. Neben Randy Newman einer der interessantesten Geschichtenerzähler aus Amerika.
Whiskey Myers: Tornillo (Thirty Tigers)
Das Cover-Artwork sieht eher nach billigem B-Movie aus, die Musik, die dahinter steckt ist jedoch beste Premium-Klasse. Der Opener, ein kurzes, wehmütiges, reines Bläserwerk weist Richtung mexikanischer Grenze, wo das Album im Sonic Ranch Studio tief im Herzen ihrer texanischen Heimat aufgenommen wurde. „John Wayne“ gleich danach ist dann eben keine Country-Schmonzette, sondern bündelt schon mal alles, was diese Band und die folgenden Songs ausmacht: knackige, kurze Bläsersätze, pumpende Bassläufe, gospeliger Background-Chöre, rotzfreche Gitarren, eine Mundharmonika on fire, funky Orgelwerk und einen coolen Crooner mit Sägespänen versetzen Stimmbändern. Bei „Heavy On Me“ wird das Tempo dann auch einmal rausgenommen und die Akustische ausgepackt. Das klingt dann irgendwie gleichzeitig nach einer Ballade von Led Zeppelin und den Stones. Beim gut gewürzten Southern Rock klingen natürlich die Allman Brothers, Lynyrd Skynyrd, aber auch Little Feet mit durch, verstecken brauchen sich die Whiskey Myers nach diesem Album aber vor den Altvorderen nicht mehr.
GA-20: Crackdown (Cargo)
Gitarrist Matt Stubbs ist seit 14 Jahren Mitglied der Tourneeband des legendären Bluesmeisters Charlie Musselwhite und hat unter anderem schon mit James Cotton und John Hammond gespielt. Komplementiert zum Trio haben sich die Jungs dem etwas roheren Blues (verschnitten mit 60er und 70er Rock`n`Roll) in seiner recht traditionellen Art verschrieben und dazu auch mit altem, analogem Instrumentarium, Verstärkern und Mikrophonen aufgenommen. Verstaubt klingt dieser Sound aber mitnichten, von irgendwoher müssen hier Punk-Wurzeln herkommen, denn dieser Blues ist ehrlich rau, roh, erdig, verdammt direkt – und glänzt hin und wieder mit fantastischen Gitarren-Licks wie etwa im verdammt coolen Titeltrack, der aus dem Woodstock-Festival stammen könnte.
Broken Forest: Wild At Heart (Luise London)
Luise London, die Frau hinter Broken Forest, zeichnet eine innige wie intime Verbindung zur Natur aus. In „Mother“ wird ihr nicht nur einmal gehuldigt, London versteht sich als Botschafterin für eben Mother Earth. „Esoterisches Zeugs“ ist das trotzdem nicht, auch wenn man zu diesem elektrifizierten Folk-Pop herrlich wegträumen oder sich in Trance tanzen kann. Die Botschaften wollen gehört werden und wer dabei an die frühe Kate Bush oder Björk denkt, liegt zumindest nicht ganz falsch. Luise London hat aber schon jetzt ihre eigene Sprache gefunden.
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