Marlon Williams: My Boy (Cargo)
“Dyryp-Dyryp-Dudel-Duuh” jubiliert Marlon Williams zur akustischen Gitarre und Schunkel-Rhythmus im Opener und Titelsong und man möchte dazu gleich mit ihm eine Polonaise am Strand tanzen. Ganz so hemmungslos beschwingt geht es zwar nicht (immer) weiter, aber die Stimmung bleibt positiv, die Melodien lieblich, der Rhythmus dezent und cool, die Stimme sanft, schließlich lebt der Mann ja auch im Paradies auf Erden, in Neuseeland. Und Bands aus diesen Breitengraden – The Chills, Split Enz, Crowded House oder Lorde (mit der er übrigens auch auf Tour war) – sind ja nicht gerade bekannt für ihren melodramatischen Düster-Sound. So reiht sich dieser Singer/Songwriter mit seinem Folk-infizierten Pop-Sound nahtlos in die Ahnengalerie der freudig musizierenden Kiwi-Künstler ein. „Go back to the party!”
Marina Allen: Centrifics (Cargo)
Marina Allens Album voller beeindruckender Reflexionen, Beobachtungen und Fragen über das Selbst, die Welt und ihre Wechselwirkungen kann man nur bedingt in die Kategorie Singer/Songwriter ablegen. Sicherlich ist er da, der akustische Folk mit Gitarre, Klavier, der intime Vortrag („Getting Better“) und kommt man mit der manchmal zu hoch gelegten Stimme gut zurecht, verzaubert dies Liedgut. Interessanter wird es aber, wenn die Protagonistin sperrig(er) und experimentierfreudiger wird und sich z.B. Richtung Jazz öffnet („New Song Rising“). Da erreicht sie zwar noch nicht die Klasse einer Joni Mitchell oder Laura Nyro, ist aber auf dem richtigen Weg.
Butcher Brown: Butcher Brown Presents Triple Trey featuring Tennishu and R4ND4ZZO BIGB4ND (ConcordJazz)
Langer Titel. Das Album wurde ursprünglich vom MC und Multiinstrumentalisten der Band, Tennishu, als Hip-Hop-Album mit einer Ode an The Notorious B.I.G. geschrieben und produziert und hat sich seitdem zu Butcher Browns eigener eklektischer Ode an den Big-Band-Jazz entwickelt, ihrem ersten Ausflug in dieses Format. Das Album versucht eine Annäherung an den klassischen Jazz, die Band und die R4ND4ZZO BIGB4ND spielen eine Collage aus Jazz-Suiten für ein Hip-Hop-Album und integrieren gleichzeitig die ganz eigene Mischung aus Soul, Funk und Rock-Elementen. Das Cover-Artwork des Albums wurde übrigens von dem renommierten Designer Lou Beach entworfen, Designer von Weather Reports 1977er Klassiker „Heavy Weather“. Dies sei nur angemerkt, da Butcher Brown auch mit seinem aktuellen Werk ein Klassiker ins Haus stehen könnte.
Chris Forsyth: Evolution Here We Come (Cargo)
Hat man das etwas atonale, aber durchaus interessante, kakophone Spektakel von „Experimental & Professional“ hinter sich gebracht (wahrlich ein mutiger Einstieg in eine Platte!), stiftet „Heaven For A Few“ als Gitarren-lastiges Instrumental beruhigende Labsal. Richard Thompsons „Your Are Gonna Need Somebody“ holpert und stolpert dann in besten DIY-Manier und hat als Gast Steve Wynn an der Elektrischen. Auf „Long Beach Idyll“ hört man vielleicht am deutlichsten, dass er bei Richard Lloyd in die Gitarren-Schule gegangen ist (ein anderer Schüler war übrigens ein gewisser Tom Verlaine), quecksilbern, trocken, hart und präzise perlen hier die Riffs und auch der knapp 15-minütige Rauswerfer, „Robot Energy Machine“, ist nochmals eine Lehrstunde in feinster Gitarrenarbeit – und klingt ein wenig als würden Wishbone Ash Kraut-Rock spielen.
Hot Chip: Freakout/Release (Domino)
In den 80ern gab es z.B. mit Heaven 17 politisch korrekte Tanzmusik. Seit einiger Zeit sind dafür Alexis Taylor und Joe Goddard verantwortlich. Ihr achtes Werk ist bis dato auch das zugänglichste geworden, natürlich auf Kosten der früheren Experimentierfreudigkeit. Dafür muss man sich jetzt nicht mehr bei dem einen oder anderen Tanzschritt seltsame Verrenkungen einfallen lassen, „Freakout/Release“ groovt durchgängig auf bestem (P-)Funk-Niveau – und gerade der Titelsong hält als Reminiszenz an die Anfangstage auch noch eine fesche Vocoder-Einlage bereit.
Neil Young & Crazy Horse: Toast (Warner)
Bereits vor 20 Jahren aufgenommen, erblickt das Album erst jetzt das Licht der Welt. Der Meister selbst sprach sich einst gegen eine Veröffentlichung aus, nicht weil das Material mies war, die hier verhandelten Beziehungsgeschichten machten ihn einfach zu traurig. So schallt auch gleich im gemütlichen Opener „Quit“ der Refrain „Don´t say you love me“. Ja, ja. Gemütlich geht es dann allerdings nicht mehr weiter, „Standing In The Light Of Love“ ist der erste einer Reihe wuchtiger wie typischer Crazy-Horse-Rocker. Es wird beherzt gelärmt, gedonnert, verzerrt und gerockt. Einige der Songs kennt man übrigens bereits in allerdings recht anderen, braveren Versionen von der „Are You Passionate?“-Platte, der Rest wird hier zum ersten Mal präsentiert. Unbedingt noch erwähnenswert das dynamische, lauernde, 13-minütige „Boom Boom Boom“ mit schönen Klavier- und Gitarren-Arabesken und – was ja wirklich selten ist – einem epischen Saxophon-Solo.
Brotherkenzie: Nathan (Thirty Tigers)
Nathan Stocker ist Brotherkenzie, sonst arbeitet er bei der Indie-Rock-Band Hippo Campus oder den Baby Boys. Auf „Nathan“ erforscht Stocker furchtlos, was passiert, wenn man auf seine Dämonen hört und ihnen gehorcht, wenn man sich heidnischen Idealen hingibt und sich dem Selbsthass zuwendet. Das Ergebnis ist eine Katharsis, ein aufmerksamer Bericht über das Wachsen eines neuen Selbst. Hört sich nach kompliziertem Psychiater-Kanapee-Pop an und ja, etwas sperrig sind diese Gitarreneinwürfe schon mal geraten, der seidig-weiche Gesang bügelt diese Ecken und Kanten aber wieder einigermaßen aus, bzw. bildet er einen hübschen Gegenpol, der Spannung und Reibung erzeugt. Überhaupt ist Nathan Stockers „Therapie-Album“ wohltuend anders und sticht aus dem Gros der aktuellen Singer/Songwriter-Veröffentlichungen angenehm heraus – gerade weil es eben auch ein wenig unangenehm ist.
Panda Bear & Sonic Boom: Reset (Domino)
Wie verlängert man den Sommer? Einfach „Reset“ drücken und das erste gemeinsame Album von Noah Lennox aka Panda Bear (Animal Collective) und Peter Kember aka Sonic Boom (Spacemen 3) auflegen. Was der Psychedeliker und der Art-Popper hier an berauschend-schönen Melodien zusammengepanscht haben, macht einfach nur glücklich. Die Gesangsharmonien evozieren natürlich die Beach Boys, aber auch die Beatles und Byrds. Es macht „Hu-Hu“ und „Uh-Uh“, der Schellenkranz klingelt, die Hände klatschen, es wird ein wenig gesampelt und seltsame Synthi-Schleifen ziehen ihre Bahnen, das Kirmes-Klavier orgelt, die Akustische schrammelt und wenn man jetzt noch ein offenes Cabrio hat, um zum Sonnenuntergang an den Strand zu fahren, könnte man fast diesen Scheißkrieg und all die andere Mühsal um uns herum vergessen. Ein Teil der Einkünfte kommt übrigens der Erforschung psychedelischer Substanzen in der Psychiatrie zugute. Man könnte depressiven Patienten aber auch einfach diese sonnige Platte auflegen.
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