St. Lucia: Utopia (Nettwerk)
Monotone Kraftwerk-Rhythmik kollidiert bei dem Ehepaar Jean-Philip Grobler und Patti Beranek mit Post-Rock und Disco. Diese Electro-Pop-Songs sind wie gemacht für die Tanzflächen der coolen, hippen Tanztempel zwischen New York, London und Tokyo. Sie sind zudem so sexy und ausgebufft, dass auch der introspektive Indie-Nerd nicht umhin kann, mit den Füßen zu zucken. Und auch alte Wave-Recken, werden gefallen an diesen 80er Melodien finden.
John Fullbright: The Liar (Thirty Tigers)
Acht Jahre lang passierte trotz Grammy-Nominierung erstmals: nichts. Der Künstler musste und wollte sich selbst er(-finden) und weg vom depressiven, in sich gekehrten Singer/Songwriter entwickeln. Aufgabe gelungen, kann man angesichts dieser beherzt aufbrausenden Lieder mit zupackenden Gitarrenparts, zwischen dem Heartland-Rock eines Tom Petty, dylanesken Mundharmonika-Einschüben und den feinen Klavier-Balladen eines Bruce Hornsby nur sagen. Fullbright hat zudem packende Songs auf Lager, und seine starke, markante, von Wind und Wetter (oder sind es Alkohol und Tabak…) gegerbte Stimme tut ein Übriges, um Seele und Herz zu berühren. Bleibt zu wünschen, dass die nächste Schaffenspause etwas überschaubarer ausfällt.
Alex G: God Save The Animals (Domino)
Alex Giannascoli, der 29-jährige Musiker aus Philadelphia, hat das Religiöse für sich entdeckt. Nicht als personifizierten Gott, eher als Geisteshaltung und Gefühl. In derart beseelter Stimmung ging er auf Melodiensuche -und fand einen vielschichtigen, bunt schillernden, schwelgenden, komplexen, anmutigen, manchmal gar exotischen Strauß davon, der die Schönheit der auf dem Cover abgebildeten Vogelwelt in sich trägt. Indie-Pop par excellence.
Simon Goff / Katie Melua: Aearial Objects (K7)
Da haben sich zwei gefunden, von denen man nicht unbedingt annehmen musste, dass sie sich jemals finden würden. Die Folk-Pop-Singer/Songwriterin und der Produzent, Violinist und Multiinstrumentalist Simon Goff. Als Gesamtkunstwerk angelegt, ist das leider recht kurze Album weit davon entfernt ein typisches Melua-Pop-Album zu sein. „Tbilisi Airport“ klingt geradewegs wie ein Morcheeba-Song – und ist deshalb auch noch recht eingängig. Auf „It Happened“ übernehmen die Streicher dann schon eine tragendere Rolle und entführen in eine leicht dystopische Klangwelt, und im „Hotel Samba“ hat man dann das Zimmer neben dem Penguin Café Orchestra bezogen. Neo-Klassik, Ambient, Filmmusik, Kammer-Folk, Balladen-Pop, die „Aerial Objects“ sind vieles, vor allem aber bestens gemachte, anspruchsvolle, hinreißend schöne Zwischen-den-Stühlen-Musik. Chapeau!
Bugge Wesseltoft & Henrik Schwarz: Duo II (Jazzland)
Jazzpianist Bugge Wesseltoft trifft auf Techno-Produzenten Henrik Schwarz (der von der tollen "DJ Kicks"-Serie!). Könnte auch langweilig geworden sein, ist es aber nicht nur wegen der vielen Gäste nicht. Die ersten Töne stammen schon mal von einer Marimba, bevor sich dann das Klavier und ein paar Samples dazugesellen. Techno(kratisch) werden die Songs sowieso nie. Dafür sorgt u.a. auch der feine, natürliche Hall-Klang, denn aufgenommen wurde in der Emmauskirche in Berlin-Kreuzberg. Der Sound pendelt zwischen Ambient, Neo-Klassik, Fusion-Jazz, Electronica, durchaus soulige Klänge steuert Sängerin Kid Be Kid auf „My First Life“ bei, während die zweiteilige Suite „Duolism“ schon fast eine Ahnung von Pop vermittelt. Spannender als vielleicht erwartet.
Julia, Julia: Derealization (Cargo)
Julia, Julia ist der Künstlernamen von Julia Kugel, Gründungsmitglied der Garage-Punk-Ikonen The Coathangers und des Dream-Pop-Duos Soft Palm. Als deren Sängerin verlor Kugel erstmal ihre Stimme. Nach langer Therapie hat sie diese wiedergefunden, um nun auch mal ein Solo-Album zu veröffentlichen. Ätherischer Folk-Pop, Dream-Pop wie bei Mazzy Star, etwas entrückter Indie-Rock mit DIY-Attitüde mit teilweise exotischen Sound-Spielereien („Words Don`t Mean Much“), und manchmal klingt das Schlagzeug sogar nach Crazy Horse („Do It Or Don´t“). (Fast) alles selbst eingespielt und zuhause in der Garage aufgenommen, fordert dieses Album seinen Respekt auch wegen der vielen guten Songs ein, und wenn man davon ein wenig schläfrig wird, spart man sich schon mal die Rauchwaren.
Nils Frahm: Music for Animals (Warner)
„Es geht alles auf diesen Wasserfall zurück. Wenn du ihn beobachten willst, dann beobachte ihn. Wenn nicht, dann musst du das auch nicht. Er wird immer derselbe sein, aber eben nie ganz derselbe.“ Sagt der Klavier-Virtuose und Techno-Grenzgänger Nils Frahm über sein neues Werk. Das sprengt mal locker die 3-Stunden-Marke und dürfte so für viele Haustiere ein passendes Stück dabeihaben. Was seltsam dünkt: Man hört zwar viel, ein Klavier jedoch nie. Ambient-Music for animals (und deren Besitzer).
Cristóvam: Songs On A Wire (V2)
Das Internet machts möglich: Zusammen mit Tim Hart, dem Sänger von Boy & Bear aus Australien, hat der portugiesische Singer/Songwriter Cristóvam sein Album während des Lockdowns umgesetzt. Er erzählt darin seine Geschichte (inklusive einer Heirat) in zwölf Songs, die meist eine leichte Melancholie umflort, ohne jemals wirklich pessimistisch zu sein. Inspirationen hat er dabei aus der riesigen Plattensammlung seines Opas gezogen, und der hörte wohl vor allem gerne Soft-Rock und Singer/Songwriter-Klassiker aus den 70ern wie James Taylor, Jackson Browne, Bob Dylan oder Tom Petty. Am Enkel gingen wiederum jüngere Vertreter des Genres wie Bon Iver, die Lumineers oder Turin Brakes auch nicht spurlos vorüber, und dann haben wir ja auch noch den Kollegen aus Down Under mit am Tisch, b.z.w. dem (virtuellen) Studio sitzen, der bestimmt schon mal etwas von Crowded House oder den Go-Betweens gehört hatte. In diesem Spannungsfeld fühlen sich die mit warmer Stimme vorgetragenen, grundsympathischen wie unaufgeregten Songs pudelwohl.
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