Ezra Furman: All Of Us Flames (PIAS)
Ezra Furmann wechselt schneller das Geschlecht (oder die geschlechtliche Ausrichtung), als manch einer seine Unterwäsche. Was dabei nicht wechselt, sind diese bösen, authentischen Geschichten und das sichere Händchen, bravouröse Melodien und Songs zu schreiben. Flirtete man zuletzt noch ein wenig mit Punk und Post-Wave, ist es jetzt der pure Rock 'n' Roll, mal etwas mit Americana, mal etwas mit Soul eingefärbt, aber immer mit einem hundertprozentigem Widererkennungswert ausgestattet. Man schmachtet mit Ezra, mal leidet mit ihr und manchmal, ja manchmal freut man sich auch mit ihr. Produzent John Congleton (Warpaint, Eddie Vedder) hat einen fetten, dichten Sound-Ansatz gewählt, der auch von Jim Steinman (ohne Sülze) stammen könnte.
Editors: EBM (PIAS)
Machen jetzt Tom Smith und die Seinen wirklich Electro Body Music?! Ja und nein. Irgendwie war EBM ja schon immer in der DNA der Editors angelegt, nur dass dieser Zug noch nie so offen zum Tragen kam. Sicherlich hören wir hier nicht die neuen Front 242, Nitzer Ebb, DAF oder The Klinik. Die Editors machen es sich weiterhin zwischen Depeche Mode und New Order bequem, nur dass jetzt halt vehement zum Tänzchen gebeten wird. Das ist ein wenig arg plakativ, nervt wegen der kindischen Loop-Stimme in „Picturesque“ auch schon mal, sollte die Fans aber nicht verschrecken. Dancefloor-Hymnen für die Ewigkeit sind den Jungs mit dieser Platte sicherlich nicht geglückt.
Kansas Smitty’s: We're Not In Kansas Anymore (K7)
Wie der Titel andeutet, ist "We're Not In Kansas Anymore" der Beginn einer neuen Ära für Kansas Smitty's. Ihr mittlerweile fünftes Studioalbum markiert eine Abkehr von ihrer swinggeprägten Klangpalette und lässt sich stattdessen von modernem Jazz, afrikanischen Rhythmen, dem Blues und klassischem Kino inspirieren. Kansas Smitty's ist nach wie vor das Hauptbetätigungsfeld des Bandleaders, Altsaxophonisten und Klarinettisten Giacomo Smith, eines Musikers und Produzenten, dessen unermüdliche Kreativität seinen Ruf immer weiter befördert. So produzierte er kürzlich Alben für Jamie Cullum und den aufstrebenden Star Jas Kayser. Letztere ist auch zusammen mit Laura Jurd als Gäste auf diesem Album vertreten und sorgt für einen fetten Trompeten-Sound. Bemerkenswert ist zudem die unglaublich dicht und einfühlsam agierende Rhythmussektion, wie überhaupt der Klang dieser Platte keine audiophilen Wünsche offenlässt. Es groovt, es swingt, die Solos sind atemberaubend schön. Als würden sich die Grateful Dead am Jazz versuchen.
NNAMDÏ: Please Have A Seat (Cargo)
Einen schönen Albumtitel hat der Multiinstrumentalist, Produzent und Sänger aus Chicago für sein neues Album gewählt. „Hey Leute, nehmt doch bitte Platz und hört Euch an, was ich Euch zu erzählen habe“. Die Geschichten aus dem richtigen Leben werden mit einem Musik-Mix aus dem richtigen (Chicagoer) Leben vertont. Jeder der 14 Songs des Albums kann man sich unendlich oft anhören und rast dabei stets an unerwartete und verwirrende Orte. Gegen diese potenten Dosen von Pop-Glückseligkeit stoßen Math-Rock-Freakouts, Arena-Rock-Leadgitarren, halsbrecherische Rap-Flows und fiebrige Synthesizer-Arrangements an. Es ist eine aufregende Synthese, die sich wie die Zukunft der populären anfühlt -genresprengend und aufregend.
Peel Dream Magazine: Pad (Cargo)
Peel Dream Magazine ist Joseph Stevens. Er erzählt darin die Geschichte seines eigenen Rauswurfs aus der Band und den verworrenen Weg zurück. Ist natürlich eine Gute-Nacht-Geschichte, und darum stört hier auch kein lauter oder missglückter Ton. Stevens bedient sich beim Namensvetter Sufjan, hat viel Beach-Boys-Platten gehört, die Arrangementkunst eines Burt Bacharach und Van Dyke Parks inhaliert und das Sound-Design der High Llamas und Stereolab studiert. Aus diesem bunten Baukasten des Wohlklangs erschafft er seine Lieder die zwischen Bossa-Nova, Folk, Easy Listening, Barock-, Yacht- und Kammer-Pop oszillieren. Schön und liebevoll versponnen klingt das und ist süffig wie ein Pina Colada.
Skye Wallace: Terribly Good (Six Shooter Rec)
“Terribly Good” ist das neue Album der Kanadierin zwar nicht geworden, dafür bedient sie ein wenig zu viele Rock-Klischees, aber als „Tres Bon“ kann man es schon durchgehen lassen. Angefangen hat die Dame ja mal als All-American-Folk-Girl, davon sind jetzt nicht einmal mehr Spurenelement zu hören, vielmehr gibt sie sich in den Texten kämpferisch und selbstbestimmt, bei der Musik als Suzi Quatro des Indie-Rocks.
Anna Aaron: Gummy (Hummus Rec)
Eine Platte über „Herzschmerz im Spätstadium“ hat Cécile Meyer zusammen mit Young Gods-Musiker Bernard Trontin geschrieben und aufgenommen. Der für den Rhythmus verantwortliche, mixt klug analoges mit digitalem und so lehnt sich die Sound-Ästhetik ein wenig an den frühen Bowie zwischen „Station To Station“ und seine Berlin-Trilogie an. Indie-Ästhetik, lyrischer Piano-Pop und düstere Industrial Vibes halten sich die Waage, der „Golden Boy“ führt mit seinem feschen Funk (die Talking Heads lassen grüßen) sogar direkt auf die Tanzfläche, das fordernde „Double Life“ erinnert an Kate Bush, das dystopische „All God`s Good Girl“ würde auch den Swans zur Zier gereichen.
Plastic Mermaids: It's Not Comfortable To Grow (Bertus)
Der Titeltrack ist eher Gebet denn Song, er gleicht einer kathartischen Explosion, der den Begriff Synthi-Pop im wahrsten Sinne des Wortes sprengt, kulminieren hier doch Streicher, Klavier, Bass, Schlagzeug und natürlich auch Synthis zu einem großen Ganzen um dann kometenhaft zu verglühen.
Und nicht weniger üppig wie vielschichtig geht es auf diesem leicht überkandidelten Meisterwerk weiter, das in einer Tradition mit David Bowie, Grandaddy, Supertramp und den Flaming Lips steht.
Stülpen sich die Platic Mermaids die „Disco Wings“ über kommen auch noch Tame Impala und MGMT ins Spiel.
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