The Backseat Lovers - Waiting to Spill (Universal)
Zum Travis-Baum-Cover auf “The Invisible Band” ist jetzt ein Baumhaus hinzugekommen. Man sagte einst, Travis würden in die Fußstapfen von Radiohead treten. Ähnliches vermeldete die Presse nach dem Debüt dieser Kapelle aus Salt Lake City. Was damals etwas an den Haaren herbei gezogen war, ist zwanzig Jahre später auch nicht richtiger. Gemein ist den Beiden die herausragende Qualität dieser Lieder, die vom Erwachsenwerden erzählen, Tempoverschiebungen, Rhythmuswechsel, komplexe Strukturen, Arrangements vom simplen Indie-Folk bis hin zum Art-Rock, raffinierte Gimmick wie rückwärts abgespielte Sprachnotizen bis hin zu Gesang, der durch Verzerrerpedale läuft, als etwas ganz Selbstverständliches betrachten. Das amerikanische Pendant zu Fran Healy heißt Jonas Swanson, beide können Balladen watteweich singen und Hymnen in prachtvollem Ornat erstrahlen lassen. Eine wirklich äußerst gelungene Scheibe zum Jahresbeginn.
Fela Kuti – Afrodisiac (Partisan Rec)
Fela Kuti (1938-1997) genießt in Deutschland bei Leibe nicht den Ruf wie in Frankreich oder auch den USA. In Afrika selbst wird er als Gott verehrt. Er war ein nigerianischer Musiker, Produzent, Arrangeur, politischer Radikaler, Geächteter und der Begründer des Afrobeat. Felas musikalisches und gesellschaftspolitisches Vermächtnis umspannt Jahrzehnte und Genres, berührt Jazz, Pop, Funk, Hip-Hop, Rock und mehr. Während er zu Lebzeiten nie den Status einer echten Ikone erlangte, hat seine Popularität in den letzten zehn Jahren wieder stark zugenommen, und sein Leben, seine Musik und sein Einfluss wurden kritisch neu bewertet. Im Jahr 2008 wurde das biografische Musical „Fela!“ (koproduziert von Jay-Z und Will Smith) zu einem Überraschungshit am Off-Broadway und später auch am Broadway. Mit „Afrodisiac“ leitete er 1972 seine weltweite Karriere ein, anlässlich des 50. Jubiläums erscheint das Werk außer als Doppel-LP auf farbigem Vinyl – LP 1 ist grün marmoriert, LP 2 rot marmoriert. Das Album wird mit einem OBI-Streifen aus Goldfolie und einem kurzen Essay über das Album und Felas weltweiten Einfluss auf die Musik ausgeliefert. Aufgenommen wurde es übrigens in den legendären Abbey Road Studios. Wer hören will, woher der fiebrige Funk der Talking Heads stammt, wird hier fündig.
Mathias Kom & Toby Goodshank - Miller Time (BB Island)
Wer ist das denn nun wieder? Eigentlich gar keine soooo Unbekannten. Kom kennt man (hoffentlich) unter seinem Alter Ego, The Burning Hell, eine wirklich spaßige Combo. Goodshank spielte einst bei einer ebenfalls sehr skurrilen wie lustigen Truppe, nämlich den Moldy Peaches (Adam Green und Kimya Dawson hießen die Kollegen). Bleibt noch dieser Miller. Der heißt mit Vornamen Roger und war ebenfalls ein ganz humoriger und hintergründiger Geselle, der auch schon mal Johnny Cash auf der Bühne vertrat, wenn der mal wider im Amphetaminrausch unpässlich war. Ja, Roger Miller war ein Country-Musiker und Singer/Songwriter, dem aber nie der eigene Durchbruch gelang, dafür aber No.1-Hits („King Of The Road“) für Kollegen schrieb. Dies Tribute ist wohl geraten, am Nischendasein aller Beteiligten wird es aber wohl nichts ändern.
Hayden Arp - With Eliza
Sonderlich viel zu sagen hat uns der Singer/Songwriter aus Virginia nicht, keine halbe Stunde dauert dieses zweite Werk. In der Kürze liegt die Würze, wird er sich dabei gedacht haben, doch ganz ohne Tadel sind diese Songs nicht. Den Geschichten über Roadtrips und Erlebtes fehlt es ein wenig an Spannung, die Musik dazu ist gefällig und bewegt sich im typischen Genre-Duktus, auch mal verstärkt und aufgepimpt durch Streicher. Das Paradestück dabei ist sicherlich „Black Hole“ geworden, wo eben diese in spannendem Kontrast zu einer soften Rap-Einlage stehen. Ginge Herr Arp mehr in diese Richtung, würde er mehr Spannung wagen, es könnte noch großes daraus werden. Everbody`s Darlings haben wir schon zu viele.
Trampled By Turtles – Alpenglow (Thirty Tigers)
In den USA zählt die Band aus Minnesota zu den ganz Großen. Kein Wunder also, dass sich Jeff Tweedy als Produzent (und Autor eines der elf Lieder) auf den Regiestuhl gesetzt hat. Das Besondere an der Combo ist ihre Zusammensetzung, stehen Fidel, Banjo, Cello und Mandoline gleichberechtigt neben Gitarre, Bass und Schlagzeug. Für das Country-infizierte Amerika eine Mischung für Jung und Alt. Leadsänger Dave Simonett, von dem auch die restlichen Songs stammen, findet zudem die richtigen, ehrlichen, bodenständigen und auch mal sehnsüchtigen Worte und Botschaften für sein Publikum. Americana in seiner besten Form.
Ibrahim Maalouf - Capacity to Love (Bertus)
Der französisch-libanesische Jazz-/Weltmusik-Arrangeur und Trompeter Ibrahim Maalouf wagt auf "Capacity to Love" ein fulminantes Verschmelzen der ihm vertrauten Musik mit zeitgenössischen Einflüssen. In insgesamt 15 Songs kreuzt er seine von Folklore und Latin-Elementen geprägten Klänge mit modernen Sounds der zeitgenössischen Street- und Pop-Culture. Was sich hier schon an Gästen tummelt, ist schwindelerregend und beginnt gleich mit einer Sprachaufnahmen von Charlie Chaplin, die Ibrahim Maalouf in den Eröffnungssong einbaut. Es folgen Gastauftritte von De La Soul, Erick The Architect, Gregory Porter, Cimafunk & Tank and the Banga, Sharon Stone, Flavia Coelho & Tony Romera, JP Cooper, Michael Jacksons Neffe Austin Brown und einigen mehr. Ein World-Music-Funk-Hip-Hop-Kosmos wie es ihn noch nie gegeben hat.
nobody likes you pat – imago (Nettwerk)
Pat Kiloran verbirgt sich hinter dem seltsamen Moniker "nobody likes you pat". Und er flunkert natürlich, denn wenn diese Songs auch vom Versagen, ungewollten Kindern, finanziellen Nöten, seelischen Krankheiten, verlorenen Freundschaften, Familien- und Suchtproblemen handeln, schließt man ihren Protagonisten sofort ins Herz. Mit glockenheller, ungemein sympathischer und direkter Stimme singt er diese Lieder, schlägt dazu die Akustische an und flicht einen dichten Kranz aus fluffigem Indie-Pop um die Niederungen des täglichen Alltags. Selten wurde dieser so euphorisch und liebenswert vertont, die Lightning Seeds aber auch Passenger, Ian Broudie oder Turin Brakes fallen einem dazu ein. Ältere Semester mögen auch einen Nick Drake bemühen.
Josa Barck – An Exiles Guide To Amnesty, Part I (Pop-Up Rec)
Die Dänen haben in diesem Jahr nicht nur eine neue Regierung bekommen, auch Josa Barck mischt das Wikingervolk ordentlich auf. Der Sound klingt etwas aus der Zeit gefallen, man würde diesen noch Post-Punk- und -Wave-infizierten Synthie-Pop eher in die 80er und 90er verorten. Das Sound-Design ist klar retro, macht aber ob der flotten Melodien richtig Spaß mal wieder das Tanzbein zu schwingen. Dabei verarbeitet der Däne doch auf Teil I (insgesamt soll es ein Doppel-Album werden) seine Kindheit, stellt sie im Kontrast zur aktuellen Generation und zieht daraus nicht nur positive Schlüsse. Mit seinen eigenen Worten hört sich das dann so an: “So the first album will be the most depressing party-album you’ll ever hear - And then the other half will be the most uplifting depressed album you’ll ever hear. Put the two together, and you’ll have the longest, most diverse, and artsy nuanced album that you’ll ever hear.”
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