Yes We Mystic – Trust Fall (Devil Duck)
Warum sich die Kapelle aus Winnipeg ausgerechnet mit ihrem stärksten, dritten Album auch gleichzeitig aufgelöst hat, ist schleierhaft - und traurig. Auf einem Bett aus Digitalem werden hurtig und vielseitig akustische gezupfte Gitarren, Streicher, Bläser, Klavier und vieles mehr ausgebreitet. Sänger Adam Fuhr und Gast Jensen Fridfinnson schrauben sich teils in ungeahnte Höhen und baden in weichen, mäandernden Keyboard-Wellen. Ob nun Ballade oder Hymne, derart abwechslungsreichen und ausgefuchst arrangierten Art-Pop findet man selten, Get Well Soon und Alt-J kommen den Kanadiern noch am nächsten. Ein Jammer, dass es jetzt vorbei sein soll.
The Haunted Youth - Dawn Of The Freak (Sony)
Die Belgier eröffnen ihr Debüt verhalten mit einem instrumentalen, sanften Wall-of-Synthi-Wabern. Shoegaze, Dream-Pop, Ambient-Pop, stark reduziert jedenfalls und auf Atmosphäre gebürstet. Der „Teen Rebel“ geht dann schon eher Richtung Indie-Pop-Rock, Sänger und Songwriter Joachim Liebens erklärt uns im Laufe des Albums, dass es okay ist, sich manchmal beschissen zu fühlen (Ein Songtitel heißt dann auch bezeichnend „I Feel Like Shit“). Musik als Therapie und Katalysator für die eigenen Dämonen, eigentlich nichts Neues. Bei The Haunted Youth wird dies aber recht bekömmlich, ja geradezu tanzbar verpackt. So wird der Dämon zu einem recht freundlichen und nahbaren Kerlchen.
Like Elephants – Better Days (Belive)
Elefantös, mächtig, bombastisch ist die Musik der Oberösterreicher sicherlich nicht. Hier hängen die Gitarren eher tief und man blickt gerne auf die eigenen Sneakers herab. Shoegaze nennt man so etwas, gerne auch Dream-Pop oder Slowcore geheißen. Schieben sich bei derartiger Musik gerne die Tasten in den Vordergrund, klingeln bei den Elefanten aus den Alpen die Gitarren besonders anregend. Man kann dem Genre (oder den Genres) zwar nichts Neues hinzufügen, einen ordentlichen Job machen die Jungs aber allemal.
Courtney Marie Andrews - Loose Future (Fat Possum)
Nicht nur, weil sie auch die Bilder für ihre Album-Cover selbst malt, assoziiert man mit dieser wunderbaren Singer/Songwriterin sofort die Grand Dame des Genres, Joni Mitchell. Courtney Marie Andrews Stimme ist glockenklar und hell, sie klingt ungemein direkt und intensiv. Und auch bei den Arrangements gibt es Ähnlichkeiten. Mal wird ganz intim und reduziert auf Gitarre, Stimme und ein wenig Perkussion gebaut, mal fette Chöre, die Pedal-Steel und Streicher hinzugefügt. Und Geschichten erzählen kann die Dame ebenso gut wie ihre kanadische Kollegin. Aufgenommen wurde dieses stimmungsvolle, auch im Winter hell strahlende Album in Sam Owens Flying Cloud Studios im Norden New Yorks mit den Musikern Josh Kaufman (Bonny Lighthorseman), Chris Bear (Grizzly Bear) und Sam Owens (Sam Evian) selbst.
Ruben Block - Looking To Glide (PIAS)
Den Namen kennt man so nicht zwingend, den seiner Band, das innovative Power-Rock-Trio Triggerfinger aus Antwerpen, schon eher. Über vier Jahre hat Block Songs gesammelt, denen wohl auf Grund des langen Zeitraums eine gewisse Stringenz abgeht. Da fiept es mal schwer elektronisch und HipHop-infiziert, da hält mal der Blues Einzug, dann schwirren Loops durch Zeit und Raum. Auch stimmlich ist der Mann kaum wiederzuerkennen und variiert auch auf den Songs sein Organ, das mal knarzig, mal melodiös wie bei Jack Bruce klingt. Was man hören kann, ist die Handschrift von Produzent Mitchell Froom (Elvis Costello, Crowded House, Randy Newman) und Tchad Blake (Pearl Jam, The Black Keys, Arctic Monkeys), der für die Mischung verantwortlich zeichnet. Die beiden nehmen sich gerne einmal Grenzgänger an, um zu veredeln und Essenzen herauszukitzeln. Das ist hier hervorragend geglückt.
Instrument - Sonic Cure
Instrument legen die Finger in die großen und kleinen Wunden der Gesellschaft, besingen die Konsumgeilheit im Angesicht der Klimakatastrophe („Another Man‘s Ruin“), lassen sich über unfreundliche Nachbarn aus („Good Neighbour“) und hadern mit dem Stillstand der Coronapandemie („Home“), was die Band jedoch nicht als Kritik an den Maßnahmen verstanden haben will. Die drei Münchner machen zwar keinen Kraut-Rock, klingen aber doch ganz selbstbewusst ziemlich deutsch (auch wenn in Englisch gesungen wird). Die Gitarren sind kräftig und Grunge- oder Post-Rock-gefärbt, die Drums synkopisch und fast schon jazzig angelegt, und der Bassist hat früher wohl mal in einer Punk-Band gespielt. Als Trio geben die Jungs jedenfalls ziemlich Gas, und nur gegen Ende greift Markus Schäfer zur Akustikgitarre und singt in klassischer Singer-Songwriter-Manier über das Kennenlernen mit seiner Frau. „Sometimes destiny is your friend and not your enemy“.
Sophie Jamieson – Choosing (PIAS)
Sehen wir es mal nüchtern. Es könnte sein, dass die Londoner Singer/Songwriterin ein Alkoholproblem hat oder zumindest hatte. Die Erzählungen auf ihrem Debüt lassen jedenfalls darauf schließen, und nicht nur, weil am Strand schon Whiskey getrunken wird. Ansonsten ziehen sich Wasser-Metaphern durch das gesamte Album, schein aktuell en Vogue zu sein, dann dazu gab es 2022 schon einige Beiträge. Was diese Platte aber zu einer besonderen macht, ist die Stimme unserer Protagonistin. Die ist jetzt nicht wirklich berauschend (um im Thema zu bleiben), aber schon lange hat man nicht mehr so eine schmerzhafte Direktheit und Intimität im Vortrag gehört. Sophie Jamieson macht sich nackig, ist ganz nah bei dir und lässt dieses brüchige Organ ganz sparsam mit ein wenig Gitarre, Klavier, Cello und gestrichenem Schlagzeug umrahmen.
Various Artists - Live Forever: A Tribute to Billy Joe Shaver (Bertus)
Billy Joe Shaver hat unter anderem Hits für Waylon Jennings geschrieben, seine Songs wurden in Filmen benutzt, und er hat mit Johnny Cash zusammengearbeitet. Das Besondere an Shaver ist: Der große Durchbruch gelang dem am 16. 8. 1939 geborenen Texaner erst nach 41 Karrierejahren - und das mit nur acht Fingern, die anderen beiden fielen seiner Arbeit in einem Sägewerk zum Opfer. 2020 verstarb der 2006 in die "Texas Country Music Hall of Fame" aufgenommene Musiker. Jetzt verneigen sich namhafte Künstler*Innen mit ihren Interpretationen seiner Songs vor ihm. Mit dabei Willie Nelson, Lucinda Williams, Rodney Crowell, Edie Brickell, Nathaniel Rateliff, Steve Earl und einige mehr.
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