dEUS - How To Replace It (PIAS)
Nach zehn Jahren endlich wieder ein Lebenszeichen der Art-Rocker aus Belgien. Und was für eines! Mit viel orchestralem Pomp und Dramatik wird die Platte eröffnet, und dieser reich bestickte Ornat aus Paukenklang, Streicher-Wucht und Background-Chören zieht sich durch das gesamte Werk, durchkreuzt von fiesen Gitarren-Soli oder wuchtigen Keyboard-Einlagen. Tom Barmann legt sich ins Zeug, als gäbe es kein Morgen und präsentiert hier seine bisher persönlichsten und rauesten Texte. Ein Ereignis.
Sun - Brutal Pop (Dark Spark Music)
Die Künstlerin, die sich Sun nennt begann ihre Karriere in Death-Metal-Bands, tanzte und sang aber auch gleichzeitig Musicals: Sie spielte die Rolle der Edith Piaf in Frankreich, Südkorea, Japan und wurde u.a. durch die Casting Show „The Voice France“ bekannt, wo sie bis ins Finale kam. Beim deutschen Eurovision-Song-Contest-Vorausscheid belegte sie als Caroline Rose den zweiten Platz. Talent kann man ihr sicherlich nicht absprechen. Der geschmäcklerische Begriff „Brutal Rock“ setzt sich aus den Komponenten Metal (hier vorwiegend durch kurze Kreisch- und Schreieinlagen vertreten) und gepflegtem Rock zusammen. Das klingt doch oftmals ein wenig gewollt und sinnentleert.
Index For Working Musik - Dragging The Needlework For The Kids At Uphole (Cargo)
Alles seltsam, was da aus einem Kellerloch in London zu uns dringt. Stoische Schlagwerk-Rhythmen, die auch schon mal am Kraut-Rock geschnuppert haben, treffen auf verlangsamtes, verspieltes, introvertiertes Gitarren-Geniedel, treffen auf ebenso stoisches Bassspiel und somnambul-verschlurften Gesang. Dazu gibt es ein paar Loops, Field Recordings, elektronische Sound-Fetzen halt. „Athletes“ klingt dabei, als wäre Leonard Cohen bei den Einstürzenden Neubauten eingestiegen – in den Keller natürlich.
Rasha Nahas – Amrat (Cooking Vinyl)
Ist die Frage, ob sich das arabischsprachige Album der palästinensischen Wahlberlinerin zu einem großen Verkaufsschlager entwickelt. Die Singer/Songwriterin erkundet und berichtet darin natürlich vom Nahostkonflikt, wählt dazu aber nur verhalten fernöstliche Zutaten, setzt auf einen offenen Umgang im Singer/Songwriter-Genre mit ein wenig Bläsern, auch mal einem Cello, verwehten Synthesizern, gar nicht mal so braven Gitarren und exotischen Melodien, die gängige Hörgewohnheiten zu knacken wissen.
Rhonda – Forever Yours (Pop-Up)
Nach unterkühlten Hanseaten klingt diese Band nun wirklich nicht, Sängerin Milo Malone lebt seit einiger Zeit aber auch in Los Angeles. Hier in Kalifornien ist dieser warme, Soul-informierte Sixties-Folk-Pop auch angesiedelt. Wie ein Märchenlied eröffnet „The One For You“ diese wunderschön leise Platte. Die deutlich beschwingteren „Golden Days“ passen dann eher zu einer Fahrt an den Strand, denn ans dortige Lagerfeuer. Zirpen in „Santa Barbara“ noch gefühlige Twang-Gitarren, wird man beim Titelsong fast schon unsanft ins hier & jetzt befördert: Schwere Hammond-Orgel-Töne konkurrieren mit flirrenden Synthies und einer harschen E-Gitarre um die besten Plätze – nicht am Beach, eher in der psychedelisch eingerichteten Underground-Disko. War eh nur ein „Ausrutscher“, wie der anschließende Seelen-Schmeichler „Good Things Fall Apart“ zeigt, den auch eine Sade Abu gesungen haben könnte.
James Yorkston, Nina Persson & The Second Hand Orchestra – The Great White Sea Eagle (Domino)
Diese Persson kann fast alles: Retro-Pop bei den Cardigans, zusammen mit Magnus Carlson (Weeping Willows) und Ebbot Lundberg (The Soundtrack Of Our Lives) die Nico beim Velvet-Underground-Tribut geben, oder eben jetzt zusammen mit dem schottischen Barden intim-berückende Folk-Songs intonieren. Das „Orchestra“ stammt ebenfalls aus Schweden, setzt Yorkstons betulichen Liedreigen trotz virtuosem Vielklang mit allerlei Streichern, Flöten, Saxophon und Glockenspiel einfühlsam und sehr behutsam um. Yorkston hat all diese Lieder nicht mit der Gitarre, sondernd auf dem Klavier komponiert, was man durchaus hört, dass die meisten Arrangements eher spontan im Studio entstanden hört man jedoch nicht, das klingt eher von langer Hand vorbereitet und ausgedacht.
Mui Zyu - Rotten Bun For Eggless Century (Cargo)
Als Mui Zyu navigiert die britische Künstlerin Eva Liu aus Hongkong durch das heikle Gebiet der sich ständig verändernden Identität, indem sie Fantasie und Folklore miteinander verbindet, um eine Bühne für Selbstakzeptanz und Befreiung zu schaffen. Auf ihrem Debütalbum verwendet Liu zerhackte Klanglandschaften, zartes Industrial-Ambiente, weit ausholende, verspielte Klavierpassagen, Electro-Versatzstücke, Drum-Computer und süße Pop-Melodien, um eine Figur vorzustellen - einen Führer -, der durch die Welten gestreckt werden kann, um die Katharsis von Geduld, Ausdauer und Verständnis zu bieten. Es handelt sich nicht um eine Figur, die aus dem Wunsch heraus entstanden ist, der realen Welt zu entkommen oder zu fliehen, sondern vielmehr um eine Möglichkeit, noch tiefer in uns selbst einzutauchen. „Rotten Bun for an Eggless Century“ ist ein Spiegelbild von allem und jedem, das uns zu dem gemacht hat, was wir sind.
Joe Henry - All The Eye Can See (Edel)
Die Musik des mehrfachen Grammy-Gewinners (und Schwager von Madonna) als Kammer-Folk oder -Pop zu bezeichnen, ist schon fast ketzerisch. Der Mann wird älter, der Mann wird langsamer, so dass selbst ein anderer Leisetreter wie Kurt Wagner wie ein Speed-Rock-Adept daherkommt. Und was auch älter, oder besser reifer geworden ist, ist diese Stimme, die sich mehr und mehr Richtung eines mehlfresseden Tom Waits bewegt. Gut zwanzig Musiker sollen es gewesen sein, die diese zart-fragilen Pretiosen in Szene gesetzt haben. Das mag nach Opulenz klingen, Henry schafft es aber, auch komplexe Klangkörper wie ein Folk-Trio auf der Blumenwiese klingen zu lassen. Seiner „Big Band“ gehören unter anderem Bill Frisell und Marc Ribot an den Gitarren, Keefus Ciancia am Piano, David Piltch am Bass, Patrick Warren an den Keyboards, Sohn Levon an diversen Blasinstrumenten und die Sängerinnen Madison Cunningham, Alison Russell oder Lisa Hannigan als Duett-Partnerinnen an. Ein Kleinod von einem Album, von der Kritikerzunft sicherlich einmal mehr abgöttisch geliebt, vom breiten Publikum einmal mehr ignoriert.
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