Soft Machine – Other Doors (Bertus)
Kaum zu glauben, dass es diese Legende des Jazz- & Canterbury-Rock noch gibt. Neben Caravan – die sich allerdings recht deutlich hin zum Pop entwickelt haben – sind das wohl die einzigen Überlebenden. Gegründet 1966 (!) von Daevid Allen, Kevin Ayers, Robert Wyatt und Mike Ratledge waren sie ein Sammelbecken extrovertierter und experimenteller Musikerpersönlichkeiten mit vielen Formationswechseln. Von den Gründungsmitgliedern ist niemand mehr dabei, älteste Mitglieder auf der aktuellen Platte sind John Etheridge und John Marshall, die in den 70ern dazu stießen. Von Modernismen halten Soft Machine wenig, bleiben ihrem Stil treu, den sie von Anfang an gepflegt haben und fusionieren Jazz mit Rock, flechten typische Canterbury Flöten-Solos ein, verlieren sich in frei improvisierter Psychedelia und zeigen ihre solistischen Kabinettstückchen. Eine Zeitreise zurück in die frühen Siebziger.
Susanna – Baudelaire & Orchestra (Cargo)
Der französische Dichter hat es der Norwegerin angetan, denn dies ist schon die dritte Einspielung seiner Lyrik. Dazu tat sie sich mit dem experimentellen Osloer KORK-Orchester unter Leitung des Dirigenten Christian Eggen, dem Arrangeur Jarle G. Storløkken und dem Komponisten Jan Martin Smørdal zusammen, die den eigenen Kompositionen und der Performance Susannas eine ganz eigene Dynamik verleihen. Wieder mit dabei ist auch die Avantgarde-Künstlerin Stine Stjern, die schräge, den wohltemperierten Wohlklang störende Tape-Einspielungen und Field-Recordings beisteuert. Susanna Wallumrøds Stimme ist wie immer glasklar und von einer fast schmerzlichen Intensität geprägt, der man sich erst einmal ausliefern muss. Ein schwermütiges Musikerlebnis.
John Carroll Kirby – Blowout (Stones Throw)
Der Pianist und Produzent hat es sich auf Costa Rica gut gehen lassen und diese Stimmung in seinem neuen Album eingefangen. Der Jazz ist locker, spielt mit Exotica, Bossa Nova und dem Calypso. Die Stimmung ist entspannt, der Rhythmus groovt fließend, passt zum Träumen und sich einfach hängen lassen ebenso wie für ein dezentes Tänzchen vor der Cocktailbar. Solange, Frank Ocean oder Miley Cyrus fanden den Sound so gut, dass sie Kirby für sich arbeiten ließen.
Pickle Darling – Laundromat (Cargo)
Lukas Mayo (they/them) – KünstlerIn und ProduzentIn aus Nesseland mag es gerne ein wenig süß, naiv und verspielt. „Laundromat“ ist ein typisches DIY-Werk, wie es typischer nicht sein könnte. Es knarzt und scheppert im unteren Tempi-Bereich, zur Klangerzeugung wird alles hergenommen, was so im heimischen Wohn- und Schlafzimmer zu finden war. Das ist sympathisch und macht auch verhalten Spaß, hat Mayo doch einen ganz eigenen Begriff von Kunst für sich entdeckt. Magie ist bei ihr im Alltäglichen zu finden, von der Starrheit, wie ein Kunstwerk auszusehen will sie sich lösen. Kunst ist überall: in der Form, die wir aus einer Serviette formen, während wir auf unseren Kaffee warten, in der SMS, die wir einem Freund in Not schicken, in dem Schlag, den wir auf dem Lenkrad machen, während wir an einer roten Ampel stehen, einfach immer und überall. Ihre Musik verkörpert dieses Einfache, dieses Spontane, Unfertige und nicht Perfektionistische auf wunderbare Art und Weise. Die Moldy Peaches lassen grüßen.
Cherise – Calling (H`Art)
Auch wenn die klassisch ausgebildete Jazzmusikerin betont gelangweilt vom Cover blickt, ihre Musik und vor allem ihre Stimme sind es mitnichten. Vielmehr könnte man hier von einer kleinen Sensation sprechen, groovt ihr Soul und R'n'B doch so unbekümmert, locker und schwerelos, ist dabei aber raffiniert konstruiert wie ein edler Sportwagen. Die Künstlerin ist ein Multi-Talent, macht Musik, Mode, Yoga, unterrichtet und widmet sich der Schauspielerei. Aktuell ist sie noch mit Michael Kiwanuka und Jamie Cullum als Vorprogramm unterwegs. Die Rollen sollten sich bald umdrehen.
Yes – Mirror To The Sky (Sony)
Von der Ur-Besetzung der an Besetzungswechseln ja gesegneten Band ist nur mehr Gitarrist Steve Howe übrig. Das aktuell Line-up macht seine Sache aber nicht nur ordentlich, Sänger Jon Davis ist eine Inkarnation Jon Andersons. Und auch sonst reibt man sich ob der Qualität dieser Songs verwundert die Augen. Es ist in der Tat nicht mehr weit zu komplexen Werken wie „Tales From A Topographic Ocean“, die Klasse und Qualität von „Drama“ erreicht „Mirror To The Sky“ allemal. Wer – wie ich – die Kapelle schon seit Jahrzehnten abgeschrieben hat, wird hier eines Besseren belehrt – und kann wieder guten Gewissens zu den nächsten Konzerten pilgern. Ein Fest (für Prog-Fans)!
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