Ich freue mich jedes Jahr auf Anfang April, weil da meine Oma Geburtstag hat und ich meine Cousine mit Ursprung aus München treffen. Mein Bruder Viktor und ich holen sie dann alljährlich vom Bahnhof ab und fahren gemeinsam ins Restaurant. Vor acht Jahren hat meine Cousine mich bei so einer Autofahrt ganz schön verkorkst: Mein Bruder hatte gerade seinen zweiten Arm von oben bis unten tätowieren lassen und erzählte, dass er mit seiner Metal-Band bald einen Auftritt in München hätte. Sie fing deshalb an zu schwärmen, wie cool er sei. Mein bescheidener Bruder wollte nicht alle Aufmerksamkeit für sich haben und fragte sie deshalb, ob ich nicht auch cool sei. Ihre Antwort: "Doch, Max ist auch cool. Der liest. Und ...", hier legt sie eine Denkpause ein, "er ist groß." Schweigen. Das war alles, was ihr einfiel. Mein Selbstbewusstsein als 18-Jähriger kurz vor der Uni war in Scherben.
Damals tat ich so, als würde mich das nicht weiter stören. Im Nachhinein fällt aber auf, dass ich kurz darauf auf mehr Partys ging, als mir Spaß gemacht haben, mir Tattoos zulegte und einen E-Bass kaufte, der mittlerweile verstaubt (wie ich wohl darauf kam, dass gerade ein E-Bass cool ist?). An mir hat das natürlich nichts geändert. Mental ging es mir nicht anders und besser gefühlt habe mich erst recht nicht.
Bis heute bleiben Bücher mein liebstes Hobby. Allerdings hat es bis Jahre nach dem Studium gedauert, das so offen sagen zu können. Mittlerweile habe ich eine Menge Freunde, die das mit mir teilen. Irgendwann habe ich gemerkt, dass cool sein, von der Zielgruppe abhängt und Definitionssache ist. Dass ich in den Augen einer damals 14-Jährigen gegen meine Rampensau von einem Bruder nur abstinken kann, ist wohl bloß logisch. Obwohl es mir doch zu denken gibt, dass sie keine anderen Assoziationen mit mir hatte, als meine Körpergröße. Ich habe durchaus mehr Hobbys als groß sein. Vielleicht muss ich noch lernen, wie ich mich besser präsentieren kann.
Dieses Jahr habe ich trotzdem einen kleinen Sieg davon getragen: Wie immer haben wir meine jetzt 22-jährige Cousine vom Bahnhof abgeholt. Sie studiert mittlerweile wie ich damals Germanistik. Wir haben die gesamte Autofahrt über Autoren, das Studium und vor allem Bücher geredet. Mit Metal kann sie dagegen gar nichts anfangen. Der Punkt geht an mich, Viktor.
OTon
Wir sind junge Mitarbeiter der Oberpfalz-Medien. In unserer Kolumne „OTon“ schreiben wir einmal in der Woche über das, was uns im Alltag begegnet – was wir gut finden, aber auch, was uns ärgert. Dabei geht es weniger um fundierte Fakten, wie wir sie tagtäglich für unsere Leser aufbereiten, sondern um unsere ganz persönlichen Geschichten, Erlebnisse und Meinungen. Wir wollen zeigen, dass nicht nur in Hamburg, Berlin oder München Dinge passieren, die uns junge Menschen bewegen.
Um Kommentare verfassen zu können, müssen Sie sich anmelden.
Bitte beachten Sie unsere Nutzungsregeln.