18.07.2019 - 16:18 Uhr

Sein Realismus revolutionierte die Kunst

Mit der großartigen Schau Utrecht, Caravaggio und Europa erlebt die Alte Pinakothek in München einen Rekordansturm

Aus dem Jahr 1602/03 stammt „ Die Grablegung Christi“ (Leinwand, 300 × 203 cm) von Michelangelo Merisi, genannt.. Caravaggio (1571–1610). Bild: Vatikanstadt, Musei Vaticani, Pinacoteca Vaticana
Aus dem Jahr 1602/03 stammt „ Die Grablegung Christi“ (Leinwand, 300 × 203 cm) von Michelangelo Merisi, genannt.. Caravaggio (1571–1610).

Hätten Kirchenführer, die heute die Generation der 68er für Missbrauch und Sittenverfall in den eigenen Reihen verantwortlich machen, diese mit Sündern wie Caravaggio vertraut gemacht, wäre vielleicht manches schwarze Schaf beim Glaubensverein verblieben. Weil aber immer nur die ewige Verdammnis, Schuld und Höllenqualen drohten, wandten sich damals viele aufgeklärte junge Leute von den Kirchen und - beileibe nicht immer - auch vom Glauben ab.

Kardinäle und Päpste

Dabei würde Offenheit darüber, dass auch Menschen mit schwerer Schuld und großem Sündenpäckchen im Auftrag der Kirche tätig sein können, manches für Zweifler und Abtrünnige leichter machen. Und dass Michelangelo Merisi, der sich nach dem Herkunftsort seiner Eltern Caravaggio nannte, ein Sündenregister bis hin zum Mord hatte, kann in jedem Nachschlagewerk nachgelesen werden. Dennoch zählten zu seinen Auftraggebern Kardinäle und Päpste, für die Caravaggio einige der bedeutendsten Gemälde der Kirchengeschichte geschaffen hat. Dazu zählt die "Grablegung Christi", ein Hauptwerk des jung verstorbenen Italieners aus den vatikanischen Räumen. Einige seiner Biografen gilt es als sein vollendetstes Werk überhaupt.

In dem musealen Großereignis "Utrecht, Caravaggio und Europa", welches der Alten Pinakothek in München voraussichtlich Besucherrekorde bescheren wird, nimmt es einen zentralen Platz zwischen zwei Gemälden von Dirck van Baburen und Nicolas Tournier ein. Und gerade hier, im direkten Vergleich wird die Größe dieses Künstlers einer beinahe beschämenden Radikalität besonders bewusst.

Respekt und Anerkennung

Sucht Caravaggio mit seiner hochdramatischen Inszenierung den direkten Kontakt zum Betrachter, bezieht ihn ohne Schuldvorwurf ins Bild mit ein, rackern sich die Personen bei van Baburen regelrecht ab und können nur mit Anstrengung verhindern, dass der blasse Leichnam vornüber kippt. Hier ist der Betrachter außen vor, wird zum Voyeur, ähnlich wie bei Tournier, wo sich eine vierköpfige Gruppe in leuchtenden (Barock-)Gewändern um einen scheinbar federleichten Christusleichnam schart.

Auch bei anderen Gemälden der Caravaggisten, um die es eigentlich in der überwältigenden Ausstellung geht, kommt man eins ums andere Mal dazu, dem großen Meister Respekt und Anerkennung zu zollen. Dabei sind unter den Caravaggio-Nachfolger großartige Künstler, wie die drei Utrechter Baburen, Gerard van Honthorst und Hendrick von Brugghen, die nach Rom aufgebrochen waren die Bilder ihres Idols zu studieren. Sie müssen von dessen revolutionären Gemälden und unkonventionellen Art zu Malen überwältigt gewesen sein, so wie es heute noch vielen Besuchern ergeht.

Oder Artemisia und Orazio Gentileschi, Jusepe de Ribera und Valentin de Boulogne. Insgesamt werden in der Ausstellung 75 Bilder mit christlichen und weltlichen Motiven der bedeutendsten Caravaggisten gezeigt. Darunter zahlreiche Werke, die das erste Mal überhaupt in Deutschland zu sehen sind.

Besonderer Stil

Durch die Gegenüberstellung wird auch deutlich, wie gerade das Utrechter Trio den besonderen Stil des großen Meisters, seine raffinierten Hell-Dunkel-Kontraste, die Dramatik und seinen bis dato unbekannten Realismus, weiterentwickelt hat. So hat van Honthorst die Lichtquelle, die bei Caravaggio irgendwo außerhalb liegt, mit Kerzen und Fackeln selbst ins Bild geholt. Auf diese Weise hat er dramatisch ausgeleuchtete, fast bühnengleich inszenierte Figurenbilder gemalt. In Italien erhielt er dafür den Beinamen "Gherardo delle Notti" (Gerard der Nachtstücke).

Auch bei der Darstellung ihrer Figuren trieben die Holländer den Realismus Caravaggios auf die Spitze und machten selbst vor hässlichen Details wie Knollennasen und faulen Zähnen nicht Halt. Aufgrund ihrer eigenen kulturellen und protestantischen Identität differieren ihre Bilder signifikant von denen der französischen, flämischen, italienischen oder spanischen Caravaggisten.

Im Gegensatz zu vorangegangenen Ausstellungen geht es in der Münchner Schau neben den Gemeinsamkeiten vorrangig um die Unterschiede zum großen italienischen Vorbild - und Sünder. Ein besonderes Erlebnis bietet die Austellung mit einer Musik-Audioführung. Studierende der Hochschule für Musik und Theater München haben die Bilder "musikalisiert" und eigens Stücke komponiert, welche den sinnlich-emotionalen Horizont ins akustische hinein erweitern.

www.pinakothek.de/caravaggisti

 
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